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Baden-Württemberg 2011

26. März 2011

58 Jahre lang hieß der Sieger bei Landtagswahlen in Baden-Württemberg CDU. Seit Bürger gegen Bahnhofsneubau und wieder gegen Atomkraft demonstrieren, ist diese Gewissheit dahin. An diesem Sonntag wird es spannend.

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Menschenkette gegen Atomkraft (Foto: dapd)
Vom Protest gegen Bahnhofsneubau und Atomkraft profitierten bislang vor allem die GrünenBild: dapd
Der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus von der CDU (Foto: dpa)
Nachdenklicher Landesvater: der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU)Bild: picture-alliance/dpa

Es ist eine Art ziviler Ungehorsam, der so gar nicht zu den als bieder und ordentlich bekannten Schwaben aus Baden-Württemberg passen will. "Der Schwabenstreich" ist eine Bürgerprotestaktion, die sich bereits seit Juli 2010 jeden Abend pünktlich um 19 Uhr in der Landeshauptstadt Stuttgart wiederholt. Bürger öffnen die Fenster ihrer Häuser oder halten in der Fußgängerzone inne, um für eine Minute laut "Stoppt Stuttgart 21" zu grölen und zu johlen.

Das Stammland der Konservativen wackelt

Der Schwabenstreich ist Ausdruck politischer Wechselstimmung, die vor allem in der großstädtischen Landeshauptstadt zu spüren ist, weniger in den ländlichen Gebieten. Tausende Demonstranten ziehen seit Monaten auf die Straße, um den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs zum unterirdischen Tiefbahnhof zu verhindern. Als zu teuer und verkehrspolitischen Unsinn beschimpfen Gegner das Prestigeprojekt. Als unverzichtbar für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg bezeichnet dagegen die Regierungskoalition aus CDU und Liberalen unter Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) den Bahnhofsumbau.

45-Kilometer lange Menschenkette als Signal gegen die Atompolitik der schwarz-gelben Landesregierung im März 2011 (Foto: dpad)
März 2011: Eine 45 Kilometer lange Menschenkette gegen die Atompolitik der LandesregierungBild: dapd

Seit der Atomkatastrophe von Japan überlagert der Streit um die Zukunft der Atomkraft auch den Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg. Das ist vor allem schlecht für den bislang glühenden Atomkraft-Befürworter Mappus, was letzte Wahlumfragen zeigen. Die CDU verliert, Grüne und Sozialdemokraten könnten demnach gemeinsam eine neue Regierung bilden.

Was für andere Bundesländer Normalität ist, würde für Baden-Württemberg eine Zeitenwende darstellen. "Zum ersten Mal seit Bestehen des Landes Baden-Württemberg besteht die Möglichkeit, dass die bürgerliche Regierung von CDU und FDP keine Mehrheit bekommt", sagt Wahlforscher Ulrich Eith von der Universität Freiburg.

Politisch profitiert haben durch den Protest gegen "Stuttgart 21" und die Sicherheitsdebatte um deutsche Kernkraftwerke vor allem die Grünen. Ihre Parteigründung geht auf den Widerstand gegen die Atomkraft zurück, ihr Engagement hat die Protestbewegung gegen "Stuttgart 21" angeführt. Die Welle der Sympathie könnte nun sogar einen Grünen auf den Ministerpräsidenten-Sessel hieven. Zwar gibt sich der grüne Spitzenkandidat Winfried Kretschmann keinesfalls siegesgewiss, doch verspricht er bereits, nach der Wahl ein Ende der "Hau-Ruck-Politik" unter dem konservativen Ministerpräsidenten Mappus einleiten zu wollen.

Energiepolitik entscheidendes Wahlkampfthema

Porträt Winfried Kretschmann - der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands? (Foto: dpa)
Winfried Kretschmann - der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands?Bild: picture alliance / dpa

Ein Beispiel für diese Hau-Ruck-Politik sagen Grüne wie Sozialdemokraten sei der Umgang mit der Kernkraft. In Berlin setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Japan-Schock die Verlängerung der Restlaufzeiten für deutsche Atomkraftwerke aus, die die Bundesregierung wenige Monate zuvor erst beschlossen hatte. Das dreimonatige Moratorium stellt die bisherige bürgerliche Energiepolitik infrage, die Atomkraft als unverzichtbare Brückentechnologie angesehen hat.

Atomkraft-Befürworter Mappus, der Anfang 2011 mit Milliarden von Steuergeldern den lokalen Energieversorger EnBW und seine Atomkraftwerke gekauft hat, vollzieht nun eine politische Kehrtwende: "Kernkraftwerke, die nicht den Sicherheitsansprüchen genügen, werden abgeschaltet - nicht in sieben Jahren, nicht in 15 Jahren, nicht in 20 Jahren, sondern sofort", sagte Mappus im Angesicht des Schreckens von Japan.

Für den Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten, Nils Schmid, ist die Glaubwürdigkeit der bürgerlichen Parteien dahin. "Das Moratorium ist eine reine Augenwischerei, die CDU will die Leute hinters Licht führen und sich über den Wahltermin retten", sagte Schmid.

Herrenknecht-Tunnelbohrmaschine (Foto: DW-TV)
Maschinen "Made in Baden-Württemberg" sind ein ExportschlagerBild: DW-TV

Peter Hauk, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, stemmt sich mit Macht gegen die Wahlkampfdominanz von Stuttgart21- und Atomkraftgegnern. Das wirtschaftsstarke Baden-Württemberg verdanke seinen Wohlstand Tüftlern und Ingenieuren aus der Automobilindustrie, dem Maschinenbau und kleinen mittelständischen Betrieben. Die politische Stabilität garantiert hätten bislang aber stets die bürgerlichen Parteien, mit sichtbarem Erfolg: "Die geringste Kriminalitätsbelastung, die Spitzenplätze im Bereich der Wirtschaft, die geringste Arbeitslosigkeit seit Jahren, die geringste Jugendarbeitslosigkeit und zwar europaweit, all das sind Parameter, die eigentlich für eine Fortsetzung einer stabilen CDU-geführten Regierung sprechen."

Die Grünen müssen sich erst noch beweisen

Ein politischer Machtverlust der CDU in Baden-Württemberg bliebe nicht ohne Folgen für die Bundespolitik. Wahlforscher Ulrich Eith ist überzeugt, dass nach einer Wahlschlappe der CDU ein Streit um die politische Ausrichtung der Partei ausbrechen dürfte. Die schrittweise durch Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeleitete "Sozialdemokratisierung der Partei" stünde dann noch einmal auf dem Prüfstand.

Die Grünen dagegen müssten in Baden-Württemberg noch den Beweis antreten, dass sie es in ihrer Hochburg Baden-Württemberg geschafft haben, "sich zur Volkspartei weiterzuentwickeln", sagt Wahlforscher Ulrich Eith.

Noch ist nicht klar, ob der Opposition von Grünen und Sozialdemokraten bei der Wahl am 27. März ein echter Schwabenstreich gelingt. Eins wurde aber bereits jetzt schon deutlich: So viel politische Bewegung gab es noch nie im Ländle.

Autor: Richard A. Fuchs
Redaktion: Kay-Alexander Scholz

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