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"Sicherheit in Afrika ganz oben auf der Tagesordnung"

Ludger Schadomsky13. April 2016

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz kommen jedes Jahr politische Entscheider aus aller Welt zusammen. Erstmals gibt es jetzt ein Treffen in Afrika. Warum? Das verrät Konferenzchef Wolfgang Ischinger im DW-Interview.

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Polizei-Kontrollen im Senegal in Westafrika, nach Anschägen in Mali und Burkina Faso (Foto: Getty Images/AFP/Seyllou)
Polizei-Kontrollen im Senegal: Nach Anschlägen auf Hotels in mehreren afrikanischen Ländern haben viele Staaten ihre Sicherheitsvorkehrungen verstärkt (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/Seyllou

DW: Am Donnerstag und Freitag kommt die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) nach Addis Abeba. Rund 60 Teilnehmer aus Afrika, Europa und den USA treffen sich in Äthiopiens Hauptstadt zu einem "Core Group Meeting" - einem Treffen, bei dem sie regionale Herausforderungen der internationalen Sicherheitspolitik erörtern.

Herr Ischinger, Sie leiten die MSC und das Treffen in Addis Abeba. Was hat Sie bewegt, mit der MSC erstmalig in Afrika Station zu machen?

Wolfgang Ischinger: Die Logik der Veranstaltung ist aus meiner Sicht eindeutig: Die Chancen, aber auch die Gefahren und Risiken, die von Afrika ausgehen, sind erheblich. In Deutschland nimmt man kaum wahr, dass die Opfer, die Boko Haram, der sogenannte "Islamische Staat" und andere Terrorgruppen in Afrika erzeugt haben, weit zahlreicher sind als die von Al-Qaida in Afghanistan. Das sind Gefahren von Instabilität, Gefahren von Terrorismus und Terrorismusexport, die uns in Europa unmittelbar berühren. Deshalb ist es wichtig, dass die Sicherheit in und für den afrikanischen Kontinent auf unserer Tagesordnung ganz nach oben rückt. Ein weiteres großes Thema auf der Konferenz ist die immense afrikanische Migrationsbewegung nach Europa…

…die einzudämmen sich die Afrikaner in zahlreichen Abkommen gegenüber der EU verpflichtet haben - Stichwort Khartum-Prozess. Haben Sie den Eindruck, dass die Regierungen wirklich ein Interesse daran haben - und werden Sie dieses Thema auf Augenhöhe besprechen können?

Ich erwarte nicht, dass diese Tagung, die nicht viel länger als 24 Stunden dauert, all diese großen Fragen zu einer Lösung bringt. Es ist aber umso wichtiger, dass wir in einen sehr viel intensiveren Austausch mit der afrikanischer Politik und Zivilgesellschaft, mit afrikanischen Parlamenten und mit der Afrikanischen Union (AU), der einzigen den Kontinent überspannenden regionalen sicherheitspolitischen Organisation, eintreten. Hier brauchen wir einen viel intensiveren und häufigeren Austausch, der in der Tat auf Augenhöhe stattfinden muss, um all die Probleme gemeinsam anzugehen.

Der Deutsche Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, MSC (Foto: Marc Müller)
Wolfgang Ischinger leitet die Münchner Sicherheitskonferenz und das "Core Group Meeting" in Addis AbebaBild: Marc Müller

Das allein wird durch bilaterale Besuche des ein oder anderen Politikers nicht zu erledigen sein. Deswegen bin ich der Auffassung, dass eine solche Konferenz einen wichtigen Impuls setzen kann. Wer sich zudem mit demographischen Fragen beschäftigt, wird wissen, dass nach allen uns bekannten Berechnungen die Bevölkerung Afrikas von einer guten Milliarde heute auf etwa 2,5 Milliarden bis etwa 3 Milliarden in den nächsten 20 oder 30 Jahren anwachsen wird.

Das sind gewaltige Wachstumszahlen und stellt alle vor eine große Herausforderung: Wenn es nicht gelingen sollte, in den Staaten des afrikanischen Kontinents Stabilität und Wachstum in sehr viel größerem Ausmaß als in der Vergangenheit zu schaffen, dann müssen wir damit rechnen, dass wir es zahlenmäßig mit ganz anderen Migrationsbewegungen zu tun haben werden, die nach Überlebens- und Prosperitätschancen nördlich des afrikanischen Kontinents suchen. Das heißt, die Flüchtlingsströme von 2015 werden dann geradezu marginal erscheinen, wenn es nicht gelingt, Afrika zu einem Kontinent des Wachstums und der Stabilität zu machen, von Antworten auf den Klimawandel ganz zu schweigen.

