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Nanotechnologie zur Infarktdiagnose

19. November 2011

Bald könnte es möglich sein, vorherzusagen, wer wahrscheinlich in naher Zukunft einen Herzinfarkt erleiden wird. Denn dank der Nanotechnologie können sich Mediziner jetzt Blutgefäße sehr viel genauer ansehen als bisher.

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Eine Entzündung, die im CT mit Nano-Teilchen sichtbar gemacht wurde (Foto: EIMI/European Institut for Molecular Imaging, Universität Münster)
Bild: EIMI Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Blutgefäße sind normalerweise innen schön glatt. An ihnen kann nichts haften und die Blutzellen flutschen reibungslos an den Gefäßwänden entlang. So können sie den Sauerstoff schnell in die Muskelzellen befördern, wo er gebraucht wird. Das geht so lange gut, bis eine Entzündung auftritt. Diese entsteht in den Wänden der Blutgefäße. Ausgelöst wird sie durch bestimmte Proteine, sogenannte Matrix-Metalloproteasen oder auch MMPs.

Professor Michael Schäfers vom European Institute for Molecular Imaging - EIMI Westfälische Wilhelms-Universität Münster spricht auf der 4. NRW-Nanokonferenz am 18.10.2011 in Dortmund (Foto: DW/Fabian Schmidt)
Schäfers forscht an scharfen CT-AufnahmenBild: DW/Fabian Schmidt

Diese MMPs führen Anfangs zu einer Beschädigung der vorher glatten Zellwand. Dadurch können weiße Blutkörperchen, sogenannte Leukozyten, in die Zellwand eindringen, wo sie Kalkablagerungen, arteriosklerotische Plaques, bilden. Und damit setzt sich ein Teufelskreis in Gang.

"Durch die Infektion kommen immer mehr Leukozyten in die Gefäßwand, die Plaque wird dicker. Das bewirkt auch, dass Muskelzellen an die entzündete Stelle strömen und dort eine fibröse Kappe bilden" erklärt Michael Schäfers von der Universitätsklinik Münster. "Dann zersetzen die Matrix-Metalloproteasen diese Kappe. Die Gefäßwand kann aufreißen, das Gefäß verschließt und es kommt zum Herzinfarkt." Wenn dieser Prozess an einem Hirn versorgenden Gefäß abläuft, folgt ein Schlaganfall.

Risikogruppen zu kennen, reicht nicht

In den Industrieländern stirbt etwa jeder zweite Mensch an den Folgen eines Infarkts. Ärzte wissen zwar, dass bestimmte Faktoren wie Fettleibigkeit, Diabetes, Rauchen, Alkoholkonsum, wenig Bewegung und fettes Essen das Risiko einer Verschlusskrankheit der Blutbahnen erhöhen. Doch bislang ist es ihnen nicht gelungen, einen einen akut bevorstehenden Infarkt bei einem Patienten zu erkennen.

Denn um vorherzusagen, ob es jemanden mit hoher Wahrscheinlichkeit in wenigen Jahren treffen wird, reicht es nicht aus, seine Ernährungs- und Genussgewohnheiten zu kennen und zu wissen, ob er Sport treibt. Die Ärzte müssen wissen, ob es in den Blutgefäßen bereits gefährliche Entzündungen gibt. Und dazu müssen sie in den Körper des Patienten hineinschauen.

Eine arterielle Entzündung entsteht. Matrix-Metalloproteasen fressen die Gefäßwand an. Weiße Blutkörperchen (Leukozyten) dringen ein. Muskelzellen wandern in die Schwellung. Eine fibröse Kappe bildet sich und platzt auf. Es kommt zum Gefäßverschluß (DW-Grafik: Olof Pock/ Quelle: EiMi Universität Münster)
MMPs fressen die Zellwand an und lösen eine Entzündung aus - So kommt es zum Infarkt

Schon jetzt können Ärzte im Körper des Patienten allerhand erkennen. Zum Beispiel lassen sich die Blutbahnen sichtbar machen, indem die Ärzte ein radioaktives Kontrastmittel spritzen und den Patienten in einen speziellen Computertomographen stecken. Diese Geräte nehmen ein dreidimensionales Röntgenbild auf und bilden die Blutbahnen ab, die zuvor mit dem Kontrastmittel sichtbar gemacht wurden. Falls aufgrund einer Entzündung eine Verengung der Blutbahn vorliegt, können die Ärzte das erkennen. Aber nur dann. Denn nicht immer führt eine solche Entzündung auch zu einer Verengung der Gefäße.

