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Wahlkampf

Peter Philipp, Teheran12. März 2008

Der Iran wählt am Freitag (14.3.) ein neues Parlament. Für die 290 Sitze hat der von konservativen Geistlichen kontrollierte Wächterrat rund 4500 Kandidaten zugelassen. Richtig Wahlkampfstimmung will nicht aufkommen.

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Mann verteilt Handzettel an Passanten auf Gehweg (Quelle: DW)
Ein junger Wahlhelfer verteilt Wahlwerbung an PassantenBild: DW

Man stelle sich vor, es ist Wahlkampf und keiner bemerkt es: So könnte man die Stimmung in Teheran nur Tage vor der Wahl bezeichnen. Am Straßenrand sind Kästen mit Stiefmütterchen aufgestellt, in Aquarien werden Goldfische für das bevorstehende "Nourouz"-Fest angeboten, dem iranischen Neujahr am 21. März. Die Passanten haben mehr Augen für diese Dinge als für die Handzettel, die sie immer wieder in die Hand gedrückt bekommen und auf denen sich Kandidaten für die Parlamentswahlen am kommenden Freitag empfehlen.

Auch die eilig errichteten Stellwände erregen kaum Beachtung, an denen seit letzter Woche Wahlpropaganda gemacht werden darf. Nicht zu groß und nur mit kleinem Photo des Kandidaten. So will es das Gesetz und viele der Zettel sind längst schon wieder vom Wind abgerissen. Die Passanten achten nicht drauf. Sie scheinen sich auch an den Zeitungskiosken nicht sonderlich für die Schlagzeilen der dort ausliegenden Blätter zu interessieren: Die Titel sind ähnlich staatstragend und wenig informativ. Kein Wunder: Die kritischen Zeitungen sind allesamt geschlossen.

Kleiner Wahlkampf unterminiert Kritiker

Vier Männer stehen vor weißen Flipcharts (Quelle: AP, Archivbild)
Der "Wächterrat" hat die Kandidatenlisten um fast ein Drittel zusammengestrichenBild: AP

Eine Moschee in einem westlichen Stadtteil von Teheran. Mindestens 200 Stühle sind aufgestellt, aber nicht einmal ein Viertel davon ist besetzt. Was aber schlimmer ist für den gewichtigen Organisator des Treffens, dem man ansieht, dass er sonst einen ehemaligen Ring-Weltmeister managt: Der Kandidat ist nicht da. Eine Stunde nach Beginn der Veranstaltung steckt er noch im Stau. Das zumindest lässt er den Manager über das Handy wissen, der inzwischen wenigstens einen länglichen Koran-Vortrag organisiert. Die gekommen sind, bleiben. Sie sind wohl dem Redner verbunden. Andere kommen erst gar nicht.

Ähnlich muss es auch auf anderen Versammlungen aussehen. Sie dürfen nur in kleinem und geschlossenem Rahmen stattfinden und überhaupt soll der Wahlkampf möglichst wenig auffallen. Das sei Taktik der Behörden, meint Rasoul Montadschabnia von der "Nationalen Vertrauenspartei" des ehemaligen Parlamentspräsidenten Karroubi. Man wolle gezielt die Chancen der Kritiker und Reformer reduzieren.

Ahmadinedschads stärkster Konkurrent tritt nicht an

Mann sitzt, im Hintegrund gelbe Plastikstühle (Quelle: AP)
Auch Ali Eshraghi, der Enkel von Ayatollah Khomeini, tritt nicht anBild: AP

Obwohl selbst konservative Geistliche, werden die Leute um Karroubi zu den Reformern gezählt. Sie treten aber nicht gemeinsam mit diesen an und ihre Kandidatenliste ist vom "Wächterrat" auch nicht ganz so rigoros zusammengestrichen worden wie die Reformer um Ex-Präsident Chatami und dessen Bruder Reza: Zunächst wurden 2200 der rund 6500 Kandidaten gestrichen, dann wurden wieder einige zugelassen, insgesamt kandidieren jetzt knapp 4500 für die 290 Sitze des Madschlis.

