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Online-Trend

Das Gespräch führte Haytham El-Wardany21. Oktober 2008

Online-Aktivitäten gehören mittlerweile für Medienanstalten zum Alltag. Thorsten Held, Experte für Informationsrecht, erklärt im DW-WORLD-Interview die Schwierigkeiten für die öffentlich-rechtlichen Medien.

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Computermouse (Foto: Bilderbox)
Mit der Mouse geht es ins NetzBild: bilderbox

DW-WORLD.DE: Die öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen in Deutschland beschweren sich über die Problematik, auf die sie bei ihren Online - Aktivitäten stoßen. Trifft dies auch für die anderen europäischen Länder zu?

Thorsten Held, Referent am Hans-Bredow-Institut und Experte für Informationsrecht (Foto: Held)
Thorsten Held, Referent am Hans-Bredow-Institut und Experte für InformationsrechtBild: Thorsten Held

Thorsten Held: Die Europäische Kommission hat in Verfahren gegen mehrere europäische Staaten geprüft, ob die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit den europäischen Regeln für staatliche Beihilfen im Einklang steht. Gegenstand einiger dieser Verfahren waren auch die Online-Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, nicht nur in Deutschland, sondern etwa auch in Dänemark, Großbritannien, Belgien und Irland. Auch in den Verfahren gegen Österreich und die Niederlande geht es um Dienste im Internet.

In ihren Entscheidungen betont die Kommission, dass es von zentraler Bedeutung ist, dass es eine klare Definition der Dienste gibt, mit denen die öffentlich-rechtlichen Anbieter beauftragt sind, damit sich die private Konkurrenz darauf einstellen kann.

Der Vorschlag, in Deutschland einen Drei-Stufen-Test für Online-Dienste ins Leben zu rufen, stammt von Deutschland selbst. Dabei hat sich Deutschland an dem in Großbritannien bestehenden "Public Value Test" orientiert; der Test unterscheidet sich aber in mehreren Punkten vom britischen Modell. Die Europäische Kommission hat den Vorschlag Deutschlands angenommen und das Verfahren eingestellt. Allerdings wird die Kommission die Umsetzung der von Deutschland versprochenen Maßnahmen prüfen.

Das Beispiel Deutschlands könnte auch in Österreich Schule machen. Auch in diesem Verfahren schlägt die Kommission die Einführung eines vergleichbaren Tests vor.

Die EU-Kommission möchte einen "Public Value Test" einführen, um die Web-Aktivitäten besser zu kontrollieren. Wie ist der Ablauf dieses Prozesses?

Da sich der Test in Deutschland vom "Public Value Test" in Großbritannien unterscheidet, hat sich in Deutschland der Begriff des Drei-Stufen-Tests durchgesetzt. Ziel des Tests ist es, Transparenz und Vorhersehbarkeit für die Konkurrenten der Rundfunkanstalten zu schaffen, ohne die im Grundgesetz verankerte Staatsfreiheit des Rundfunks zu verletzten. Eine staatliche Definition, die festlegt, welcher Dienst mit welchem Inhalt angeboten wird, würde gegen die Staatsfreiheit verstoßen. Daher ist in Deutschland vorgesehen, dass die Rundfunkanstalten auf der Basis einer gesetzlichen Definition selbst bestimmen, welche Online-Dienste sie anbieten. Sie müssen aber vor dem Angebot ein bestimmtes Verfahren durchführen, den Drei-Stufen-Test: Dabei muss erstens geprüft werden, ob das geplante Angebot den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht. Zweitens kommt es darauf an, ob das Angebot in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb beiträgt. Dabei sind auch Auswirkungen des Angebots auf die Konkurrenz einzubeziehen. Und drittens muss der finanzielle Aufwand für das neue Angebot transparent gemacht werden.

Während des Verfahrens können Dritte, also etwa private Konkurrenten, Stellungnahmen abgeben. Der derzeitige Entwurf der Änderung des Rundfunkstaatsvertrags, wodurch die Kommissionsentscheidung in Deutschland umgesetzt werden soll, sieht außerdem vor, dass zur Frage der wirtschaftlichen Auswirkungen des Angebots auf die Konkurrenz ein externes Gutachten eingeholt werden muss.

Am Ende des Verfahrens entscheidet das jeweilige interne Gremium der Rundfunkanstalten darüber, ob es das neue Angebot genehmigt. Eine Genehmigung durch eine externe Institution, wie sie in Großbritannien erfolgt, ist im aktuellen Entwurf der Änderung des Rundfunkstaatsvertrags nicht vorgesehen.

Welche Rolle spielen die politischen Interessen in der aktuellen Debatte?