Das Unsichtbare erkennen

"Das Problem, das wir haben: Sie sehen nicht die Gefäßwand, wo die Entzündung wirklich ist, sondern sehen nur das Kontrastmittel", bedauert Schäfers. Das bedeutet, die Ärzte erkennen im CT eine Blutsäule, die gefärbt ist. Wenn dann eine Verengung sichtbar wird, können sie eine Entzündung erahnen. Aber es kann auch Entzündungen an Stellen geben, die unsichtbar bleiben. "Wir wissen inzwischen, dass die meisten Herzinfarkte aus Arealen kommen, die nur eine geringe oder überhaupt keine Verengung haben", so der Mediziner.

Zwar sind auch die Kalkablagerungen im Computertomographen sichtbar, weil sie eine höhere Dichte haben als die Zellen, aber auch das muss nicht auf eine akute Infarktgefahr hinweisen. "Kalk kann da 20 Jahre nach einer Entzündung liegen, die aber jetzt nicht mehr aktiv ist", so Schäfers. Deshalb reiche es nicht aus zu wissen, ob eine Verengung und Kalk vorhanden sind, um mit Sicherheit einen drohenden Infarkt zu prognostizieren.

Eine Entzündung, die im CT mit Nano-Teilchen sichtbar gemacht wurde (Foto: (Hermann S, Ropinski T, Schäfers M, SFB 656, EIMI/European Institut for Molecular Imaging, Universität Münster)
Eine Mäuse-Aorta in einer CT Aufnahme. Die MMPs in der Entzündung leuchten gelbBild: EIMI Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Die Lösung des Problems liefert die Nanotechnologie. Den Medizinern ist es gelungen Moleküle zu basteln, die sich an die Proteine heften, die die Entzündung auslösen. Diese Moleküle nennen sich Tracer, weil sie die Entzündung in einem Computertomographen sichtbar machen können. Dazu versetzen die Wissenschaftler sie mit Radioaktivität oder mit einem Fluoreszenz-Farbstoff. "Dann bringe ich das Licht oder die Radioaktivität nach außen und kann das messen. Auf einmal wird der Körper transparent für die Molekülzusammensetzung bestimmter Organe", erklärt Schäfers das Verfahren.

Entzündung statt Blutbahn sichtbar machen

Bei toten Mäusen ist es den Wissenschaftlern auf diese Weise bereits gelungen, arteriosklerotische Entzündungen in den Gefäßwänden dreidimensional sichtbar zu machen. Bevor sie die Technik am lebenden Menschen anwenden können, müssen sie aber noch eine Hürde nehmen: Da die radioaktive Strahlung der Tracer sehr gering ist, das Blut aber in den Adern pulsiert, verwackeln die Bilder und sind unscharf. Diese Unschärfen versuchen die Wissenschaftler am Computer wieder herauszurechnen.

Wenn die Forscher es schaffen, diese Technik auch beim Menschen anzuwenden, könnten sie - anhand der entzündungsauslösenden Matrix-Metalloproteasen - jedem Patienten sein ganz persönliches Herzinfarkt-Risiko voraussagen: "Wenn wir sehen könnten, wie viele MMPs da sind, könnten wir sagen: Einer mit vielen MMPs hat ein hohes Risiko, einer mit wenigen MMPs hat ein niedriges Risiko. Dann könnten wir differenzieren und personalisiert sagen: Du brauchst eine intensive Therapie und Du brauchst sie nicht."

Porträt des Erfinders der Nano-Eisen Tumortherapie Prof. Dr. Andreas Jordan (Foto: Magforce)
Jordan sieht Chancen für Diagnose und TherapieBild: Mag Force

Zudem bietet diese Technik auch neue Diagnosemöglichkeiten weiterer Krankheiten, bei denen eine Früherkennung entscheidend für den Behandlungserfolg ist, sagt der Biologe Andreas Jordan. Beispielsweise könnte die Erkennung der Matrix-Metalloproteasen auch bei der Krebsvorsorge oder der Erkennung Multipler Sklerose helfen, einer Entzündung des Zentralen Nervensystems, die nur bei frühzeitiger Erkennung eingedämmt werden kann, ansonsten zu Lähmungen bis hin zum Tod führt.

Bei beiden Krankheiten sind ebenfalls MMPs an der Entstehung von Entzündungen beteiligt. "Wenn wir dadurch frühzeitig Krankheiten erkennen, können wir auch ein spezifisches therapeutisches Konzept entwickeln", so Jordan, der als Pionier der klinischen Nutzung der Nanotechnologie bereits erfolgreich ein System zur Wärmebehandlung von Tumoren entwickelt und zur Marktreife gebracht hat.

Autor: Fabian Schmidt
Redaktion: Judith Hartl