Die Reformer klagen, dass sie höchstens in zwei Dritteln der Wahlbezirke überhaupt antreten können, andere klagen, dass sie erst letzte Woche von ihrer Wiederzulassung erfahren und nun zu wenig Zeit haben für Wahlkampf. Einige haben deswegen resigniert und ihre Kandidatur zurückgezogen. Unter ihnen selbst der Enkel von Revolutionsführer Khomeini, der erst gestrichen, dann wieder zugelassen wurde, nun aber nicht mehr will. Und von Anfang an wollte einer nicht, der weiterhin als starker Mann gilt: Akbar Haschemi Rafsandschani, ehemaliger Präsident und vor drei Jahren knapp Mahmud Ahmadinedschad unterlegen. Er hält sich im Hintergrund und seine besten und bekanntesten Leute auch.

Wenn die schon nicht kandidieren, meint ein Teehaus-Besitzer, was werden dann die anderen im Madschlis anfangen? Der Mann erwartet keine Antwort. Er ist einer der vielen, die in diesen Tagen enttäuscht sind und bestenfalls im letzten Moment dann doch wählen gehen, weil sie dann den Stempel in den Ausweis bekommen, dessen Fehlen einem eines Tages ja vielleicht Unannehmlichkeiten bereiten könnte.

Frauen auf dem Vormarsch

Frauen mit Kopftuch spielen Fußball (Quelle: AP)
Frauen sind im Iran auf dem Vormarsch - nicht nur auf dem FußballfeldBild: AP

Wer sich offenbar aber mehr ins Zeug legt, das sind die Frauen: Im jetzigen Parlament sind sie mit nur knapp acht Prozent vertreten und das soll sich ändern. In Teheran tritt sogar eine Frauenliste an. Im Iran sind die Frauen ohnehin in der Mehrheit und ihre Rolle in der Gesellschaft wird immer wichtiger: Sie sind längst die Mehrheit der Hochschulabsolventen, stellen auch immer mehr Universitätsdozenten und während sie deswegen zusehends Probleme bei der Suche nach einem adäquaten Partner haben, fühlen sich die Männer langsam selbst benachteiligt.

Kürzlich wurde eine "Männerquote" an den Universitäten eingeführt, aber auch sonst sind die Frauen im Alltag "auf dem Vormarsch": So gibt es in der modernen Teheraner Metro zum Beispiel Wagen "nur für Frauen". Die sind aber nur für Frauen, die unter sich sein wollen. Die anderen sitzen in den anderen Abteilen neben Männern - als wäre dies in Berlin, London oder Paris. Der verstärkte Drang ins Parlament ist ein weiteres Zeichen dieser Emanzipation. Wobei Religiosität keine Rolle zu spielen scheint: Religiös-Konservative kandidieren genau so wie reform-orientierte Liberale.

Ob sie dann im Parlament etwas ausrichten können, ist eine andere Frage. Der Macht des Madschlis sind enge Grenzen gesetzt. Gesetze werden vom Wächterrat oder vom "Obersten Führer" kassiert, wenn sie angeblich nicht den islamischen Prinzipien des Staates entsprechen. Aber letztlich ist es natürlich auch im Iran eine Prestigefrage, im Parlament vertreten zu sein. So geben sich die "Profis" dieser Tage gerne volksnah: Einer lässt sich im Eingang zur Metro interviewen, die er sonst wahrscheinlich nicht benützt. Und Parlamentspräsident Gholam Ali Haddad-Adel zog es gar mit Familie ins Theater: Nach der Aufführung vom "Besuch der alten Dame" von Dürrenmatt zeigte er sich beeindruckt, fügte dann aber hinzu, dies sei ein "schwieriges Stück - das muss man besser zweimal sehen".