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Christoph Brumme: "Im Schatten des Krieges"

9. Juni 2022

Der deutsche Autor Christoph Brumme lebt seit vielen Jahren in der Ukraine. In seinem aktuellen Buch beschreibt er den Alltag im Krieg und wundert sich über die Debatten in seiner alten Heimat Deutschland.

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Frontalansicht eines zerstörten Mehrfamilienhauses in Soledar im Osten der Ukraine.
Elend und Zerstörung im Osten der Ukraine: Auch Wohngebäude sind Zielobjekte der russischen ArmeeBild: Aris Messinis/AFP/Getty Images

Poltawa ist eine Stadt im östlichen Teil der Ukraine, etwa 350 Kilometer von Kiew entfernt. Es ist eine Gegend mit langer Historie, die bis zu der Tripolje-Kultur (6000 bis 1000 v. Chr.) zurückreicht. Dort lebt der deutsche Schriftsteller Christoph Brumme. Er kennt den Osten nur zu gut. Der in der DDR geborene Autor fuhr - in seinen jungen Jahren - mehrfach mit dem Fahrrad von Berlin durch Polen und die Ukraine an die Wolga. Um die 30.000 Kilometer legte er zurück. 

Daraus ist mindestens ein Buch entstanden - "Auf einem blauen Elefanten - 8353 Kilometer mit dem Fahrrad von Berlin an die Wolga und zurück" (2009). Niedergelassen hat er sich inzwischen in Poltawa, von wo aus er unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung berichtet. In seinem aktuellen Buch "Im Schatten der Krieges - Tagebuchaufzeichnungen aus der Ukraine" beschreibt er das Leben im Kriegsmodus - nüchtern, persönlich, ehrlich und unmissverständlich.

Buchcover von "Im Schatten des Krieges" von Christoph Brumme
Das neue Buch von Christoph Brumme zeigt die Menschen in der Ukraine aus nächster Nähe

Der Humor der Ukrainerinnen und Ukrainer

Im Krieg, so würde man meinen, ist die Angst ein ständiger Begleiter. Das stimmt meist, doch Brumme zeigt die andere Seite: den Freiheitswillen, der stärker ist als jedes noch so kleines Aufkommen von Angst, die enorme Hilfsbereitschaft und Solidarität der Menschen, die Hoffnungen und allen voran den Humor der Ukrainerinnen und Ukrainer.

"Mit Oskar auf der Straße, die Sonne scheint. Ich singe den Refrain eines Pionierlieds: 'Immer lebe die Sonne / Immer lebe der Himmel / Immer lebe die Mutti / und auch ich immer noch.' Oskar singt auf Russisch mit. Doch statt 'Sonne' singt er 'Wodka'", schreibt Christoph Brumme in seinem neuen Buch und zitiert einige Witze, die nach Kriegsausbruch Hochkonjunktur haben. So wird kurzerhand und natürlich nur mit einem Augenzwinkern der berühmte Roman "Krieg und Frieden" von Lew Tolstoi in "Militäroperation und Frieden" umbenannt, da die Verwendung des Wortes "Krieg" in Russland mehrere Jahre Haft bedeutet.

"Der Humor ist Teil der Überlebensstrategie, das ist eine der wichtigsten nationalen Eigenschaften der Ukrainer, über sich selbst zu lachen, über ihre Regierung oder die EU Witze zu machen", sagt Christoph Brumme im DW-Gespräch. Es sei ein Ausdruck von Souveränität. Man sei in der Ukraine frei, alle Autoritäten zu kritisieren - im Gegensatz zu Russland, wo eine völlig humorlose Kultur herrsche.

Ein neuer ukrainischer Witz lautet wie folgt: "Wissen Sie was? Ich habe jetzt tatsächlich Angst, auf der Straße Russisch zu sprechen! - Wieso? Fürchten Sie etwa, da kämen die Nationalisten und würden Sie verprügeln? - Nein, ich fürchte mich davor, dass Putin kommt und mich beschützt."

Wann Schluss ist mit Lachen

Es gibt aber Momente, da bleibt den Ukrainerinnen und Ukrainern das Lachen im Halse stecken, wenn sie zum Beispiel auf die Debatten in Deutschland blicken. "Das Image Deutschlands hat sich in den letzten Kriegsmonaten sehr stark verschlechtert", beobachtet Christoph Brumme. Die Ukrainer fühlten sich verraten. Man warte ab, ob den Worten jetzt endlich Taten folgen. Aber insgesamt gesehen sei der Blick auf Deutschland eher skeptisch. "In der Not erkennt man, wer Hilfe leistet und wer eigentlich nach wie vor darauf hofft, heimlich oder offen, mit Russland Geschäfte machen zu wollen und im Notfall die Ukrainer opfert."

