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Im Hungerstreik

Olja Melnik23. November 2006

Seit mehr als vier Wochen befindet sich der belarussische Oppositionspolitiker Alexander Kosulin im Hungerstreik. Damit will der politische Gefangene auf den katastrophalen Umgang mit Menschenrechten aufmerksam machen.

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Alexander Kosulin vor seiner Verhaftung
Alexander Kosulin vor seiner VerhaftungBild: AP
Alexander Lukaschenko
Alexander LukaschenkoBild: AP

Alexander Kosulin ist ein gefährlicher Mann: Bei der letzten Präsidentschaftswahl im März galt der Chef der Vereinigten Bürgerpartei neben Alexander Milinkewitsch als einer der schärfsten Herausforderer des autoritären Amtsinhabers Alexander Lukaschenko. Die Wahl sah er als eine Chance, die Entwicklung in Belarus zum Positiven zu wenden. Doch das offizielle Wahlergebnis übertraf seine schlimmsten Befürchtungen: Demnach erhielt Kosulin knapp zwei Prozent der Stimmen, im Gegensatz zu Lukaschenko, für den über 80 Prozent der Wähler gestimmt haben sollen.

Zuversicht bis zur Verhaftung

Keiner zweifelte daran, dass dieses Ergebnis gefälscht wurde. Als Zeichen des Protests hat Kosulin die Mitbürger dazu aufgerufen, auf die Straße zu gehen, um friedlich gegen die Wahlfälschung zu demonstrieren. Rund 10.000 Menschen sind seinem Aufruf gefolgt. Knapp eine Woche dauerten die Proteste auf dem zentralen Oktoberplatz, wenige Tage darauf wurde Alexander Kosulin verhaftet.

Kurz vor seiner Verhaftung zeigte sich Kosulin noch zuversichtlich. "Ich komme mir wie ein Katalysator vor, der die Stimmung im Land gesprengt und den Menschen den Glauben an sich selbst gegeben hat. Wir lassen uns nicht unterkriegen", erklärte er.

Jahrelange Haft für "Rowdytum"

Im Juli ist Alexander Kosulin zu fünfeinhalb Jahren Haft wegen "Rowdytum" verurteilt worden. Er hätte seine Landsleute zu Massenunruhen angestiftet und somit gegen die geltende Staatsordnung verstoßen. Seit dem 20. Oktober hat der 50-Jährige keine feste Nahrung mehr zu sich genommen.

Geheimdienstagenten verprügeln im März Kosulin, nachdem dieser versucht hatte, eine Konferenz mit Präsident Lukaschenko zu betreten
Geheimdienstagenten verprügeln im März Kosulin, nachdem dieser versucht hatte, eine Konferenz mit Präsident Lukaschenko zu betretenBild: AP

Alexander Kosulin hungere nicht gegen sein ungerechtes Gerichtsurteil, sagt seine Frau. Heute gebe es in Belarus ein viel wichtigeres Problem, auf das er die Weltöffentlichkeit aufmerksam machen wolle. "Unser Präsident hat eigentlich kein Recht darauf, im Amt zu bleiben", sagt sie. "Darüber redet aber keiner, es gibt keinerlei Proteste. So wird er als rechtmäßiger Präsident akzeptiert. Dagegen protestiert mein Mann mit seinem Hungerstreik."

In ihrem Kampf gegen das diktatorische Regime im Lande fühlt sich Irina Kosulina allein gelassen. Die Opposition unternehme viel zu wenig, um die Situation in Belarus zu verändern, beklagt sie. Die Erklärung dafür liege auf der Hand: "Die Opposition hat Angst. Nicht jeder ist bereit, ins Gefängnis zu gehen. Wenn einer jedoch diesen Weg einschlägt, sollte er das auch durchziehen, um so gegen das Regime zu kämpfen."

Isoliert von der Außenwelt

Zum letzten Mal hat sie ihren Mann vor fünf Wochen gesehen, bevor er in den Hungerstreik getreten ist. Sein Gesundheitszustand wird von der Leitung des Gefängnisses, das 300 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Minsk liegt, geheim gehalten. Über das Wohlbefinden ihres Mannes weiß seine Frau nur aus Berichten eines anderen politischen Gefangenen, der kürzlich freigelassen worden ist.

