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Individualität erwünscht

Lydia Heller9. Januar 2014

Fünf Jahre lang war die chinesische Rechtswissenschaftlerin Xuezhe Zhang als Stipendiatin in Deutschland. Sie lernte zu diskutieren und Juristen-Deutsch zu sprechen. Das bringt sie jetzt ihren Studenten in Peking bei.

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Xuezhe Zhang, Rechtswissenschaftlerin aus China (Foto: DW/Lydia Heller)
Bild: DW/L. Heller

Diese bunten Haare! Braune, blonde und rote, sogar grüne und blaue Haare! Die bunten Haare der Leute in den Straßen von Berlin waren wie eine Visitenkarte, die Deutschland Xuezhe Zhang zusteckte, als sie 2001 kurz nach ihrem Jura-Studium aus Peking hierher kam. "Aus China kannte ich zu der Zeit genau drei Haarfarben: schwarz, grau und weiß. Niemand hat sich damals dort die Haare gefärbt. Ich habe gleich gespürt, dass die Menschen hier verschiedener sind, dass Individualität wichtig ist."

Mehr als zehn Jahre später ist Xuezhe Zhang wieder in Berlin. Sie sitzt an ihrem Arbeitstisch in einem Großraumbüro der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin und studiert aktuelle Literatur zum Verbraucherschutzrecht. Es ist das Rechtsgebiet, über das sie damals mit einem Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung in Deutschland promoviert hat und das sie inzwischen selbst unterrichtet. Xuezhe Zhang ist heute Professorin am Chinesisch-Deutschen Institut für Rechtswissenschaft in Peking, einem Gemeinschaftsprojekt der Chinesischen Universität für Rechtswissenschaft und Politik und den deutschen Universitäten in München, Freiburg, Frankfurt, Köln und Hamburg.

Angst vor Juristen-Deutsch

Ohne ihr Promotionsstipendium und ohne die Jahre in Deutschland, erzählt die kleine Frau mit sanfter Stimme, würde sie jetzt wahrscheinlich immer noch in der Rechtsabteilung eines chinesischen Unternehmens arbeiten. Das war ihr Beruf, bevor sie nach Deutschland kam - er war gut bezahlt und er machte ihr Spaß. Aber? "Mein Mann ist auch Jurist, und er lebte schon in Berlin. Wir wollten zusammen sein. Außerdem ist mein Fachgebiet Zivilrecht, und jeder, der sich für Zivilrecht interessiert, will eigentlich in Deutschland studieren. Weil es hier eine lange Tradition dafür gibt."

Professorin Xuezhe Zhang mit Studenten (Foto: Xuezhe Zhang/ privat)
Viel Raum für Diskussionen: Die Jura-Professorin hat immer ein offenes Ohr für ihre StudentenBild: Xuezhe Zhang

Trotzdem: Xuezhe Zhang fürchtete die Trennung von den Eltern und die deutsche Sprache. "Ich war ja schon 30 Jahre alt, als ich nach Deutschland kam", lacht sie. Und in der Tat - Deutsch zu lernen war für die Juristin eine große Herausforderung. Denn eigentlich habe sie zwei Sprachen neu lernen müssen: Deutsch und Juristen-Deutsch. "Ich habe am Anfang sehr, sehr langsam gelesen und lange gebraucht, um Texte durchzuarbeiten. Erst als ich gemerkt habe, dass es auch Deutschen schwerfällt, deutsche Gesetzestexte zu verstehen, hab ich mich beruhigt."

