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USA ringen mit Folgen des Nuklear-Deals

Gero Schließ23. Januar 2016

Die Aufhebung der Iran-Sanktionen stellt die Vereinigten Staaten vor bisher ungekannte Herausforderungen. Und Iran scheint von den Änderungen weniger zu profitieren als erwartet.

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Implementierungstag für das Atomabkommen in Wien am 16. Januar 2016 (Foto: Reuters)
US-Außenminister John Kerry (l) und Irans Außenminister Mohammad Javad Zarif am "Implementierungstag" in WienBild: Reuters/K. Lamarque

"Das ganze ist noch weitgehend völliges Neuland", sagt ein Beamte des State Department gegenüber der Deutschen Welle gut eine Woche nach der Implementierung des Nuklear-Abkommens und der Aufhebung der Sanktionen gegen Iran. Der Beamte des US-Außenministeriums mit internen Kenntnissen über die Verhandlungen mit Iran bezieht sich auf die jetzt fieberhaft betriebene Aufsetzung komplexer Prozesse, die sich aus der Aufhebung der Sanktionen ergeben. Der Beamte will ungenannt bleiben, denn seine Sicht entspricht so gar nicht der offiziellen Sprachregelung, die den Eindruck eines koordinierten Vorgehens durch die USA, die Europäer und die anderen beteiligten Länder erwecken will.

Enormer Koordinierungsbedarf

US-Diplomat Stephen D. Mull war bereits an den Verhandlungen mit den iranischen Unterhändlern beteiligt und leitet die Implementierung des Atomabkommens. Er spricht in einer eilends einberufenen Unterrichtung für die ausländischen USA-Korrespondenten von einer "stimmigen Herangehensweise".

Doch der Informations- und Koordinierungsbedarf scheint enorm. Mitarbeiter des US-Finanzministeriums schwärmen zu zahllosen Briefings aus - hier in Washington in Zusammenkünften mit ausländischen Botschaftern, oder auf Blitzreisen in die europäischen Hauptstädte. Fast 50 Seiten mit detaillierten Informationen hat das Ministerium im Nachgang der Implementierung veröffentlicht. Darin steht, was bei Bankgeschäften, Finanztransaktionen, Handelsabschlüssen, Öl- und Energieexporten, Waffenhandel und anderen sensiblen Bereichen von jetzt ab anders wird – und was unverändert bestehen bleibt.

Stephen Mull (Foto: NICHOLAS KAMM/AFP/Getty Images)
US-Diplomat Stephen Mull koordiniert die Umsetzung des Nuklearabkommens mit IranBild: Getty Images/AFP/N. Kamm

Vieles noch ungeklärt

Anthony Cordesman, angesehener Politikexperte des Washingtoner Thinktanks Center For Strategic International Studies (CSIS), greift Präsident Obamas Aussage auf, dass durch das Nuklearabkommen ein "noch nie dagewesener Kontrollmechanismus" inkraft getreten sei. "Es ist nicht nur neuartig und bisher beispiellos", sagt Cordesman im Gespräch mit der Deutschen Welle, "es ist in vielen Fällen noch gar nicht definiert." Codesman spricht von einer sehr komplexen Vereinbarung.

Grundsätzlich können ausländische Firmen von jetzt ab mit Iranern in vielen Bereichen wie Energie, Rohstoffe, Schiffbau oder auch der Autoindustrie wieder Handel treiben. Auch Finanztransaktionen mit iranischen Banken sind wieder möglich, doch müssen diese dafür erst einmal die administrativen und technischen Voraussetzungen schaffen.

Es ist aber nicht so, dass von einem auf den anderen Tag einfach ein Hebel umgelegt wird und es plötzlich keine Sanktionen mehr gibt, sagt Cordesman. Es müssten vielmehr komplexe Vereinbarungen erarbeitet werden. Außerdem gelten für viele Bereiche zeitliche Abstufungen, wie etwa beim Waffenhandel. Das Problem sei, so Cordesman, dass es zwischen den USA und den Europäern "nicht viel Koordination gibt, weil sie im Handel mit Iran im Wettbewerb stehen". Allerdings müßten die Europäer und andere Länder "das volle Ausmaß der vorerst verbleibenden US- Sanktionen beachten", warnt Cordesman. Und hier sollten die Europäer nichts falsch machen, denn mögliche amerikanische Gegenmaßnahmen wie ein Ausschluss vom Handel mit amerikanischen Unternehmen könnten die ausländischen Firmen ruinieren. Botschafter Mull versucht allerdings, die Gemüter zu beruhigen: Die USA hätten nicht das Interesse, die Geschäfte anderer Länder mit Iran zu behindern.