Demonstration gegen Wahlfälschungen im März in Minsk
Demonstration gegen Wahlfälschungen im März in MinskBild: AP

Der ehemalige Abgeordnete Sergej Skrebez hat aus Solidarität zu Kosulin 27 Tage lang den Hungerstreik gehalten. Nach seinen Worten hat sich der Gesundheitszustand des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten in den letzten Wochen deutlich verschlechtert. "Er ist körperlich erschöpft, seine Reaktionen sind langsamer geworden, der Blutdruck sinkt, auch die Körpertemperatur", sagt Skrebez. "Kosulin hat bereits 20 Prozent seines Körpergewichtes verloren. Auch sein Herz und seine Nieren arbeiten nicht mehr normal."

Alexander Kosulin müsse seine Zelle mit 16 weiteren Häftlingen teilen, so Skrebez. Der Kontakt mit ihnen sei aber streng untersagt. Kosulin dürfe auch keinerlei Verbindungen zur Außenwelt haben. Es gebe einen entsprechenden Befehl von oben, so Skrebez. "Dort werden elementare Menschenrechte verletzt", sagt er. "Man darf nicht duschen, man ist nicht telefonisch erreichbar, man darf keinen Besuch empfangen und keine Mitbringsel entgegennehmen."

Zwangsernährung durch Gefängnis-Ärzte

Den Gefängnis-Ärzten vertraut Skrebez nicht. Er hält es für sehr wahrscheinlich, dass Kosulin dazu gezwungen wird, seinen Hungerstreik zu beenden. Es gebe dafür eine Methode, die im Gefängnis praktiziert wird, so Skrebez: "Die warme Nahrung wird einfach durch ein Rohr in den Magen gestopft. So wollten die auch bei mir vorgehen."

Ein Transporter bringt Kosulin im Juli zu seinem Prozess
Ein Transporter bringt Kosulin im Juli zu seinem ProzessBild: picture-alliance/ dpa

Aus Solidarität zu Kosulin sind Dutzende von Menschen landesweit in den Hungerstreik getreten. Auch Kosulins Töchter, Julia und Olga, haben sich am 18. November dem Hungerstreik angeschlossen. "Ich bin bereit so lange zu hungern, wie es für meinen Vater notwendig ist", sagt Julia Kosulina. Je mehr Menschen am Hungerstreik teilnehmen, desto höher ist die Chance, dass ihr Vater bald freigelassen wird, so die 22-jährige Studentin. Das hofft auch Kosulins Parteifreund, Alexei Korol, der jetzt die Führung der Sozialdemokratischen Partei übernommen hat. Die Unterstützung Kosulins in den eigenen Parteireihen sei groß, bekräftigt Korol.

Das Ausland hält sich bedeckt

Es werde sicherlich einige Zeit beanspruchen, bis die belarussische Frage auf die Tagesordnung des UN-Sicherheitsrates kommt, sagt Korol. Das momentane Ziel sei es, diese Frage zur Abstimmung einzubringen. Jedes der fünf seiner ständigen Mitglieder sollte sich dafür einsetzen. Seine Partei habe bereits 8000 Unterschriften für Kosulins Freilassung gesammelt. "Wir haben auch sämtliche europäischen Regierungen und Bürgerrechtler über Kosulins Hungerstreik benachrichtigt und um Stellungnahme gebeten."

Bisher gab es nur vereinzelte Reaktionen, sagt Kosulins Stellvertreter. "Wir weisen noch einmal darauf hin, dass die Verurteilung Kosulins unverholt politischer Natur war", erklärte etwa der Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin, Martin Jäger. "Die Bundesregierung fordert deshalb die weißrussische Regierung erneut mit Nachdruck auf, Herrn Kosulin, sowie sämtliche weitere politischen Gefangenen unverzüglich freizulassen."

Doch Kosulins Frau Irina gibt sich damit nicht zufrieden. Täglich prüft sie auf der Internet-Seite des UN-Sicherheitsrates, ob der Fall ihres Mannes auf der Agenda erschienen ist. Doch bisher war ihre Suche vergeblich. So wie es aussieht, wird Alexander Kosulin auch seinen 51. Geburtstag am 25. November hinter Gittern feiern müssen.