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Politik

"In der AKP gibt es viele, die kein JA wollen"

Daniel Heinrich
14. April 2017

Kurz vor dem Verfassungsreferendum spricht Türkei-Experte Kristian Brakel im DW-Interview über die Beweggründe Tayyip Erdogans, die Schwierigkeiten der türkischen Opposition und den möglichen Ausgang des Referendums.

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Türkei Istanbul  Refenrendum Werbebanner Erdogan
Bild: picture-alliance/dpa/E. Gurel

DW: Am Sonntag steht das Verfassungsreferendum in der Türkei an. Über was genau wird eigentlich abgestimmt?

Kristian Brakel: Vordergründig steht hinter dem Referendum der Ansatz, dass die Türkei von einer parlamentarischen Demokratie in eine Präsidialrepublik überführt werden soll. Tatsächlich geht es allerdings um viel mehr. Es geht darum, in welche Richtung sich die Türkei langfristig entwickelt. Die Frage steht im Raum, ob die Türkei langfristig zu einer gelenkten Demokratie wird, oder ob sie das bleibt, was sie momentan ist: Eine Demokratie, die zwar viele Schwachstellen aufweist, der man allerdings dennoch das Label "funktionierendes demokratisches System" aufdrücken kann.

Wer sind die Befürworter und warum halten sie das Referendum für nötig?

Zu den Befürwortern zählt in allererster Linie Präsident Erdogan selbst, er hat das Referendum zu seinem ganz persönlichen Projekt gemacht. Seine Partei, die AKP, ist inzwischen mehr oder weniger auf eine Ein-Mann-Show zusammengeschrumpft. Alle in der Partei sind zur Zustimmung auf dieses Referendum verpflichtet worden,  egal ob sie das tatsächlich so sehen, oder nicht. Es gibt auch in der AKP durchaus einige, die das nicht wollen. Allerdings sind die Möglichkeiten, sich offen dagegen zu stellen, in den letzten Jahren sehr geschrumpft.

Wer sind die Kritiker des Referendums?

Die kritischen Stimmen kommen vor allem aus der Opposition, primär aus dem linken Parteienspektrum. Da wäre zum einen die links-kurdische HDP, zum anderen die republikanische Volkspartei, die CHP. Die CHP kann man je nach Lage der Dinge allerdings als Mitte-Links bis Mitte-Rechts-Partei betrachten. Interessanterweise kommt ein nicht unbedeutender Anteil an Widerstand auch aus den Reihen der ultranationalistischen MHP. Innerhalb dieser Partei gibt es eine Gruppe von "Rebellen", die  seit dem vergangenen Jahr versucht, den Kurs des Parteiführers Devlet Bahceli zu torpedieren, der sich mit Präsident Erdogan verbündet hat. Die Allianz Bahceli-Erdogan ist im Übrigen schon deswegen überraschend, weil Bahceli selbst vor eineinhalb Jahren noch komplett gegen ein Präsidialsystem war.

Nein zu Erdogan  Istanbul
Den Anhängern der "Hayir-", der "Nein"-Kampagne wurden an vielen Stellen Steine in den Weg gelegt.Bild: Reuters/H.Aldemir

Ist am Tag des Referendums eine freie Abstimmung gewährleistet?

Wenn wir uns auf internationale und nationale Wahlbeobachtungsgruppen verlassen und uns die Abstimmungen der vergangenen Jahre angucken, dann lässt sich festhalten: Der Wahlgang selbst verläuft meist weitestgehend ungestört, kann frei und fair stattfinden. Was nicht frei und fair stattfindet, ist der Wahlkampf. Auch beim jetzigen Referendum war es so, dass das JA-Lager von der Staatsmacht unterstützt wurde. Diese Leute bekamen teilweise Autos gestellt, Stellwände gestellt, sie konnten zum Teil auch auf die Moscheegemeinden zurückgreifen, um Werbung zu machen. Das sind alles Dinge, die eigentlich überhaupt nicht dafür zur Verfügung gestellt werden dürften.

Die Unterstützer der NEIN-Kampagne auf der anderen Seite wurden dagegen vielfach von der Polizei bedrängt, ihre Plakate werden heruntergerissen, einige von ihnen mussten mit Verhaftungen rechnen. Diese Szenarien hatten zwar nicht überall und an allen Orten Gültigkeit, aber grundsätzlich lässt sich sagen: Das "Kampffeld", auf dem sich die beiden Seiten getroffen haben, war völlig ungleich. Ob dann die Abstimmung noch frei stattfinden kann, das ist dann nur noch ein Teilaspekt dieses ganzen Wahlkampfes.

Unter diesen schwierigen Bedingungen - wie sehen die Prognosen aus?

Kristian Brakel Leiter der Heinrich Böll-Stiftung Istanbul
Kristian Brakel leitet die Heinrich Böll Stiftung in IstanbulBild: Heinrich-Böll-Stiftung/S. Röhl

Das ist sehr schwierig zu sagen. Es hat in den letzten Wochen in der Türkei die verschiedensten Umfragen gegeben. Man muss allerdings auch dazu sagen, und ich erinnere insbesondere an die Wahl im November 2015, dass die Prognosen oft falsch liegen. Das Geschäft mit den Voraussagen ist nicht ganz so transparent wie wir das von demoskopischen Instituten aus Deutschland kennen.

Eine Sache haben uns allerdings fast alle Institute bestätigt: Es gibt einen ganz großen Anteil an unentschlossenen Wählern. Das gilt sowohl für Unterstützter der AKP, wie für Unterstützer der MHP, also dem Wählerspektrum auf der rechten Seite. Diese unentschlossene Wählen sind laut den Umfrageinstituten entscheidend. Die erste Frage ist: Wie viele von diesen unentschlossenen Wählern gehen zur Wahl? Die zweite Frage ist: Wenn sie zur Wahl gehen, stimmen sie dann mit JA oder nicht.

In den letzten Wochen haben einige Umfragen nahe gelegt, dass es doch sehr knapp werden könnte für die JA-Kampagne. Das hat zumindest dazu geführt, dass die Regierung merklich nervös geworden ist. Präsident Erdogan hat erst vor wenigen Wochen selbst AKP-nahe Umfrageinstitute verbieten lassen, wenn diese ein "NEIN" beim Referendum prognostiziert haben. Das zeigt schon, dass man sich nicht mehr ganz so sicher ist.

Meine Vermutung, basierend auf den Umfragen der letzten Wochen, ist allerdings, dass am Ende doch das JA triumphieren wird. 

Wann ist am Sonntag mit den ersten Ergebnissen zu rechnen?

In der Türkei gibt es die ersten Hochrechnungen immer schon sehr früh. Bei den letzten Wahlen haben wir sie immer so gegen 18,19 Uhr gesehen. Ich habe jetzt gehört, dass es dieses Mal schon um 17 Uhr erste Ergebnisse geben soll.

Der Türkei-Experte Kristian Brakel leitet die Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul.

Das Gespräch führte Daniel Heinrich.