1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Ja zum Familiennachzug - für wenige

9. Mai 2018

Nach langem Ringen hat das Bundeskabinett den Familiennachzug von Flüchtlingen gebilligt. Davon profitieren werden nur einige: 1000 Angehörige dürfen monatlich nachgeholt werden. Für Kritiker ist das verfassungswidrig.

https://p.dw.com/p/2xSxZ
Deutschland Erstaufnahmeeinrichtung Tübingen
Bild: picture-alliance/dpa/S. Gollnow

Für viele Flüchtlinge dürfte dieser Entwurf nur auf den ersten Blick wie eine gute Neuregelung erscheinen: Der seit März 2016 ausgesetzte Familiennachzug ist ab dem 1. August wieder möglich. Flüchtlinge, die nur einen eingeschränkten Schutzstatus haben - sogenannte subsidiär Schutzberechtigte - dürfen dann ihre Ehepartner, minderjährige Kinder oder, wenn sie selbst minderjährig sind, die Eltern nachholen. Allerdings werden nur wenige Betroffene von dieser Änderung im Aufenthaltsgesetz profitieren. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch, dass der Familiennachzug auf 1000 Menschen pro Monat beschränkt ist. Doch schon jetzt haben mehr als 26.000 Menschen laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine FDP-Anfrage Terminanfragen bei Deutschlands Auslandsvertretungen gestellt, um Visa-Anträge einzureichen. Viele werden also Jahre warten müssen.

Zudem gilt: Einen Rechtsanspruch auf Familiennachzug gibt es nicht. Das Bundesverwaltungsamt will diese 1000 Menschen pro Monat nach humanitären Kriterien auswählen.  Dabei sollen zum Beispiel das Alter der Kinder eine Rolle spielen oder ob sich die Familie noch in einem gefährdeten Gebiet aufhält. Bestimmte Gruppen können grundsätzlich ausgeschlossen werden, zum Beispiel Ehepartner, deren Ehe erst nach der Flucht geschlossen wurde oder Schwerkriminelle.

Zerrieben im Bürokratiedschungel?

Philipp Amthor, CDU-Bundestagsabgeordneter
CDU-Politiker Philipp Amthor: Ein Gesetz mit Signalwirkung Bild: Tobias Koch

Nicht nur die Kirchen sehen den Schutz von Ehe und Familie verletzt, auch Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Regelung. "Das ist ein Programm zur Verhinderung des Familiennachzugs auf Jahre hinaus", sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer der Nichtregierungs-Organisation Pro Asyl, der DW. "Auch Härtefälle müssen lange warten, Familien werden daran zugrunde gehen", prognostiziert er. Dies liege nicht nur an dem monatlichen Kontingent von 1000 Menschen, sondern auch an den unterschiedlichen Behörden, die an der Vergabe beteiligt sind. Auf der einen Seite schaut die lokale Ausländerbehörde, wie stark sich der Flüchtling bereits in die deutsche Gesellschaft integriert hat. Auf der anderen Seite sind die deutsche Botschaft und das Bundesverwaltungsamt bei der Auswahl der Angehörigen involviert.

CDU-Innenexperte Philipp Amthor zeigte sich nach dem Beschluss vom Mittwoch jedoch zufrieden. Für ihn ist der Entwurf ein "Beitrag zur Begrenzung der Zuwanderung." Das Signal, das mit der Regelung gesendet werde, ist "dass der Anspruch auf Familiennachzug für subsidiär Geschützte abgeschafft wird und abgeschafft bleibt und es nur ein Kontingent für humanitäre Fälle " geben wird, sagte Amthor der DW.

Flüchtling nicht gleich Flüchtling

Die Rechtslage für Flüchtlinge in Deutschland war schon vor dem Kabinettsbeschluss kompliziert: Denn politisch verfolgte Flüchtlinge haben eigentlich das Recht, ihre Familie - also Ehepartner und Kinder - nach Deutschland zu holen. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dürfen in diesen Fällen ihre Eltern nachziehen lassen. Für Asylbewerber mit subsidiären Schutz gelten jedoch andere Regeln: Seit über zwei Jahren  dürfen sie keinen Antrag auf Familiennachzug stellen. Diesen eingeschränkten Schutz bekommen Menschen, denen zwar "ernsthafter Schaden" in ihrer Heimat droht, die aber weder unter die Genfer Flüchtlingskonvention noch unter das deutsche Grundrecht auf Asyl fallen. Von dieser Regelung sind vor allem viele Syrer, die erst spät nach Deutschland gekommen sind, betroffen, aber auch Afghanen und Menschen aus Eritrea. 

Deutschland Flüchtlinge Thema Familiennachzug | Demonstration in Berlin
Flüchtlinge demonstrieren gegen die Aussetzung des Familiennachzugs (27.1.2018)Bild: Imago/snapshot

Dass subsidiär Schutzberechtigte überhaupt Familienangehörige nachholen konnten, ist allerdings auch recht neu. Erst im August 2015 gestand die große Koalition ihnen die gleichen Rechte zu wie anderen Flüchtlingen auch. Wenige Monate später, als viele Flüchtlinge vor allem aus Syrien nach Deutschland kamen, wurde diese Regelung jedoch wieder ausgesetzt. Vor August 2015 durften subsidiär Schutzberechtigte nur in Ausnahmefällen Familienangehörige nachholen. Zudem musste der Lebensunterhalt gesichert sein.

Ringen in der Koalition

Auch wenn die Änderung zumindest für einige wenige eine Verbesserung darstellt: Für Burkhardt von Pro Asyl ist der jetzige Gesetzentwurf völkerrechts- und verfassungswidrig. Denn für ihn ist klar, dass vor allem die vielen Syrer darunter leiden werden, die auch künftig nicht in ihr Heimatland zurückkehren können. Das syrische Regime behandle Flüchtlinge als "Verräter", unabhängig von ihrem in Deutschland geltenden Flüchtlingsstatus, fürchtet er. Auch die Grenze von 1000 Menschen pro Monat sei völlig "willkürlich".

Deutschland Günter Burkhardt Pro Asyl
Fürchtet um Akzeptanz in der Bevölkerung: Günter Burkhardt, Pro AsylBild: Imago/J. Heinrich

Für Kritik sorgte auch ein anderer Passus. Demnach soll sogenannten Gefährdern in Einzelfällen der Familiennachzug gestattet werden - sofern sie als geläutert erscheinen, also sich gegenüber den "zuständigen Behörden offenbart und glaubhaft von ihrem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand" genommen haben. Laut Bundeskriminalamt wurden im März 2018 etwa 760 Menschen als islamistische Gefährder eingestuft, also als potentielle politisch motivierte Straftäter. 

Auch wenn es wohl nur wenige Menschen betrifft, sei es schwierig, die Debatten über Gefährder mit Flüchtlingsfragen zu koppeln, sagt Burkhardt. "Niemand in Deutschland hat Sympathien für Menschen, die im Verdacht stehen, Terror-Straftaten zu begehen: Je mehr ich das mit Flüchtlingsfragen in Verbindung bringe, je mehr untergrabe ich die Akzeptanz in der Bevölkerung, dass Flüchtlinge Schutz brauchen." Auch in der Union gibt es Kritik. Amthor bezeichnet diese Ausnahme für bestimmte Gefährder als "Schieflage" in der Diskussion. Er vermutet, dass die SPD im Ringen mit der Union auch noch Akzente setzen wollte und sich deshalb für diese Ergänzung einsetzte. Auch aus seiner Sicht könnte dies fatale Folgen haben: "Das hat einfach enorme Sprengkraft."

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft