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PolitikNahost

Riad und Teheran: Hoffnung auf Stabilität

14. März 2023

Bisher haben die Regionalmächte Saudi-Arabien und Iran gegeneinander gearbeitet. Jetzt gehen die Rivalen aufeinander zu. Das liegt im beiderseitigen Interesse. Doch kann es die Erwartungen erfüllen?

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Der chinesische Außenminister Wang Yi, der saudische Sicherheitsberater Musaad bin Mohammed al Aiban (l.) und der Sekretär des iranischen Nationalen Sicherheitsrats, Ali Shamkhani (r.) verkünden in Peking die saudisch-iranische Wiederannäherung
Der chinesische Außenminister Wang Yi, der saudische Sicherheitsberater Musaad bin Mohammed al Aiban (l.) und der Sekretär des iranischen Nationalen Sicherheitsrats, Ali Shamkhani (r.) verkünden in Peking die saudisch-iranische Wiederannäherung Bild: CHINA DAILY via REUTERS

Die Nachricht kam für viele Beobachter überraschend: Nach Jahren der Rivalität und Konfrontation wollen Iran und Saudi-Arabien ihr Verhältnis neu ordnen. Die Annäherung der beiden Länder lässt regional und international größere Auswirkungen erwarten, schließlich standen oder stehen sie sich an mehreren Fronten zumindest indirekt und teils sogar in Form von Stellvertreterkriegen gegenüber. Beide Länder unterstützten jahrelang jeweils gegnerische Kriegsparteien in Syrien und tun das bis heute im Jemen. Im Irak, im Libanon und in Bahrain mischen sie bei Konflikten mit und buhlen um Einfluss, den der Iran über schiitische Minderheiten und ihre Organisationen und Parteien wahrzunehmen versucht. Im Persischen Golf sollen saudische Ölförderanlagen nach Darstellung Riads sogar direkt das Ziel iranischer Raketen geworden sein.

Damit soll nun Schluss sein. Mit der Ankündigung, wieder diplomatische Beziehungen zueinander aufzunehmen, wollen die beiden großen Kontrahenten am Golf nun offenbar ein neues Kapitel ihres spannungsvollen Verhältnisses aufschlagen. Grund dazu haben beide, denn es liegt auf der Hand: Die Auseinandersetzungen der rivalisierenden Regionalmächte schaden ihnen inzwischen mehr als sie nützen, sowohl politisch wie wirtschaftlich. Keine Seite kann sich grundlegend gegen die andere durchsetzen.

Diese Erkenntnis ist offenbar für beide Seiten nicht neu. Sebastian Sons, Saudi-Arabien-Experte beim Bonner Think Tank Carpo, ruft in Erinnerung, dass Vertreter Teherans und Riads bereits seit zwei Jahren hinter den Kulissen miteinander verhandelt hätten. Zwar sei das Misstrauen im saudischen Königreich gegenüber dem Iran weiterhin sehr groß. "Genau das drängt die Staatsführung aber dazu, sich mit Teheran zu arrangieren. Eine Einigung hat für das Königreich höchste Priorität", so Sons gegenüber der DW.

Der US-amerikanische Flugzeugträger USS Abraham Lincoln im Persischen Golf
Geprägt von Spannungen: der Persische Golf. Unser Bild zeigt den US-amerikanischen Flugzeugträger USS Abraham LincolnBild: Stephanie Contreras/U.S. Navy/AP Photo/picture alliance

Ähnlich sieht man es offenbar auch in Teheran. Das Abkommen stelle für die Diplomatie der Islamischen Republik Iran durchaus einen Erfolg dar, sagt Marcus Schneider, Leiter des Regionalprojekts für Frieden und Sicherheit im Mittleren Osten der Friedrich-Ebert-Stiftung in Beirut, im DW-Gespräch. "Es ist für das Regime ein Schritt raus aus der internationalen Isolation zu einem Zeitpunkt, an dem die Beziehungen gerade mit dem Westen von einem Tiefpunkt zum nächsten fallen."

