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Warum ist der Osten so rechts ?

Wolfgang Dick24. Februar 2016

Die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Bautzen und Clausnitz beschäftigen Politik und Gesellschaft weiter. Es geht um die Frage, warum sich in Ostdeutschland, insbesondere in Sachsen, rechtsextreme Taten häufen.

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Geplantes Flüchtlingsheim Bautzen steht in Flammen. Foto: picture-alliance/dpa/R. Löb
Bild: picture-alliance/dpa/R. Löb

Der Beifall für eine brennende Unterkunft, in die eigentlich Flüchtlinge einziehen sollten, ist der Gipfel einer langen Entwicklung, die in traurigen Statistiken festgehalten ist. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums ist die Hälfte aller bundesweit begangenen rassistischen Gewalttaten in ostdeutschen Bundesländern begangen worden. Ein Anstieg um 40 Prozent gegenüber dem Jahr 2014. Angriffe auf Flüchtlinge, Brandanschläge, gewalttätige Demonstrationen und Vandalismus gibt es nach Zahlenangaben der Organisationen "Amadeu Antonio Stiftung" und "Pro Asyl" hauptsächlich in Ostdeutschland.

Ausgehend von den Angriffen auf ein Ausländerwohnheim in Hoyerswerda (im sächsischen Landkreis Bautzen) im Jahr 1991, haben sich in den vergangenen 25 Jahren eine Menge Sozial- und Politikwissenschaftler mit den eigentlichen Ursachen für die Häufung rechtsextremer Gewalt, den Aktivitäten der Bewegung "Pegida" und der Parteien NPD und AfD im Osten Deutschlands beschäftigt. Ihr Fazit: Es gibt nicht eine einzelne gültige Antwort, sondern eher ein Zusammenwirken vieler möglicher Ursachenquellen. Am häufigsten werden diese Gründe genannt:

Angst vor Verlust und Unbekanntem

Nach dem Fall der Mauer 1989 veränderte sich das Leben vieler Bewohner der lange abgeschotteten DDR sehr radikal. Das neue freie Wirtschaftssystem brachte hohe Arbeitslosigkeit. Das kannte man in der sozialistischen Planwirtschaft nicht. Besonders erschüttert hat, "dass berufliche und biographische Erfahrungen von einem Tag auf den anderen nichts mehr wert sind und alles neu gelernt werden muss - und jetzt steht eine erneute Veränderung an", meint der Soziologe David Begrich und spielt damit auf die große Zahl ankommender Flüchtlinge an. Subjektiv herrsche jetzt das Gefühl, schon wieder alles zu verlieren und sich schon wieder auf völlig Neues einstellen zu müssen. Von Verunsicherung und Angstgefühlen, vom Eindruck des Abgehängtseins spricht Hans Vorländer, Professor für Politikwissenschaften an der TU Dresden.

Besonders in den Grenzregionen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern wanderten Tausende ab. Und das bringe noch heute soziale und wirtschaftliche Probleme mit sich, die oft in Perspektivlosigkeit einmündeten. Tom Mannewitz, Extremismusforscher an der TU Chemnitz, ergänzt: "Die subjektiven Transformationsverlierer suchen sich eine andere Gruppe, um das zu kompensieren". Die eigene Unzufriedenheit wird projiziert: auf Ausländer allgemein, auf Flüchtlinge, auf fremde Religionen wie den Islam.

Randalierer Rechte Gewalt Ausländerhass Eisenhüttenstadt 1992. Archivfoto: (BER427-060992)
Eisenhüttenstadt 1992: Randalierende Rechte gegen AusländerBild: picture-alliance/dpa

Kaum Kontakt zu Ausländern

"Die ostdeutsche Gesellschaft ist erst jetzt - 25 Jahre nach der Wiedervereinigung - dabei, so etwas zu entdecken wie Diversität. Vorher war sie weitgehend eine homogene Gesellschaft", sagt David Begrich, der in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) die Arbeitsstelle Rechtsextremismus im Netzwerk für Demokratie leitet. Tatsächlich schwankte der Anteil von Menschen aus anderen Ländern der Welt gegenüber der gesamten Bevölkerung in Ostdeutschland nach Ende des zweiten Weltkriegs nur zwischen zwei und vier Prozent. Es gab zwar zu DDR-Zeiten "Vertragsarbeiter" aus befreundeten "sozialistischen Bruderländern" wie Vietnam, Polen, Mosambik, Ungarn und Kuba.

Aber das DDR-Regime versteckte sie in besonderen Unterkünften. Bis 1988 wurde den Frauen sogar verboten, in der DDR Kinder zu bekommen. Politikwissenschaftler Tom Mannewitz sieht hier eine starke Prägung: "Die rigorose Ausländerpolitik, die die DDR verfolgt hat, die Gettoisierung von Leuten, die aus dem Ausland kamen, die Kontaktpunkte fehlten vollkommen."

Diktatur statt Demokratieerfahrung

Die Staatssicherheit berichtete schon zu DDR-Zeiten über Hakenkreuzschmierereien an Hauswänden. Rechtsradikale waren damals schon extrem gewalttätig, berichtet der Soziologe Matthias Quent von der Uni Jena. Aktivitäten dieser Gruppen wurden massiv verschwiegen, die Täter aber hart bestraft. Rechtsextremismus wurde unterdrückt. Das gilt für den gesamten Umgang zwischen politischer Führung und Bevölkerung. Es wurde angeordnet. Es wurden Fakten geschaffen. Tom Mannewitz dazu: "Das heißt, hier gibt es weitgehend geringe Erfahrung mit politischem Wettbewerb, mit politischer Konfrontation im Sinne von einem Meinungsstreit und Interessenpluralismus". Die Folge für Teile der Bevölkerung: totale Ablehnung des politischen Establishments und Gewalttaten statt ernsthafter Diskussion.

Krawalle um Flüchtlingslager in Dresden.Foto: Roland Halkasch/dpa
2015: Mitläufer der NPD protestieren gegen ein Flüchtlingslager in DresdenBild: picture-alliance/dpa/R. Halkasch

Ermutigungsstruktur im Osten

In Sachsen gelang es der rechtsextremen NPD in den Jahren 2004 bis 2014 im Landesparlament vertreten zu sein. 2006 folgte der Einzug der NPD ins Parlament von Mecklenburg-Vorpommern, wo sie heute noch zu finden ist. Es habe - so viele Politikwissenschaftler - eine Art Bestätigung und Ermutigungssignal gegeben. Rechtes Gedankengut wurde sozusagen etwas salonfähiger. David Begrich: "Wer glaubt, dass das in der politischen Kultur eines Bundeslandes keine Spuren hinterlässt, der kann nicht sehen, welche langfristigen Wirkungen politische Entwicklungen haben. Natürlich habe das Spuren hinterlassen. Tom Mannewitz blickt auch auf die Entwicklung von "Pegida" und "AfD": "Die Leute haben weniger Angst, weil sie Gleichgesinnte leichter finden, als das früher der Fall gewesen ist".

Um gegen diese Prägungen und Erfahrungen anzuarbeiten, haben Politik- und Sozialwissenschaftler viele Konzepte entwickelt. Nicht alle haben verfangen. Experte David Begrich aus Magdeburg hat deshalb eine simple Empfehlung. "Was daraus zu lernen wäre, ist, auch die in den Blick zu nehmen, die ihr Gesicht hinhalten für Demokratie und vor allem die, die für Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern werben." Benötigt werde eine viel stärkere Anerkennungskultur, die mehr leiste als warme Sonntagsreden.