Das Rennen um den Markt in Iran hat begonnen

US-Firmen vom Handel ausgeschlossen

Mull verweist allerdings darauf, dass amerikanische Firmen hiervon noch weitgehend ausgeschlossen sind. Im Zuge der Implementierung haben die USA nämlich nur die sogenannten "Secondary Sanctions" aufgehoben, die im Zusammenhang mit dem Atomprogramm erlassen worden waren. Die "Primary Sanctions", mit denen die USA etwa Irans Unterstützung von Terror und seine destabilisierenden Aktivitäten in der Region "bestrafen" wollten, bleiben bestehen.

Handel mit Flugzeugteilen und Teppichen

Und sie verbieten den US-Firmen weitgehend den Handel. Ausnahmen sind Lebensmittel, Teppiche und Flugzeugersatzteile. Mit letzteren will man laut Mull sicherstellen, dass Iran seine veraltete Flugzeugflotte wieder besser instandsetzen kann. Es gehe den USA alleine um die internationale Flugsicherheit, nicht um die wirtschaftlichen Interessen der lobbystarken Flugzeugindustrie, sagt Mull auf Nachfrage der Deutschen Welle.

Kleinere finanzielle Spielräume als erwartet

Inzwischen lassen sich auf dem Weltmarkt schon erste Auswirkungen der aufgehobenen Sanktionen beobachten. Iran sei "sehr schnell" darangegangen, sein Öl zu verkaufen und "vermarktet es jetzt schon sehr aggressiv", so Cordesman. Gleichzeitig kann man davon ausgehen, dass Iran die bisher beschlagnahmten Vermögenswerte zu aktivieren sucht. Auf etwas mehr als 50 Milliarden Dollar hätten die Iraner jetzt Zugriff, schätzt Botschafter Mull. Doch was nur wenige wissen: Das weitaus meiste Geld sei durch "bereits eingegangene Verpflichtungen" bereits gebunden. Sprich, Iran muss damit erst einmal offene Rechnungen begleichen.

Diese eher begrenzten finanziellen Spielräume und der inzwischen dramatisch gefallene Ölpreis dürften zu einer veränderten Folgeeinschätzung nach Ende der Sanktionen führen. Jedenfalls werfen sie frühere Kalkulationen der Iraner über den Haufen und relativieren im Gegenzug die Befürchtungen des Westens und der Iran-Anrainer.

Die Rolle der Geheimdienste

Neben den Mechanismen, die durch die Aufhebung der Sanktionen in Gang gesetzt wurden, sind seit dem Implementierungstag auch die umfassenden Kontrollen angelaufen. Offiziell ist dabei immer von den Inspektoren der UN-Atombehörde (IAEA) die Rede. Doch Cordesmann und viele Experten sind sich sicher, dass sich die IAEA vornehmlich auf die Geheimdienste aller sechs am Abkommen beteiligten Mächte stützt. "Ihre Arbeit ist entscheidend für die Arbeit der Inspektoren der Internationalen Atomenergieagentur", so Anthony Cordesman. "Die IAEA hat alle ihre Erkenntnisse von den Geheimdiensten."

Snap–Back mit Fragezeichen

Sollte Iran bei einem Verstoß ertappt werden, könnte das am Ende mit der Wiederaufnahme der Sanktionen bestraft werden, dem sogenannten Snap-Back Mechanismus. Die ganze Konstruktion sei "einzigartig und neu", räumt Botschafter Mull ein. Bisher habe ihm keiner sagen können, so Anthony Cordesmann, welche der beteiligten Länder überhaupt in der Lage seien, die Sanktionen schnell wieder aufleben zu lassen. Das alles sei bisher "nicht definiert" worden, so der Sicherheitsexperte des Washingtoner Thinktanks CSIS.

Doch nicht nur das: Die Androhung der "Snap-Back Sanktionen" hängt wie ein Damoklesschwert über allen künftigen Geschäftsabschlüssen mit Iran. "Kein einziger Deal ist geschützt, wenn der Iran das Abkommen verletzt", so Cordesmann. "Für Unternehmen, Banken und Regierungen ist das eine völlig neue Situation."