Xuezhe Zhang vor dem Reichstag in Berlin (Foto: Xuezhe Zhang/ privat)
In Berlin kennt sich Xuezhe Zhang mittlerweile sehr gut ausBild: privat

Deutsche Diskussionskultur

Letztlich waren es genau die Deutschkurse und die vielen Seminare und Kolloquien mit Kommilitonen und Mitstipendiaten, die sie geprägt haben, erzählt Xuezhe Zhang. Vor allem, dass dort viel selbstständig gearbeitet, viel gemeinsam erörtert und viel diskutiert wurde. "In China ist gerade das Jurastudium immer noch sehr dogmatisch. Da wird viel gelernt, aber wie man die Gesetze in der Praxis anwendet, das wird fast gar nicht geübt." Dass Studenten in kleinen Gruppen Fälle diskutieren und Meinungen austauschen, gäbe es in China fast gar nicht, sagt sie. "Ich musste lernen, eine Position zu erarbeiten und durchzusetzen. Das war am Anfang sehr schwer für mich hier. Nicht nur, weil mein Deutsch nicht so gut war, es war einfach ziemlich ungewohnt."

Jetzt, als Dozentin, arbeitet Xuezhe Zhang mit ihren Studenten genau nach diesem Prinzip - anwendungsbezogen und mit viel Raum für Diskussionen. Viele junge Chinesen orientierten sich stark nach Amerika und Europa, ihnen gefalle das. "Aber es gibt auch viele, die sagen, sie könnten so nicht lernen und die deshalb nicht in meine Kurse kommen." Auch einige ältere Professoren-Kollegen hätten Schwierigkeiten mit ihrer Art zu unterrichten, erzählt Zhang. "Ich versuche deshalb, meine Methoden behutsam einzuführen."

Zweite Heimat Deutschland

Seit ihrem Forschungsaufenthalt hat Xuezhe Zhang ihre Kontakte nach Deutschland stetig ausgebaut - privat und beruflich. Allein um an aktuelle amerikanische und europäische Fachliteratur zu kommen, sei die Zusammenarbeit mit den deutschen Kollegen hilfreich. Außerdem gehöre der regelmäßige Studenten-Austausch zwischen ihrem Institut und den deutschen Universitäten zum Studienplan. Und Zhang engagiert sich persönlich dafür, dass ihre Studenten gut auf einen Deutschlandaufenthalt vorbereitet werden.

Xuezhe Zahng schätzt das Angebot für Kinder

"Mein Mann und ich haben beide inzwischen einen deutschen Hintergrund", lacht die Professorin. Sie schätzen, dass Busse und Bahnen in Deutschland fast nie zu spät kommen, dass die Leute sich am Postschalter in Schlangen anstellen, ohne zu murren, und dass es am Sonntagmorgen sogar in einer Großstadt wie Berlin still in den Straßen ist. An ihrem Pekinger Institut hat Zhang vorgeschlagen, den Müll zu trennen und Mehrweg-Ess-Stäbchen einzuführen. Zwar sei sie damit bei Kollegen und Studenten bisher auf wenig Verständnis gestoßen - wichtig ist es ihr trotzdem.

Spaß statt Disziplin

Auf jede Reise nach Deutschland nimmt Zhang seit einigen Jahren ihre jetzt fünfjährige Tochter Sophie mit. "Ja, sie hat einen deutschen Vornamen und findet den ganz toll!", lacht sie. "Mein Mann und ich wollen, dass unsere Tochter mit der deutschen Sprache und mit der deutschen Kultur aufwächst."

Sophie Zhang auf dem Spielplatz (Foto: Xuezhe Zhang/ privat)
Tochter Sophie liebt die deutschen SpielplätzeBild: privat

Wo immer es geht, sucht Zhang daher eine Kita für ihre Tochter, gerade verbringt Sophie ihre Tage mit den "Humbolden" im Kindergarten für Studierende der Humboldt-Universität. "Da dürfen die Kinder spielen und sich ausprobieren. Es kommt nicht immer gleich eine Erzieherin und sagt, was sie tun sollen. In China müssen schon die Kleinen sehr diszipliniert sein und viel lernen", sagt Xuezhe Zhang. Für ihre Tochter schwebt ihr ein anderes Leben vor. Vielleicht wird Sophie Zhang ja eines Tages sogar bunte Haare haben.