"Wahnhafte Qualität"

Bei Kriegsausbruch rief Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag eine "Zeitenwende" aus, doch die Entschlossenheit fehlte, die Glaubwürdigkeit litt darunter. Der Bundeskanzler zögerte mit Waffenlieferungen und sprach sich nicht für einen allumfangreichen Energieboykott gegenüber Russland aus. Laut einer Meinungsumfrage des Instituts Infratest dimap im April spricht sich nur eine knappe Mehrheit für Waffenlieferungen von schweren Waffen an die Ukraine aus. "Die deutsche Gesellschaft betrügt sich selbst", meint Christoph Brumme. "Der Glaube, man könne mit Putin Konflikte lösen und Verabredungen treffen, die dieser auch einhalte, hat schon wahnhafte Qualität." Es gab mehrere diplomatische Versuche, den Krieg aufzuhalten; einige Regierungschefs saßen mit Putin am Verhandlungstisch, doch die Gespräche blieben ohne Wirkung. Und auch bestehende internationale Verträge konnten Putin nicht aufhalten: Dazu gehört das Budapester-Memorandum von 1994, wo Russland, neben den USA und Großbritannien, die Unabhängigkeit der Ukraine garantiert haben.

Christoph Brumme blickt frontal in die Kamera. Hinter ihm hängt eine Karte an der Wand.
Christoph Brumme lebt seit 2016 dauerhaft in der UkraineBild: privar

Für diese Wahrnehmung der Deutschen zieht Brumme zum Teil auch die Medien zur Rechenschaft: Die deutsche Berichterstattung über die Ukraine betrachtet er mit großer Skepsis. "Generell muss man ja sagen, dass die Ukraine-Berichterstattung seit Jahren sehr schwach vertreten ist. Die gebührenfinanzierten Medien sind der Allgemeinheit verpflichtet, aber dieser Verpflichtung kommen sie in Bezug auf die Ukraine meines Erachtens überhaupt nicht nach. Bekanntestes Beispiel ist immer wieder die zehntausendfach wiederholte Behauptung, dass im Donbass in den letzten acht Jahren prorussische Separatisten gekämpft hätten. Wer sich ein kleines bisschen auskennt, weiß, dass es eindeutig ein russisches Projekt mit russischer Führung und russischen Finanzen, russischem Know-How und russischer Technologie ist. So wird natürlich über Jahre hinweg öffentlicher Druck und öffentliche Meinung erzeugt, die dann wiederum zu politischen Entscheidungen führt, die für die Ukrainer jetzt unglaublich blutig sind und unglaublich viele Opfer kosten", sagt Christoph Brumme. 

Ukraine-Krieg: Architektur und Kunst in Gefahr

Viel Unwissen auf Seiten der Deutschen

"Die 'russische Seele' bestand aus Größenwahn, Selbsthass und Minderwertigkeitsgefühlen gegenüber dem Westen", schreibt Brumme in seinem Buch und spricht im Gespräch über die Propaganda-Sendungen im russischen Fernsehen. "Wer guckt sich in Deutschland regelmäßig russisches Fernsehen an? Wer versteht, was russische Politiker sagen? Wenn man eine Befragung mit 1000 Menschen machen würde, dann findet man vielleicht zwei, die eine gewisse Kompetenz aufweisen. In Deutschland ist es üblich, über Dinge zu reden, von denen man gar nichts weiß. Und das fällt dann alles unter den Schirm der Meinungsfreiheit." Diese brutale russische Kriegshetze sei im Westen nicht registriert worden. "In Deutschland wird die geschichtliche Dimension dieses Krieges und des ukrainisch-russischen Verhältnisses überhaupt nicht wahrgenommen, weil sie auch vollkommen unbekannt ist."

"Russland kämpft jetzt auch selbst um seine Existenz"

Christoph Brumme ist skeptisch über ein baldiges Ende des Krieges. Russland habe bis heute keinerlei juristische und moralische Verantwortung für die massenhaften Morde an den Ukrainern im 20. Jahrhundert übernommen. Beispiel: der Holodomor, Tod durch Hunger, in den 1930er-Jahren in der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Die Propaganda in den letzten acht Jahren hat ihr Übriges getan, laut dem Meinungsforschungszentrum Levada unterstützen 81 Prozent der Menschen in Russland den Krieg: "Die Mehrheit der Russen will diesen Krieg, und je länger er dauert, desto mehr, desto fanatischer. Eine (vorübergehende) Niederlage Russlands würde die Rachegelüste dort nur ins Unendliche wachsen lassen. Das Ende des Krieges kann nur mit dem Ende des russischen Staates in seiner jetzigen Form kommen. Russland kämpft jetzt tatsächlich auch selbst um seine Existenz."

Das Buch "Im Schatten des Krieges - Tagebuchaufzeichnungen aus der Ukraine" von Christoph D. Brumme ist am 9. Juni 2022 im S. Hirzel Verlag erschienen.

DW Mitarbeiterportrait | Rayna Breuer
Rayna Breuer Multimediajournalistin und Redakteurin