Sinkender Einfluss der USA

Diese Situation hat das Regime in Teheran nun zumindest in Teilen entschärft. Ihm kommt dabei auch der Umstand entgegen, dass die Verhandlungen von China moderiert wurden, und zwar in einem Moment, in dem das Verhältnis Pekings zu einer ganzen Reihe westlicher Regierungen erheblich belastet ist - wegen mutmaßlicher Spionage, wegen der Drohungen gegen Taiwan, wegen der Nähe zum Krieg führenden Russland. Durch das Abkommen habe sich China als vermittelnde Großmacht im Mittleren Osten etabliert, meint Schneider. "Damit dient es Teherans Interesse, die US-Amerikaner aus der Region zu vertreiben oder wenigstens ihren Einfluss zu vermindern."

Die Beziehungen Irans zu China werden bereits seit längerer Zeit enger. Beide Seiten unterzeichneten im Frühjahr 2021 ein Handelsabkommen im Wert von umgerechnet gut 372 Milliarden Euro. Saudi-Arabien wiederum ist gerade dabei, sich international neu zu orientieren. Denn als Einrichtungen der saudischen Erdölindustrie 2019 von mehreren mutmaßlich iranischen Raketen getroffen wurden, zeigten sich die USA, traditionell die Schutzmacht Riads, zurückhaltend. Dies auch darum, weil Riad an der Spitze einer überwiegend aus arabischen Staaten bestehenden Koalition im Krieg im Jemen mitkämpft, und das kommt bei der politischen Elite in Washington sehr schlecht an. Die Zurückhaltung der USA - ebenso wie die dort immer wieder geäußerte Kritik an saudischen Menschenrechtsverstößen - bewog Riad wiederum, sein Verhältnis zum bisherigen Partner zumindest partiell zu überdenken.

Ein jemenitischer Polizist steht nach einem saudi-geführten Luftangriff vor den Trümmern eines Gebäudes
Der Krieg im Jemen könnte durch die Annäherung Irans und Saudi-Arabiens vielleicht endenBild: Hani Mohammed/AP Photo/picture alliance

Das zeigte sich etwa, als Saudi-Arabien im September vergangenen Jahres im Rahmen der OPEC dem Vorschlag Russlands folgte, die Erdöl-Fördermengen mehrere Monate lang zu senken, um so einen höheren Preis auf dem Weltmarkt zu erzielen. Der Entschluss kam Russland, das über ein halbes Jahr vorher die Ukraine angegriffen hatte, sehr entgegen. Damit zeige Saudi-Arabien, dass es sich zu Teilen von den USA abwende, sagt Sebastian Sons. "Allerdings bedeutet das keinen vollständigen Kurswechsel, der zu einem Bruch mit den USA oder dem Westen führen würde. Und doch muss man sehen, dass die Annäherung an Iran in Riad sehr hohe Priorität genießt."

Mögliche Folgen für die Region

Die Annäherung der beiden Rivalen könnte für die Region Folgen haben, und zwar durchaus positive. So dürfte Iran seine Destabilisierungsversuche in benachbarten Staaten zurückfahren, erwartet Marcus Schneider. Das könnte etwa für den Irak gelten, auf dessen Kurs Iran durch ihm verbundene Milizen und Parteien erheblichen Einfluss nimmt. Auch im Libanon könnte die mit dem Iran verbündete Hisbollah möglicherweise mehr Kooperationsbereitschaft erkennen lassen.

Möglicherweise könnte es auch im Jemen endlich eine Einigung geben, so Sebastian Sons. Dass der Krieg dort nicht militärisch gewonnen werden kann, scheint Riad inzwischen klar geworden zu sein. Nun besteht seit langem wieder Hoffnung, den Krieg zu beenden oder zumindest stark einzudämmen. Entscheidend dürfte letztlich die konkrete Umsetzung der saudisch-iranischen Vereinbarung durch beide Seiten, aber auch durch die unterschiedlichen Konfliktparteien im Land selbst sein. Wie diese konkret ausfallen wird, darüber kann zur Zeit nur spekuliert werden.

