1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

IS bringt Türkei in die Zwickmühle

Thomas Seibert9. September 2014

Die türkische Regierung gerät wegen der Nutzung türkischen Territoriums durch die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) unter Druck. Die USA wollen eine internationale Anti-IS-Allianz schmieden, aber Ankara zögert.

https://p.dw.com/p/1D97o
IS Kämpfer (Foto: AP Photo via militant website, File)
Bild: picture alliance/dpa

Als Kämpfer des IS im Juni das nordirakische Mossul einnahmen, zögerten die Diplomaten im türkischen Konsulat der Stadt zu lange. Die Dschihadisten kesselten die Vertretung ein und drohten mit Beschuss. Kurz darauf ergaben sich die Türken: 49 Menschen - Diplomaten, Konsulatsmitarbeiter sowie deren Familienangehörige, darunter einige Kinder - wurden vom IS als Geiseln genommen.

Um eine öffentliche Debatte über die Geiselnahme zu verhindern, ließ die türkische Regierung eine Nachrichtensperre verhängen. Einzelheiten drangen dennoch an die Öffentlichkeit. Nach Angaben der Oppositionspartei CHP werden die Geiseln in drei getrennten Gruppen festgehalten, um Befreiungsversuche zu erschweren. Die Regierung von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagt, sie kenne zwar die Aufenthaltsorte der Gefangenen. Ihre baldige Heimkehr sei aber nicht zu erwarten.

Ankara unterschätzte den IS

Ankara habe den IS zunächst als Gruppe betrachtet, die sowohl gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad als auch gegen kurdische Autonomiebestrebungen in Syrien kämpfte, habe den IS ansonsten aber nicht richtig ernst genommen, schrieb der Kolumnist Rusen Cakir in der Zeitung Vatan. Im Rahmen der türkischen Unterstützung für Assad-Gegner profitierten Extremistengruppen wie der IS davon, dass die türkischen Behörden bei Bewegungen an der Grenze zu Syrien nicht so genau hinschauten.

Kämpfer aus Nahost, aus dem Kaukasus und aus dem Westen konnten deshalb in den vergangenen Jahren über die Türkei nach Syrien gelangen, wo sie sich dem IS oder anderen islamistischen Milizen anschlossen. Auch Waffen gelangten auf diesem Wege ins Bürgerkriegsland Syrien.

Mosul nach der Eroberung durch IS-Kämpfer (Foto: REUTERS/Stringer)
Anfang Juni 2014 haben IS-Kämpfer das türkische Konsulat in Mosul gestürmtBild: Reuters

Waffen und Kämpfer in die eine, Diesel in die andere Richtung

Zumindest beim Nachschub von ausländischen Kämpfern für den IS trage der Westen aber eine Mitverantwortung, sagte ein Insider in Ankara der Deutschen Welle. So könnten die türkischen Sicherheitsbehörden bei 30 Millionen Touristen im Jahr unmöglich wissen, wer sich nur als Urlauber tarne, tatsächlich aber in den Krieg ziehen wolle: IS-Kämpfer reisen oft ganz legal mit ihren EU-Pässen in die Türkei ein und werden dann in kleinen Gruppen über die Grenze nach Syrien geführt, wie der Gouverneur der türkischen Grenzprovinz Hatay, Celalettin Lekesiz, im Frühjahr in einem an die Presse durchgesickerten Bericht schrieb. Erst in der vergangenen Woche wurde bekannt, dass ein 20-jähriger Bundesbürger bei dem Versuch festgenommen wurde, als IS-Kämpfer von der Türkei aus nach Syrien zu gelangen.

Während Kämpfer und Waffen über die Türkei nach Syrien gelangen, wird in entgegengesetzter Richtung tonnenweise Diesel-Treibstoff aus IS-kontrollierten Gebieten in Syrien in die Türkei geschmuggelt. In Lastwagen, Kunststoff-Pipelines und Plastikfässern gelangt die Schmuggelware über die Grenze. Die türkische Armee beschlagnahmte in der Grenzregion nach eigenen Angaben kürzlich innerhalb von nur zwei Wochen mehr als 15 Tonnen Diesel aus Syrien. Nach Medienberichten verdient der IS mit dem Schmuggel bis zu 15 Millionen Dollar im Monat.

