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Iraks Schiitenführer al-Sadr kehrt zurück

6. Januar 2011

Seinen Name verbinden viele mit der blutigsten Phase des Irakkriegs: Nun ist Muktada al-Sadr, Schiittenprediger und Gründer der Mahdi-Armee, aus dem Exil zurückgekehrt – und könnte zur Befriedung des Irak beitragen.

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Iraks Schiitenführer Muktada al-Sadr bei seiner Rückkehr nach Nadschaf am 05. Januar 2011 (Foto: AP)
Zurück in Nadschaf: Muktada al-Sadr (M.) wurde unter Jubel empfangenBild: AP

Einen Tag nach der Rückkehr Muktada al-Sadrs in den Irak haben sich am Donnerstag (06.01.2011) hunderte Anhänger vor dem Haus des schiitischen Geistlichen in Nadschaf versammelt. Mit Gewehren bewaffnete Leibwächter in Splitterschutzwesten bezogen nach Agenturangaben Posten vor dem Haus im Viertel al-Hanana. Der radikale irakische Schiitenprediger Muktada al-Sadr war tags zuvor nach vier Jahren im selbst auferlegten Exil in sein Heimatland zurückgekehrt. Wie sein Büro mitteilte, traf al-Sadr am Mittwoch in der Pilgerstadt Nadschaf ein. Danach begab sich der Politiker anschließend unter dem Jubel seiner Anhänger in das Imam-Ali-Mausoleum, eines der wichtigsten schiitischen Heiligtümer. Im Anschluss an den Besuch in der Moschee wollte er den Großayatollah Ali Sistani aufsuchen, den einflussreichsten schiitischen Würdenträger im Irak. Al-Sadr sei nicht nur zu einem Besuch nach Nadschaf gereist, sondern wolle dauerhaft bleiben, verlautete aus seinem Umfeld.

Selbst auferlegtes Exil im Iran

Iraks Schiitenführer Muktada al-Sadr in einer Aufnahme von 2004 (Foto: AP)
Al-Sadr führte seine Mahdi-Miliz zwischen 2004 in einen blutigen Kampf gegen die US-TruppenBild: AP

Die vergangenen vier Jahre verbrachte Muktada al-Sadr hauptsächlich im Iran, wo er nach Angaben seiner Bewegung in der Stadt Ghom religiösen Studien nachging. Der Sohn des 1999 ermordeten Ajatollah Sadiq as-Sadr unterhält enge Beziehungen zur iranischen Führung und ist bei vielen Schiiten im Irak sehr beliebt. Die meisten Anhänger hat der junge Geistliche in den schiitischen Armenvierteln von Bagdad. Mit der unter seiner Führung formierten Mahdi-Miliz hatte al-Sadr 2004 von Nadschaf aus zwei blutige Aufstände gegen die US-Truppen gestartet, in deren Verlauf hunderte seiner Gefolgsleute starben. Zugleich werden Mahdi-Milizionäre für viele der religiös motivierten Tötungen verantwortlich gemacht. Er war lange Zeit Chef der 60.000 Mann starken Mahdi-Miliz, erklärte sein militärisches Engagement jedoch im August 2008 für beendet. Per Haftbefehl gesucht, hatte al-Sadr den Irak zwischen 2006 und 2007 in Richtung Iran verlassen.

Als sich im vergangenen Jahr abzeichnete, dass die Sadr-Bewegung an der neuen Regierung von Ministerpräsident Nuri al-Maliki beteiligt werden würde, zeigten die ehemaligen Mitglieder der Mahdi-Armee in Bagdad wieder mehr Präsenz. Während der sich über Monate hinziehenden Verhandlungen über eine Regierungsbildung war keineswegs sicher, dass al-Sadrs schiitische Fraktion für eine "Regierung der nationalen Einheit" unter al-Maliki zur Verfügung stünde. In seiner ersten Amtsperiode hatte der Schiit al-Maliki die militärische Niederschlagung der Mahdi-Miliz mithilfe der US-Truppen betrieben. Anfang Oktober 2010 gaben die Sadristen nach einem offenbar von Iran eingefädelten Deal ihre Unterstützung für al-Maliki bekannt. Erst damit war das größte Hindernis für dessen Wiederwahl im Dezember aus dem Weg geräumt. In dessen neuer Regierung bekleiden Sadristen nun acht der insgesamt mehr als drei Dutzend Ministerien. Welche Zugeständnisse al-Maliki dafür an al- Sadrs antiamerikanischer Gruppierung machen musste, bleibt unklar.

al-Sadr-loyale Kämpfer in Basra am 27. März 2008 (Foto: AP)
Al-Sadr-loyale Kämpfer in Basra im März 2008. Im gleichen Jahr erklärte der Schiitenführer sein militärisches Engagement für beendetBild: picture-alliance/ dpa

"Könnte Brückenfunktion erfüllen"

Das US-Militär, westliche Politiker wie auch sunnitische Araber betrachten al-Sadr weiterhin mit Skepsis. Und doch könnte der in der westlichen Wahrnehmung weithin für Gewalt und Fanatismus stehende Politiker im tief zerrissenen Irak eine integrative Rolle spielen. "Al-Sadr könnte eine Brückenfunktion zwischen Schiiten und Sunniten erfüllen", glaubt Nahost-Experte Stephan Rosiny vom Hamburger GIGA-Institut. Der Familienname des Sadr-Clans stünde im Irak für so etwas wie einen arabischen, "schiitisch-nationalistischen Islamismus", so Rosiny gegenüber DW-WORLD.DE. Anders als andere ethnisch-religiöse Fraktionen betreibt al-Sadrs Bewegung etwa keine Schwächung des irakischen Zentralstaats.

Doch auch Nahost-Experte Rosiny betont bei Vorhersagen von al-Sadrs zukünftiger Rolle den Konjunktiv. Nach wie vor verfolgt der Prediger aus Nadschaf eine stark schiitisch geprägte Agenda. Die zentrale Frage bleibt, ob die Sadristen-Bewegung weiter auf den politischen Prozess setzt, oder doch erneut auf Gewalt setzt. "Deswegen halten momentan alle den Atem an", zitiert die "Washington Post" am Donnerstag (06.01.2011) J. Scott Thomas, der während der blutigsten Zusammenstöße zwischen US-Truppen und Mahdi-Miliz als Staatssekretär im US-Außenministerium für den Nahen Osten zuständig war. Das US-Außenministerium selbst reagierte zurückhaltend auf die Nachricht von al-Sadrs Rückkehr nach Nadschaf. "Es steht uns nicht zu, für oder gegen einen bestimmten Führer im Irak zu sein", zitiert die Tageszeitung US-Außenamtssprecher Crowley.

Autor: Sven Töniges (mit dpa, ap)

Redaktion: Thomas Latschan