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Politik

Istanbul: Ein Bürgermeister-Amt mit Tücken

Daniel Derya Bellut
28. November 2019

Seit fünf Monaten ist der CHP-Politiker Imamoglu Bürgermeister. Doch weiterhin klammert sich Erdogan in Istanbul an der Macht fest - auch um den Zugriff zur Stadtkasse zu wahren. Ein Amt wie ein Hindernisparcours.

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Türkei, Istanbul: Bürgermeister Ekrem Imamoglu hält Ansprache
Bild: Getty Images/B. Kara

Der Sozialdemokrat Ekrem Imamoglu von der größten Oppositionspartei CHP hat sich das Bürgermeisteramt hart erkämpft. Die Regierungspartei AKP hatte nichts unversucht gelassen, um seine Wahl zum Oberbürgermeister von Istanbul zu verhindern. Eine monatelange Schlammschlacht begleitete den Wahlkampf; sogar eine Wahlwiederholung wurde auf Druck der AKP veranlasst. Trotz allem sicherte sich Imamoglu am 23. Juni den Bürgermeisterposten.

Fünf Monate nach seinem großen Triumph wird ihm auch als aktiver Bürgermeister nichts geschenkt. Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP versucht weiterhin ihren Einfluss aufrechtzuerhalten und dem Emporkömmling möglichst viele Steine in den Weg zu legen. Imamoglu möchte die Infrastruktur der Stadt, vor allem das U-Bahn-Netz, ausbauen. Dafür benötigt er Finanzhilfen von umgerechnet 3,5 Milliarden Euro. Ein mühsames Unterfangen, denn staatliche Banken - darunter die Vakif Bank, die Ziraat oder die Halk Bank - stellen sich nach Aussagen des Bürgermeisters quer, seit er im Amt ist: "Wir sehen, dass die Staatsbanken sehr distanziert gegenüber der Istanbuler Stadtverwaltung auftreten."

Fundraising-Tour quer durch Europa - hier mit Bundesfinanzminister Scholz
Fundraising-Tour quer durch Europa - Ekrem Imamoglu mit Bundesfinanzminister ScholzBild: Imago-Images/photothek/T. Koehler

Die Banken werden von einem Staatsfonds gestützt, dem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und dessen Schwiegersohn, Finanzminister Berat Albayrak, vorsitzen. Die Türen der Staatsbanken seien derzeit völlig geschlossen, nicht einmal 'die täglichen Routinebedürfnisse' seien durch staatliche Kredite abgedeckt, sagt der Bürgermeister.

Rettung aus dem Ausland

Notgedrungen ist die Istanbuler Stadtverwaltung nun auf Kredite aus dem Ausland angewiesen. In den letzten Wochen war Imamoglu auf "Fundraising-Reise", bei der er Paris, London und Berlin besuchte, um für Investitionen in der Bosporus-Metropole zu werben. Die Tour war ein großer Erfolg - vor allem französische Finanzinstitute willigten ein, Infrastrukturprojekte in Istanbul zu finanzieren. Beispielsweise wird die französische Entwicklungsagentur French Development Agency 86 Millionen Euro in die 16-Millionen-Stadt investieren. Auch die Deutsche Bank beteiligt sich mit 110 Millionen Euro. Für die türkische Regierung ist das ein Anlass zum Hohn: Der türkische Innenminister Süleyman Soylu bezeichnete Imamoglu als "Depp", weil er die Türkei durch seine Reise im Ausland schlecht dargestellt habe.

