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In Deutschland den Islam verstehen

10. Januar 2011

Wenn in Deutschland Islamunterricht an öffentlichen Schulen eingeführt wird, fehlt es an qualifizierten Lehrern. Wer jetzt an einem Islam-Zentrum studiert, hat daher gute Jobaussichten, meint Prof. Mouhanad Khorchide.

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Prof. Mouhanad Khorchide, Lehrstuhl für Islamische Religionspädagogik der Universität Münster (Foto: WWU-Peter Grewer)
Prof. Mouhanad KhorchideBild: WWU-Peter Grewer

In Deutschland fehlen ausgebildete Nachwuchswissenschaftler im Bereich der Islamischen Theologie. Deshalb unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung sogenannte Zentren für Islamische Studien, die zunächst an drei Standorten in Deutschland entstehen sollen. Entsprechend zu den theologischen Fakultäten an den Universitäten werden diese Zentren an den Unis in Münster, Osnabrück und Erlangen eingerichtet. Der wissenschaftliche Blick auf den Islam soll dabei aus der Binnenperspektive geschehen. Das heißt, die Professoren sollen Muslime sein.

In Münster werden bereits seit 2004 Religionslehrer für den Islamunterricht ausgebildet. Lange Zeit hatte Professor Sven Kalisch den Lehrstuhl geleitet, war aber gerade bei muslimischen Verbänden sehr umstritten, weil er die Existenz des Propheten Mohammed in Frage gestellt hatte. Sein Nachfolger ist seit Juli 2010 der libanesische Islamwissenschaftler und Soziologe Mouhanad Khorchide, der jetzt auch das neue Zentrum für Islamische Studien in Münster aufbaut. Darüber hinaus wird an sechs deutschen Universitäten ein Graduiertenkolleg eingerichtet, das die Universität Münster unter Leitung von Mouhanand Khorchide koordiniert. Im Gespräch mit DW-WORLD.DE erläutert er die Bedeutung der neuen Islamzentren und des Graduiertenkollegs für das Verständnis des Islam in der Gesellschaft.

DW-WORLD.DE: Professor Khorchide, als Sie im Sommer den Lehrstuhl für Islamische Religionspädagogik in Münster übernommen haben, hätten Sie da gedacht, dass so viel auf Sie zukommen würde?

Prof. Sven Kalisch, Universität Münster (Foto:
Vorgänger Prof. Sven Kalisch sorgte für Verärgerung bei den muslimischen Verbänden.

Professor Mouhanad Khorchide: Es war mir schon klar, dass dieser Lehrstuhl als "heißer Lehrstuhl" bezeichnet wird in den Medien, weil es in den letzten zwei Jahren sehr viele Diskussionen um diesen Lehrstuhl gegeben hat. Seitdem Professor Kalisch die Existenz des Propheten Mohammed in Frage gestellt hat und entsprechend die muslimischen Verbände die Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl gekündigt haben, war mir klar, dass es eine heikle Mission sein würde. Allerdings gehört das jetzt alles mittlerweile schon zur Vergangenheit.

Wir kooperieren inzwischen sehr gut mit den muslimischen Verbänden hier, die Studierenden sind nicht mehr skeptisch – im Gegenteil, wir haben sogar Zuwachs an Studierenden. Und gerade dadurch, dass jetzt Münster auch Mittel von der Bundesregierung bekommen hat, um ein Institut für Islamische Theologie zu etablieren, hat sich das Ganze hier in Münster richtig weiterentwickelt. Wir sind im Begriff, islamische Theologie auf akademischem Niveau in Münster zu etablieren.

An dem Graduiertenkolleg ist ja nicht nur die Uni Münster beteiligt, sondern auch andere Universitäten und Institute.

An dem Graduiertenkolleg sind sechs Universitäten beteiligt, neben Münster sind das Osnabrück, Erlangen, Frankfurt, Hamburg und Paderborn. Diese Universitäten haben sich gemeinsam mit der Mercator-Stiftung zum Ziel gesetzt, in den nächsten Jahren Nachwuchsforscherinnen und -forscher im Bereich islamische Theologie zu qualifizieren, da wir hier eine große Lücke haben in Deutschland. Uns fehlen die Personen, die gut qualifiziert sind, um diese Stellen – seien es Professoren- oder Assistentenstellen – zu besetzen. Diese Qualifizierung ist das das Ziel des Graduiertenkollegs, das von der Universität Münster koordiniert wird.

Sie sagen, dass sich das Graduiertenkolleg vor allem auf der wissenschaftlichen Ebene mit dem Islam beschäftigt. Die andere Aufgabe Ihres Lehrstuhls ist aber auch die Imamausbildung und die Lehrerausbildung. Nun könnte man sich ja von außen fragen: Warum soll ich extra dafür nach Deutschland kommen? Warum ist diese Ausbildung in Deutschland so wichtig?