Anders sieht es in Bezug auf Israel aus, das immer wieder Vernichtungsdrohungen aus Teheran erhält. Auch aus diesem Grunde hatte die Regierung in Jerusalem im Jahr 2020 die sogenannten Abraham-Abkommen geschlossen, und zwar mit zwei Golfstaaten, die den iranischen Einfluss in der Region ebenfalls als Bedrohung wahrnehmen: die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain. Die Abkommen sollen das lange Zeit angespannte Verhältnis der Länder zueinander normalisieren. Saudi-Arabien hat ein solches Abkommen zwar bisher nicht geschlossen, setzt aber seit Jahren auf einen eher stillen Entspannungskurs gegenüber Israel.

Dieser stellt sich durch die Annäherung Riads an Teheran nun zumindest in Teilen in neuem Licht dar, meinen Beobachter. Saudi-Arabien könnte versuchen, sich durch diesen Schritt aus der Schusslinie zu nehmen, sollte es aufgrund des iranischen Atomprogramms eines Tages doch zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen den USA und Israel auf der einen und Iran auf der anderen Seite kommen, schrieb am Montag die dem Staat Katar verbundene panarabische Zeitung "Al-Araby Al-Jadeed".

Der israelische Premier Benjamin Netanyahu (l.) und der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Abdullah bin Zayed bin Sultan Al Nahyan (r.), unterzeichnen in Gegenwart des damaligen US-Präsidenten Donald Trump die so genannten Abraham-Vereinbarungen, September 2020
Auf Annäherungskurs: Der israelische Premier Benjamin Netanjahu (l.) und der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Abdullah bin Zayed bin Sultan Al Nahyan (r.), unterzeichnen in Gegenwart des damaligen US-Präsidenten Donald Trump die sogenannten Abraham-Vereinbarungen, September 2020Bild: Alex Wong/Getty Images

Saudi-Arabien ist der Iran wichtiger als Israel

Tatsächlich könnte Saudi-Arabien seine neue Haltung vor dem Hintergrund der gescheiterten iranisch-westlichen Atomverhandlungen entwickelt haben, analysiert auch Nahost-Experte Marcus Schneider. "Denn sollte es tatsächlich zu einem israelisch-amerikanischen Militärschlag gegen Iran kommen, wäre der Golf möglicherweise das erste Opfer von iranischen Vergeltungsschlägen. Vergangene Attacken auf die saudische Ölinfrastruktur wären hier dann nur ein Vorgeschmack."

In der Summe zeige die Entscheidung, dass Saudi-Arabien an einer offiziellen Normalisierung seiner Beziehungen zu Israel derzeit kein zentrales Interesse habe, sagt Sebastian Sons. Unterhalb der Schwelle offizieller Beziehungen strebte Riad zwar weiterhin einen Ausgleich mit Israel an. "Aber vor allem will man in Saudi-Arabien derzeit eine weitere Zuspitzung des Verhältnisses zu Iran vermeiden."

Der Freiheitskampf der Frauen im Iran geht weiter

Möglicherweise lassen sich dadurch Konflikte entschärfen oder militärische Konfrontationen vermeiden - doch für die Menschenrechte in der Region lässt die saudisch-iranische Annäherung eher nichts Gutes erwarten. Der Iran verzeichnet in dieser Hinsicht eine katastrophale Bilanz, wie sich etwa seit Monaten am brutalen Umgang der Staatsführung mit der Protestbewegung zeigt. Und auch Saudi-Arabien verstößt regelmäßig gegen Menschenrechte. Weltweit für Entsetzen sorgte die Ermordung des Regimekritikers Jamal Khashoggi im Oktober 2018 in Istanbul.

Nun hat nicht nur der Iran, sondern auch Saudi-Arabien mit China ein Land als Vermittler akzeptiert hat, das selbst immer wieder mit Menschenrechtsvergehen für internationale Schlagzeilen sorgt. Bei der weiteren Annäherung dürften Menschenrechtsfragen daher "definitiv keine Rolle spielen", meint Golfregions-Experte Sebastian Sons.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika