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Warum Deutsche so viel nörgeln

Bettina Baumann
8. August 2018

Anhaltende Trockenheit und Hitze verlangen den Deutschen derzeit einiges ab: Zu heiße Räume, Ernteausfälle, verspätete Züge. Über all das jammern wir. Warum eigentlich? Und bringt das etwas?

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Symbolbild: Jammern
Bild: Colourbox/G. Fornasar

Die gute Nachricht zuerst: Jammern liegt in der Natur des Menschen. Unser erster Schrei als Baby ist oftmals ein Unmutsschrei, erklärt mir der Hamburger Diplom-Psychologe Michael Thiel, der 2011 mit seiner Kollegin Annika Lohstroh das Buch "Deutschland, einig Jammerland" veröffentlicht hat. Und jammern, so fährt er fort, sei im Grunde identisch: ein Weg, seinen Unmut zu äußern. 

Die schlechte Nachricht lautet: Wir Deutsche äußern unseren Unmut allerdings besonders häufig und lautstark. Getreu dem Motto "Wer suchet, der findet" lenken wir den Blick gerne auf das Negative statt das Positive, stellen aber immer wieder bei unserer Rückkehr von Auslandsreisen ernüchtert fest, wie deprimierend es ist, von Landsleuten umgeben zu sein, die sich permanent beschweren. Über Kleinigkeiten und Banalitäten.

Jammeritis trotz großer Zufriedenheit

Eine Studie aus dem Jahr 2009, die unter Fluggästen verschiedener Nationalitäten durchgeführt wurde, bestätigt diesen Eindruck: Die deutschen Passagiere waren diejenigen, die sich über die meisten Dinge im Flieger geärgert hatten. Man könnte nun entgegnen, dass wir 2009 auch noch nicht ganz so zufrieden waren, wie wir es aktuell sind - laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2017 nämlich so sehr wie noch nie seit der Wiedervereinigung.

Aber Psychologe Michael Thiel ist überzeugt: Gejammert wird genauso viel. "Wir Deutschen haben eine grundsätzliche Unzufriedenheit in uns, eine gewisse Schwere im Alltag", sagt er. Das leichte Gemüt, wie es etwa den Südeuropäern oder Menschen aus Mittel- und Südamerika nachgesagt wird, fehlt uns. Viele Deutsche hätten außerdem immer eine gewisse innerliche Angst, die von den Amerikanern getaufte "German Angst", so Thiel. Und die sei historisch so zu begründen: In zahlreichen Herrschaftsformen waren die Menschen nicht mündig, sondern Leibeigene. Hinzukommen Dutzende von Kriegen, darunter der 30-jährige Krieg und zwei Weltkriege. Jammern werde kulturell weitergegeben, erklärt der Psychologe, und Umwälzungen wie diese prägen die Menschen nachhaltig. 

Auch die größten deutschen Literaten waren davor nicht gefeit. Grimmelshausen, Goethe, Kafka, Brecht oder Grass, sie alle versahen ihre Helden mit einer Portion Schwermut und Weltschmerz.

Jammern nicht per se schlecht 

Gerade von Kollegen aus dem Ausland, so erst kürzlich geschehen durch Economist-Journalist Jeremy Cliffe, erscheinen immer wieder Beiträge, in denen sich über die Viel-Jammerei der Deutschen ausgelassen wird. Deutschland gehe es doch bestens, wozu also die ganze Nörgelei, so Cliffes Tenor. Die Wirtschaft brumme, die Arbeitslosenzahlen seien niedrig, unsere Infrastruktur sei eine der besten. "Cheer up!", fordert er die Deutschen auf, "Seid frohen Mutes!" 

Ich gebe Cliffe in gewisser Weise recht: Die Jammerei der Deutschen ist nicht immer verhältnismäßig und von Menschen umgeben zu sein, die bei jeder Gelegenheit einen negativen Kommentar abgeben, trübt die Stimmung.

Nichtsdestotrotz kann Jammern positive Effekte haben: Zum einen entlaste es die Seele, so Thiel, zum anderen kann es Menschen einander näher bringen - sogenanntes Solidaritätsjammern, z.B. beim Thema Wetter. Oder es ist gar der erste Schritt in Richtung Veränderung.

Wer jedoch zu viele Erfolgserlebnisse mit seiner Nölerei hat, läuft Gefahr, einen regelrechten "Jammerautomatismus" zu entwickeln. Dies könne zu einem insgesamt pessimistischeren Lebensgefühl führen, was sich dann wiederum negativ auf Körper und Psyche auswirken und Krankheiten wie Depressionen oder Bluthochdruck fördern kann, erklärt Thiel.

Vielleicht kann man sich ja darauf einigen: Jammern ja, aber in Maßen?! 

Was mich angeht: Diesen Text habe ich in einem stickigen, 34 Grad heißen Büro geschrieben. Natürlich habe ich dabei gelegentlich gejammert - teils in mich hinein, teils mit meinen Kolleginnen. Fürs Zusammengehörigkeitsgefühl, versteht sich. Und diese Vorstellung ist doch gar nicht mal so übel.