Güllü Özügenc, Lehrerin für islamische Religion in Offenburg (Foto: dpa)
Islamunterricht in einer Offenburger GrundschuleBild: picture-alliance/ dpa

Einerseits hat man eine sehr gute Berufschance. Man spricht von 2500 bis 5000 Religionslehrerinnen und -lehrern für den islamischen Religionsunterricht, die in den nächsten Jahren bundesweit in Deutschland gebraucht werden.

Manche Leute sind auch motiviert, hier zu studieren, weil sie die Auseinandersetzung mit dem Islam aus einer anderen Perspektive erleben wollen. Wie sieht der Islam, wie sieht die islamische Theologie aus, wenn sie an deutschen Universitäten in einem akademischen Diskurs angeboten wird? Welche Diskussionen, welche Fragestellungen ergeben sich anders als in den islamischen Ländern?

Wie wir wissen, werden hier in Deutschland viele Fragen an den Islam gestellt von außen, die der Islam in den islamischen Ländern so nicht kennt.

Sie meinen Fragen zur Demokratie und zur Geleichberechtigung der Frauen?

Zum Beispiel wird immer wieder die Frage gestellt, lässt sich der Islam vereinbaren mit der Rechtstaatlichkeit? Lässt sich der Islam mit den demokratischen Grundwerten, mit den Menschenrechten vereinbaren? Wie sieht es aus mit den Geschlechterrollen, mit der Gleichberechtigung? Und allgemein: Wie sieht es aus zwischen Islam und Moderne? Lässt sich der Islam mit der Moderne, mit der Pluralität vereinbaren, und wie denken muslimische Akademikerinnen und Akademiker darüber?

Die ganzen Aktivitäten, die jetzt mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung in Rollen kommen, sind ja auch gedacht, um eine Brücke zu schlagen zur deutschen Bevölkerung, der die islamische Kultur ja oft sehr fremd ist. Kann das mit der wissenschaftlichen Ausrichtung der Zentren für Islamische Studien und des Graduiertenkollegs erreicht werden?

Auf jeden Fall! Ich sehe eine doppelte Funktion darin: Einerseits eine Brücke auch zu der muslimischen Community, damit die Muslime sich auch heimisch fühlen und sich identifizieren können mit dem akademischen System. Sie sehen dann: Auch unsere islamische Religion wird hier wie die katholische oder die protestantische oder andere Religionen auf Augenhöhe angeboten im akademischen Diskurs. Das hilft der Integration. Und es ist wichtig für die Muslime, sich auch objektiv und sachlich mit ihrer Religion auseinanderzusetzen. Sie sollen reflektieren, was davon Tradition und was davon wirklich Religion ist.

Blick in die Merkez-Moschee in Duisburg (Foto: AP)
Blick in die Merkez-Moschee in Duisburg-MarxlohBild: AP

Auf der anderen Seite ist es natürlich auch sehr wichtig, die Brücke zu schlagen zu der Mehrheitsgesellschaft, damit die Menschen hier die Möglichkeit haben, sich auch objektiv über den Islam zu informieren und sich auszutauschen. Bis jetzt haben wir viele Diskussionen über den Islam in Europa und in Deutschland, allerdings nur im gesellschaftspolitischen Bereich. Viele Fragen drehen sich um das Tragen von Kopftüchern, um Minarette oder um Moscheebauten. Es fehlt der theologische Diskurs. In den Medien hören zwar hier sehr viele vom Islam, aber wir stellen immer wieder fest, dass es Informationsdefizite gibt, was den Islam betrifft. Die Menschen wissen viel zu wenig über den Islam an sich, und der akademische Diskurs bietet einen großen Raum dafür, diese Lücken in der Gesellschaft zu schließen.

Den Lehrstuhl in Münster gibt es im Prinzip schon seit 2004. Was wird sich jetzt mit dem neuen Zentrum für Islamische Studien ändern?

Wir haben jetzt hier in Münster nicht nur die Lehrerausbildung wie seit 2004, sondern wir arbeiten gerade an der Etablierung eines Islamzentrums, wo die islamische Theologie gelehrt wird, so wie wir sie kennen in den islamischen Ländern. Wo also alle Fächer vertreten sein werden wie zum Beispiel Koranexegese, prophetische Tradition, islamisches Recht, islamische Dogmenlehre, islamische Philosophie und so weiter. Alle diese Fächer werden jetzt hier an der Universität Münster angeboten.

Was sich auch geändert hat in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, ist, dass die Diskussionen immer konkreter werden. Ein Beispiel ist die Einführung des islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Das bedeutet, dass immer mehr Studierende motiviert werden, hier bei uns den Islam zu studieren, weil die Jobperspektive auch gegeben ist.


Das Gespräch führte Gaby Reucher
Redaktion: Claudia Unseld