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PolitikAsien

Schmuggeln, um zu überleben

Shabnam von Hein
25. September 2020

Viele Kurden in den strukturschwachen Westprovinzen des Irans leben vom illegalen Grenzhandel und riskieren dabei ihr Leben. Dabei werden die Schmuggler immer jünger und das Geschäft gefährlicher.

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Kulbar – Träger im Irakisch-Iranischen Grenzgebiet
Bild: Mehr

Mani ist 14 Jahre alt. Er war zu Fuß unterwegs auf einem schmalen Schmugglerpfad im Zagros, dem Grenzgebirge zwischen dem Iran und Irak. Auf seinem Rücken trug er vier Gepäckstücke. Sie wogen insgesamt 25 Kilogramm. Mani ging langsam und holte ständig Luft. Der Zagros ist zum Teil über 4000 Meter über dem Meeresspiegel hoch. Und der Weg ist steinig.

Doch der junge Schmuggler und seine Mittäter flogen auf. Sie wurden von iranischen Grenzsoldaten aufgespürt. Mani geriet in Panik, wollte fliehen. Er rutschte aus und stürzte vor Augen seiner Mutter in die Schlucht. Dabei verletzte sich der Junge schwer am Kopf.

Schüler brauchen Smartphone

"Mani ist einer von vielen", erklärt Ribin Rahmani im Gespräch mit der DW. Der kurdische Menschenrechtsaktivist kennt Mani und seine Familie. Mani habe in einem Dorf in der westiranischen Grenzprovinz Kermanshah zum Nachbarland Irak mit seiner alleinerziehenden Mutter und seiner 10-jährigen Schwester gelebt, sagt Rahmani. Letztes Jahr habe er seine Schulprüfungen mit Bestnoten bestanden. Für dieses Jahr brauchten seine Schwester und er ein Smartphone, um am digitalen Unterricht teilzunehmen.

Ein Tweet von Human Rights Activists in Iran zeigt Mani im Krankenhaus

Aufgrund der Corona-Pandemie im Iran sollen die Eltern selber entscheiden, ob ihre Kinder am Präsenzunterricht teilnehmen oder zu Hause bleiben. Bleiben die Schüler zu Hause, werden sie übers Internet unterrichtet. Das Problem: Viele Familien in kleinen Städten und Dörfern besitzen kein Smartphone, geschweige den Zugang zum Internet.  

Um das nötige Geld für ein gebrauchtes Smartphone zu verdienen, ließ sich Mani auf einen gefährlichen Job als "Kolbar" ein. "Kolbar" bedeutet auf Farsi Lastenträger. Er transportiert illegale Güter über die Landesgrenze vom Irak und in den Iran. Für viele in den Grenzprovinzen ist Kolbar eine Vollzeitbeschäftigung und die einzige Einnahmequelle für die Familie. Hier leben sunnitische Minderheiten im mehrheitlichen schiitischen Iran, darunter circa acht Millionen Kurden

Lastenträger auf einem schmalen Schmugglerpfad im Zagros, dem Grenzgebirge zwischen dem Iran und Irak
Lastenträger auf einem schmalen Schmugglerpfad im Zagros, dem Grenzgebirge zwischen dem Iran und IrakBild: Saman Hasankhali

"In kurdischen Gebieten sind viele Menschen als Kolbar tätig. Der Anteil der Frauen und Jugendlichen unter ihnen hat stark zugenommen", sagt Ribin Rahmani. Rahmani lebt in England und arbeitet für ein Netzwerk von kurdischen Menschenrechtsaktivisten, das sich für die bedürftigen Lastenträger im Zagros-Gebirge stark macht. "Die Wirtschaftskrise im Iran führt dazu, dass Kolbar als Job immer beliebter wird", erzählt Rahmani. Andere Verdienstmöglichkeiten gebe es nämlich nicht. Die iranischen Provinzen entlang der Grenze gelten offiziell als "strukturschwache Region". Der Grund: marode Infrastruktur, hohe Arbeitslosigkeit und chronischer Mangel an Krankenhäusern und Schulen.

Alkohol
Alkoholische Getränke, die in Wasserflaschen verpackt sind, wurden von iranischen Behörden sichergestelltBild: MIZAN/A. Shirband

Hohes Risiko, hohe Rendite

Der Schmuggel ist ein lukratives Geschäft. Die beliebtesten Waren aus dem nordirakischen kurdischen Autonomiegebiet sind Computer, Kosmetik, Zigaretten und Alkohol, aber auch sperrige Sachen wie Fernseher und Staubsauger. Alkoholische Getränke sind im Iran verboten und lassen sich auf dem Schwarzmarkt teuer verkaufen. 24 Flaschen Bier zum Beispiel kosten im Irak nur einen US-Dollar, im Iran 20.

Die Lastenträger müssen für jeden Auftrag eine Strecke bis zu 15 Kilometer zurücklegen. Als Honorar erhalten sie je nach Ware, die sie tragen, zehn bis 25 Dollar pro Grenzgang. Iranische Grenzsoldaten haben Schießbefehl, denn nicht selten werden Waffen illegal aus dem irakischen Kurdengebiet ins Land geschmuggelt. Ein Teil der Grenze steht unter Kontrolle der kurdisch-iranischen Widerstandsbewegung.

Sie glaubt nicht, dass Teheran der kurdischen Minderheit mehr sprachliche und kulturelle Rechte einräumt, und träumt - genau wie die Kurden im Irak - von einem eigenen kurdischen Staat. "Die iranische Regierung hat keine adäquate Antwort darauf und löst deswegen die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme im Kurdengebiet mit Gewalt", meint Rahami im Gespräch mit der DW.

Infografik Karte Kurdische Siedlungsgebiete DEU

Tod an der Grenze

Nach Auskunft kurdischer Menschenrechtsorganisationen kommen im Durchschnitt jeden Monat 14 Kolbar ums Leben, durch tödliche Unfälle oder von Grenztruppen erschossen. "Auch sie sind Staatsbürger dieses Landes", beklagt der iranische Parlamentsabgeordnete Jalal Mahmoudzadeh im Gespräch mit der iranischen Nachrichtenagentur Shafaghna vor einer Woche. Mahmoudzadeh, der selber ein Kurde ist, beschuldigt die Regierung um Präsident Hassan Rohani, junge Menschen in kurdischen Gebieten benachteiligt zu haben. Anstatt Arbeitsplätze für sie zu schaffen, würde man sie erschießen. Nicht jeder Kolbar sei ein gefährlicher und bewaffneter Schmuggler.

Mahmoudzadeh und andere Abgeordnete aus den kurdischen Provinzen wollen einen Gesetzentwurf im Parlament vorlegen, der Schüsse auf die Lastenträger an der Grenze untersagt und legale Handelsrouten definiert. Das haben die Abgeordneten allerdings schon einmal nach einem tödlichen Zwischenfall vor sechs Monaten versprochen. Damals waren zwei junge Kolbar bei ihrem Grenzgang von der Lawine erfasst worden. Die zweitägige Suchaktion dominierte die Agenda iranischer Medien. Beide Jugendliche konnten schließlich nur noch tot geborgen werden.

Das Schicksal von Mani hat auch ein großes Medienecho im Iran gefunden. Mani wurde schnell nach Teheran transportiert und in einem guten Krankenhaus operiert. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Ein Sozialverband, der eng mit dem Büro des religiösen und politischen Führers des Irans zusammenarbeitet, hat medienwirksam sämtliche Behandlungskosten übernommen. Mit Menschenrechtsaktivisten möchten Mani und seine Mutter jetzt nicht mehr sprechen.