Umdenken in Ankara

Inzwischen wandelt sich die türkische Haltung gegenüber dem IS. Ein Grund dafür ist, dass der Vormarsch der Dschihadisten im Irak den türkischen Exporten dorthin schwer geschadet hat. Gleichzeitig häufte sich in jüngster Zeit die Kritik der westlichen Partner am laschen Umgang der Türkei mit dem IS. Auch befürchte die türkische Regierung, dass der IS mit Terroranschlägen in der Türkei beginnen könne, schrieb Sinan Ülgen, Chef der Istanbuler Denkfabrik EDAM, kürzlich in einer Analyse.

Als Konsequenz hat Ankara die Kontrollen an der 900 Kilometer langen Grenze zu Syrien verstärkt. Laut Ülgen weitete die türkische Regierung die Einreiseverweigerungen für mutmaßliche Dschihadisten aus dem Ausland erheblich aus: von rund tausend Personen Anfang des Jahres auf 5300 sechs Monate später.

IS-Kämpfer (Foto: AP Photo/Militant Website, File)
Die Terrormiliz "Islamischer Staat" verbreitet Angst und SchreckenBild: picture-alliance/AP Photo

Geiselnahme engt türkischen Aktionsradius ein

Experten wie Ülgen empfehlen eine engere Zusammenarbeit zwischen türkischen und westlichen Geheimdiensten. Doch was weitergehende Schritte - etwa im militärischen Bereich - gegen den IS angehe, sei Ankara von den Extremisten durch die Geiselnahme in Mossul schachmatt gesetzt worden, schrieb Kolumnist Cakir.

Denn der IS benutzt die Geiseln, um die Türkei von entschiedenen Maßnahmen gegen die Miliz abzuhalten. "Der Türkei sind die Hände gebunden", sagte der Nahost-Experte Serdar Erdurmaz von der Hasan-Kalyoncu-Universität im südosttürkischen Gaziantep der Deutschen Welle. "Eine falsche Regung Ankaras und die Geiseln könnten sterben." Insbesondere nach den Enthauptungs-Videos der Extremisten wolle das kein Politiker in Ankara riskieren.

Rolle Ankaras in Anti-IS-Allianz ist unsicher

Mit ihren langen Grenzen zu Syrien und dem Irak könnte die Türkei eine Schlüsselrolle in der internationalen Anti-IS-Allianz spielen. Doch die Sorge um das Leben der Geiseln sowie die türkische Toleranz gegenüber Gruppen wie dem IS in den vergangenen Jahren lassen diese Rolle unsicher erscheinen. Türkische Regierungspolitiker seien lange Zeit zuversichtlich gewesen, Organisationen wie den IS kontrollieren zu können, sagte ein westlicher Diplomat in der Türkei der Deutschen Welle. "Das fliegt denen jetzt um die Ohren."

Verteidigungsminister Chuck Hagel bei Tayyip Erdogan in Ankara (Foto: REUTERS/Kayhan Ozer/Presidential Press Office/Handout via Reuters)
Keine festen Zusagen: US-Verteidigungsminister Chuck Hagel (l) bei Tayyip Erdogan in AnkaraBild: Reuters/K. Ozer/Presidential Press Office

US-Verteidigungsminister Chuck Hagel, der am Montag (08.09.2014) in Ankara mit Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach, bezeichnete die Türkei als unverzichtbaren Partner im Kampf gegen den IS. Doch konkrete Zusagen erhielt Hagel von Erdogan offenbar nicht. Nach Presseberichten erlaubt die Türkei die Nutzung der Luftwaffenbasis Incirlik rund hundert Kilometer westlich der syrischen Grenze für unbewaffnete Aufklärungsflüge der USA über dem Irak. Ankara genehmige aber keine Kampfeinsätze vom türkischen Boden aus, berichtete die Washington Post. Wie Hagel nach seinem Treffen mit Erdogan andeutete, rechnen die USA damit, dass sich die Türkei mit aktiver Hilfe auch weiterhin sehr bedeckt halten wird. Jedes Land in der Anti-IS-Allianz habe seine eigenen "Einschränkungen", sagte er. "Die haben wir zu respektieren."