Sie haben die AU angesprochen - erleben Sie in Ihren bisherigen Kontakten die Kontinentalunion als einen ernstzunehmenden Gesprächspartner, der mittelfristig die immer wieder beschworenen "afrikanischen Lösungen für afrikanische Probleme" liefern kann? Oder ist man doch eher ein zahnloser Löwe - wenn es zum Beispiel darum geht, robuste Friedensmissionen auf dem Kontinent zu stellen?

Das Gebäude der Afrikanischen Union in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens
Afrikas Hauptstadt: Im äthiopischen Addis Abeba hat die Afrikanische Union ihren SitzBild: Imago

Man muss kritisch feststellen, dass wir es hier mit ersten Pilotprojekten und dem langsamen Aufwachsen sicherheitspolitischer Strukturen zu tun haben. Wir wollen die afrikanischen Partner aber auch nicht überfordern. Ich möchte daran erinnern, dass es nach der Gründung der Europäischen Gemeinschaft in den 1950er und 1960er Jahren ja auch Jahrzehnte gedauert hat, bis man in Europa bei einer Europäischen Union (EU) angelangt war, um über gemeinsame sicherheits- und verteidigungspolitische Aktionen zu sprechen. Wir sind ja noch heute weit davon entfernt in der EU wirklich mit einer Stimme sicherheitspolitisch zu sprechen und zu handeln. Aber diese Anfänge, die Rolle der AU zu stärken, sie auch sichtbar dadurch zu unterstützen, dass wir sie ernst nehmen, sind wichtig. Die Afrikaner brauchen diesen professionellen Rat beim Aufbau tatkräftiger, handlungsfähiger, sicherheitspolitischer Strukturen. Hier haben wir es mit den Anfängen zu tun - und die wollen wir fördern.

Der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta hat in der vergangenen Woche bei seinem Deutschlandbesuch recht unverhohlen den Triumph seines Vize Ruto über den Internationalen Strafgerichtshof gefeiert - Chefanklägerin Fatou Bensouda wird in Addis dabei sein. Inwieweit werden Sie dort das Gespräch mit den Afrikanern suchen?

Ich freue mich, dass Fatou Bensouda, die mehrfach auch bei unserer großen Konferenz in München aufgetreten ist und dort sehr kraftvoll gesprochen hat, die Absicht hat, an unserer Konferenz in Addis Abeba teilzunehmen. Es gibt ihr die Gelegenheit, mit Vertretern von Staaten und Regierungen informell zu sprechen, die dem internationalen Strafgerichtshof entweder feindselig gegenüberstehen, ihm nicht beigetreten sind oder gar den Austritt der afrikanischen Staaten fordern. Abgesehen davon nehmen eine ganze Reihe von Vertretern der Zivilgesellschaft, von Stiftungen und Persönlichkeiten, die eine erhebliche moralische Autorität verkörpern, an unserer Tagung teil, wie etwa der frühere UNO-Generalsekretär Kofi Annan. Er stammt ja nun selbst aus Afrika und kann in ganz anderer Weise als vielleicht so mancher Europäer oder Amerikaner mit seinen afrikanischen Landsleuten diskutieren, wenn es zum Beispiel um Good Governance und Menschenrechte geht.

Fatou Bensouda ist Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (Foto: picture-alliance/AP Photo/J. Lampen)
Eine der Gäste beim Treffen in Addis Abeba: Fatou Bensouda, Chefanklägerin am Internationalen StrafgerichtshofBild: picture-alliance/AP Photo/J. Lampen

Genauso wird der frühere Bundespräsidenten Horst Köhler bei unserer Veranstaltung sprechen. Er hat nicht nur als Bundespräsident, sondern vorher als Chef des internationalen Währungsfonds ein besonders intensives Interesse an der Entwicklung in Afrika genommen. Damit haben wir eine gute Zusammensetzung aus staatstragenden Kräften und denen, die in den Bereichen Humanität, Menschenrechte und Good Governance offen und kontrovers debattieren können.

Beim Blick auf das illustre Teilnehmerfeld verwundert es, dass keine hochrangige Delegation aus Südafrika, dem politischen Schwergewichtes Kontinents, anwesend ist. Wie erklären Sie das als Veranstalter?

Die innenpolitische Entwicklung in Südafrika ist im Augenblick natürlich dramatisch. Deswegen wundert es mich auch nicht, dass hochrangige Vertreter aus Südafrika es im Augenblick vorziehen zu Hause zu bleiben und dort an der Debatte über den eigenen Regierungschef und die Krise, die da ausgelöst wurde, teilzunehmen, und nicht ins Ausland zu reisen.

Wolfgang Ischinger war deutscher Botschafter in Washington und London. Seit 2008 leitet er die Münchener Sicherheitskonferenz, die alljährlich im Februar ihre Jahrestagung abhält und die Größen der internationalen Sicherheitspolitik in München versammelt.

Das Interview führte Ludger Schadomsky.