Je näher am Bosporus, desto begehrter die Grundstücke - das weiß auch Erdogan.
Je näher am Bosporus, desto begehrter die Grundstücke - das weiß auch ErdoganBild: STR/AFP/Getty Images

Auch bei einem anderen Thema macht es die türkische Regierung dem amtierenden Bürgermeister schwer: Die islamisch-konservative Stadtverwaltung, die Istanbul 25 Jahre lang regierte, unterhielt ein Patronage-System, das ein wichtiger Machtfaktor für die Erdogan-Regierung darstellt. Das System begünstigt Geschäftsleute von großen Holdings bei öffentlichen Ausschreibungen oder nimmt sie von gesetzlichen Regelungen aus - im Gegenzug unterstützen sie die AKP auf verschiedenste Art und Weise, beispielsweise Medienkonzerne, indem sie regierungsfreundlich berichten. Ekrem Imamoglu kündigte an, dem ein Ende zu setzen: "Von nun an ist mit den Begünstigungen für ein paar ausgewählte Stiftungen, Vertraute und Gemeinden Schluss; von nun an wird ganz Istanbul begünstigt." Transparenz statt Vetternwirtschaft versprach der Sozialdemokrat im Wahlkampf.

Kampf um die Stadtkasse

Doch so wie es aussieht, versucht die AKP auch nach dem Verlust der Stadtverwaltung von der prall gefüllten Istanbuler Stadtkasse zu profitieren. Das türkische Ministerium für Umwelt und Urbanisierung hat, wie die türkische Tageszeitung Sözcü berichtet, einen Gesetzesvorschlag zur Gründung einer "Bosporus-Behörde" vorgelegt. Die neue Administration für vier an der Meerenge gelegene Bezirke soll dem Erhalt des Kultur- und Naturerbes dienen und Entwicklungsprojekte fördern. Für die Zone soll ein Unterstaatssekretariat zuständig sein, das von dem türkischen Präsidenten abhängig ist. Imamoglu würde damit die Verwaltung der vier Bezirke entzogen werden. Die Gegend gilt als eine der begehrtesten und teuersten Lagen Istanbuls. Kritiker gehen davon aus, dass die Initiative regierungsfreundliche Investoren anlocken soll, damit Erdogan sein Patronage-System erhalten kann.

Der historische Bahnhof Haydarpasa in Istanbul - attraktiv für Investoren
Der historische Bahnhof Haydarpasa in Istanbul: Imamoglu will gegen die Verpachtung an Investoren klagenBild: DW/U. Danısman

"Wir werden vor Gericht gehen"

Dass die Tage der Istanbuler Klientelpolitik noch lange nicht gezählt sind, zeigte auch eine öffentliche Ausschreibung zur Anmietung der historischen Bahnhöfe Haydarpasa und Sirkeci. Die Bauwerke verfügen über riesige Lagerräume, die Imamoglu für kulturelle Tätigkeiten anmieten und der Bevölkerung zur Verfügung stellen wollte. Doch das Angebot der Istanbuler Stadtverwaltung wurde abgelehnt. Stattdessen erhielt ein Investor den Zuschlag: ein 33-Jähriger, ehemaliges Mitglied der Stadtverwaltung und ehemaliger Vorsitzender der mächtigen Okçular Vakfı - einer Stiftung zur Förderung des Bogenschießens. Die Stiftung ist eng mit der Erdogan-Familie verbunden. "Unsere Angebote für Haydarpasa und Sirkeci wurden unrechtmäßig abgelehnt", empörte sich der Bürgermeister und kündigte an: "Wir werden Strafanzeige erstatten und sofort vor Gericht gehen."

Ekrem Imamoglu gilt als ein aussichtsreicher Kandidat auf das Präsidentenamt. Kritiker meinen, dass die türkische Regierung seine Arbeit als Bürgermeister nach Kräften erschwert, um seinen Ruf vor der Wahl im Jahr 2023 zu ramponieren. Aber darauf scheint der Istanbuler Bürgermeister vorbereitet zu sein: "Die Bürgermeisterwahlen waren bereits äußerst schwierig. Nach so einer Erfahrung, kann einen nichts mehr umhauen", sagte er dem amerikanischen Sender Bloomberg. "In Istanbul reagierten 25 Jahre lang dieselben Machthaber. Es scheint mir, dass sie die alten Gewohnheiten erhalten möchten - doch wir werden demokratische Prinzipien entgegenhalten."