Aktuell stehen sich vor allem die Interessen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und der Zeitungsverleger gegenüber. Letztere erkennen, dass Funktionen der Zeitung zunehmend ins Internet abwandern und sehen daher die gebührenfinanzierte Konkurrenz mit Sorge. Gesellschaftspolitisch stellt sich die Frage, welche gesetzlichen Vorgaben das Ziel freier Meinungsbildung im Internet am besten verwirklichen. In der Politik lässt sich keine eindeutige Lagerbildung anhand der Parteigrenzen erkennen; allerdings votieren Parteivertreter, die stärker in die Kräfte des freien Marktes vertrauen, eher für eine Beschränkung des Betätigungsfeldes der Rundfunkanstalten. Bei der Änderung des Rundfunkstaatsvertrags wird es vermutlich auf einen Kompromiss hinauslaufen, wonach den Rundfunkanstalten presseähnliche Angebote untersagt werden; was darunter fällt, ist aber weitgehend unklar und wird wohl in Zukunft viele Juristen beschäftigen.

Die Wettbewerbsverzerrung gilt als Hauptargument gegen die Online-Ausbaupläne der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten. Warum betrifft dies nicht auch andere Medien wie zum Beispiel das Fernsehen?

Das Argument war in früheren Debatten auch schon im Hinblick auf den klassischen Rundfunk zu hören. Im Online-Bereich besteht die Besonderheit, dass hier die Rundfunkanstalten auf Anbieter treffen, die bisher nicht mit öffentlich-rechtlicher Konkurrenz leben mussten. Die Pressevertreter werfen die Frage auf, warum bei der gedruckten Presse in den Wettbewerb kommerzieller Anbieter vertraut wird, während im Online-Bereich das duale System des Rundfunks fortgeschrieben werden soll. Dazu kommt, dass die Werbefinanzierung von Zeitungsinhalten im Netz noch immer mit Schwierigkeiten verbunden ist. Einige Verleger argumentieren, dass die Expansion der gebührenfinanzierten Rundfunkanstalten den Bestand und die Entwicklung der privaten Presse gefährden würde.

Besteht Ihrer Meinung nach der Bedarf, die öffentlich-rechtlichen Verträge zu ändern?

Die Entscheidung der Europäischen Kommission macht es erforderlich, die Rechtsgrundlagen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu ändern. Dies geschieht aktuell durch den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag. Neben der Einführung des Drei-Stufen-Tests enthält der Entwurf erstmals eine ausdrückliche Beauftragung mit Online-Angeboten. Diese sind bisher nur als Annex zum klassischen Rundfunk, als programmbegleitende Angebote zulässig. Der Schritt zu einem eigenständigen Online-Auftrag ist aus meiner Sicht notwendig, damit die Rundfunkanstalten auch zukünftig ihre Funktion erfüllen können. Der Drei-Stufen-Test ermöglicht es, die verschiedenen Interessen bei der Entscheidung über die Aufnahme eines neuen Dienstes zu berücksichtigen. Außerdem schafft er die erforderliche Klarheit und Vorhersehbarkeit für die privaten Anbieter. Nun gilt es zu beobachten, ob sich dieser Test in der Praxis bewährt.

Gibt es, jenseits der öffentlich-rechtlichen und privaten Unternehmen, noch Platz für einen unabhängigen Online-Journalismus?

Freie Meinungsbildung lebt von der Konkurrenz verschiedener Angebote und Anbietertypen. Somit tragen auch Weblogs und nicht-kommerzielle Journalisten-Plattformen zur öffentlichen Kommunikation bei. Allerdings darf man nicht verkennen, dass zumindest die politische Meinungsbildung derzeit noch weitgehend über Organisationen wie Verlage oder Rundfunkveranstalter erfolgt, die über die Mittel verfügen, umfassende Recherche innerhalb eines breiten Themenspektrums zu leisten. Initiativen von Einzelpersonen oder von nicht-kommerziellen Plattformen können aber das Meinungsspektrum um kritische Auseinandersetzungen mit den etablierten Medien erweitern. Spannend zu beobachten wird es in der Zukunft sein, ob solche Angebote für bestimmte Nutzergruppen nicht nur eine ergänzende Funktion haben, sondern als Alternative zu klassischen Medienanbietern gesehen werden. Bei den Lexika macht ja zumindest für jüngere Generationen Wikipedia das Rennen gegenüber Verlagen. Bei den journalistischen Angeboten sehe ich aber noch keine vergleichbare Entwicklung. Aber wie gesagt: Eine wichtige Ergänzungsfunktion kommt alternativen Anbietern in jedem Fall zu.

Dr. Thorsten Held ist wissenschaftlicher Referent am Hans-Bredow-Institut, und gehört seit 2004 außerdem als in Hamburg zugelassener Rechtsanwalt dem Büro für informationsrechtliche Expertise (i.e.) an. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit am Institut liegt auf der Frage, wie die verfassungsrechtlichen Vorgaben für öffentliche Kommunikation auch unter veränderten technischen und gesellschaftlichen Bedingungen erfüllt werden können.