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Indiens neue Heldin

Sunanda Rao12. Juni 2003

Die 21-jährige Informatik-Studentin Nisha Sharma aus New Delhi hat sich das Undenkbare getraut: Sie hat ihre arrangierte Ehe öffentlich platzen lassen. Vielleicht hat sie damit auch ihr eigenes Leben gerettet.

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Nisha Sharma hat das Mitgift-Gesetz in Frage gestelltBild: AP

Zwar sind Mitgift-Ehen seit 1961 in Indien offiziell verboten, überall aber immer noch bis heute weit verbreitet. Da eine Mitgift nach einer Scheidung zurückgezahlt werden muss, werden laut offizieller Statistik jedes Jahr 7000 Frauen in Indien ermordet. Die wirkliche Zahl der Mitgiftmorde wird auf bis zu 25.000 geschätzt.

Eine mutige Tat

Eigentlich sollte die junge Frau heiraten. Die Musikanten spielten bereits auf, 2000 Gäste speisten, der Hindu-Priester bereitete die feierliche Zeremonie vor, und Nisha, die Braut, war festlich gekleidet, Hände und Füße mit Henna bemalt.

Da beklagte sich die Familie des Bräutigams: Obwohl sie bereits unter anderem teure Haushaltsgegenstände, wie Waschmaschine, Kühlschrank, Klimaanlage, Fernseher, Stereoanlage uns so weiter in zweifacher Ausfertigung - jeweils für den Bräutigam und für seinen Bruder - als Mitgift erhalten hatte, noch dazu ein brandneues Auto, verlangten sie unmittelbar vor der Hochzeit vom Brautvater weitere 25.000 Dollar in bar. Der Vater wehrte sich gegen das raffgierige Ansinnen. Es kam zum Streit, Fäuste flogen.

Der Braut platzte der Kragen. Nisha Sharma rief die Polizei und ließ ihren zukünftigen Ehemann Minuten vor Beginn der
Hochzeitszeremonie verhaften. Ihm drohen nun bis zu sechs Monate Haft. Denn nach indischem Recht ist der bis heute weit verbreitete Brauch der Mitgift seit 1961 gesetzlich verboten.

Erkaufter sozialer Aufstieg

Das Mitgift-Gesetz wird immer wieder umgangen. Möglich ist dies durch die Unterscheidung zwischen Aussteuer und Mitgift. In einem Interview mit der Deutschen Welle erklärte Nisha Sharma den Unterschied: "Die Geschenke, die mein Vater von sich aus geben wollte, waren meine Aussteuer für den Neubeginn. Sie werden nicht als Mitgift bezeichnet. Aber wenn die andere Seite anfängt, Forderungen zu stellen, wird die Aussteuer zur Mitgift. Dagegen habe ich mich gewehrt!"

In der sozial stark geschichteten Gesellschaft Indiens soll die Frau nicht unter ihrem Stand heiraten. Um die Ehe mit einer sozial höher gestellten Familie zu arrangieren, muss die Familie der Braut sich mit Geschenken an den Bräutigam, dessen Eltern und eventuell weiteren Verwandten "einkaufen". Dabei übersteigen die Kosten für die Geschenke sowie für die Hochzeitsfeier, die ebenfalls von der Familie der Braut getragen wird, oft mehrere Jahreseinkommen der Brautfamilie.

Hinzu kommt, dass viele Ehefrauen häufig nach ihrer Hochzeit zu weiteren Zahlungen als Mitgift angehalten werden. Dabei stiegen die Forderungen auch durch die gegenwärtige Liberalisierung des Marktes ins Unermessliche, meint die indische Frauenrechtlerin Vrinda Karat: "Sie können sich gar nicht vorstellen, wie durch die Werbung Markenprodukte als Status-Symbole betrachtet werden und die Mitgiftforderungen hochschnellen lassen. Betroffen davon ist jede Kaste, Gemeinschaft, soziale Schicht und Religionsgruppe."

Morde am Küchenherd

Können die Mitgiftforderungen nicht erfüllt werden, fallen viele Frauen inszenierten Haushaltsunfällen zum Opfer. Bevorzugte Methode sind schwerste Verbrennungen, die angeblich beim Kochen am explosiven Kerosinherd passieren und häufig zum Tod führen. 2001 gab es nach offiziellen Angaben 7000 Mitgift-Morde in Indien. Die wirkliche Zahl wird auf 25.000 geschätzt.

Durch ihren mutigen Schritt hat Nisha Sharma die Mitgift-Problematik wieder in die öffentliche Debatte gebracht. Der Fall schlägt in Indien hohe Wellen und geht durch alle Medien. Inzwischen sind zahlreiche junge Frauen ihrem Beispiel gefolgt. Frauenrechtlerinnen gratulieren ihr zur tapferen Tat, auch Prominente äußern öffentlich ihre Sympathien und Parteien bieten ihr bereits eine Kandidatur an. Sogar Heiratsanträge hat sie bekommen, von denen der Vater nun den "Richtigen" aussuchen wird.

Doch Nisha Sharma will gar nicht in das Bild der modernen Heldin, welches die Medien so gerne von ihr zeigen, passen. Dass ihr Vater die Ehe arrangiert hat, stellt sie nicht in Frage. Auch sei sie nicht prinzipiell gegen die Gabe einer Aussteuer. Allein die Maßlosigkeit der Forderungen habe sie erzürnt und
deshalb hätte sie die Hochzeit platzen lassen. So versucht sie ihrer traditionellen Rolle treu zu bleiben: "Bis jetzt haben meine Eltern alle Entscheidungen für mich getroffen. Und nachdem ich heirate, werden die Eltern meines Mannes alles für mich entscheiden. Deshalb ist es sehr wichtig für uns, eine gut ausgebildete Familie auszusuchen."