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Deutsches Kino - zum Stand der Dinge

Jochen Kürten3. Juni 2013

Am 26. April wurde der Deutsche Filmpreis verliehen. Die Auszeichnung soll die künstlerischen Höhepunkte des zurückliegenden Filmjahres abbilden. Wie steht es um das deutsche Kino?

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Schauspieler und Gäste beim deutschen Filmpreis 2012 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Das deutsche Kino ist in guter Form. Es wird viel produziert, eine Menge deutsche Filme kommen in die Kinos. Der Anteil deutscher Filme am Gesamtmarkt der Lichtspieltheater hat sich bei 20 Prozent eingependelt. Es gibt Stars, die mit ihren Filmen Millionen in die Kinos locken. Es gibt Preise für deutsche Regisseure bei internationalen Festivals. Die vielen Filmhochschulen im Lande bilden fortwährend Talente aus, die für eine ständige Auffrischung der deutschen Kinoszene sorgen. All dies sind Tatsachen, die mit Fakten belegt werden können.

Viele Filme vor jeweils kleinem Publikum

Richtig aber auch ist: Der deutsche Film lahmt, sowohl künstlerisch als auch kommerziell. Zwar wird tatsächlich viel produziert und vielen Filmen gelingt der Sprung in die Kinos, doch die allermeisten spielen ihre Produktionskosten nicht ein. Die 20 Prozent am Kuchen hängen stark von jeweils zwei bis drei kommerziell orientierten Großproduktionen ab, von ein paar Fortsetzungs- und Kinderfilmen. Es gibt zwar Stars im Lande, doch die Schauspieler, die allein aufgrund ihres Namens die Menschen in die Kinosäle locken, sind an einer Hand abzuzählen. Die wirklich wichtigen großen Festivals laden deutsche Filme kaum noch in ihre Wettbewerbe ein. Eine Goldene Palme oder einen Goldenen Löwen hat es für deutsche Regisseure schon lange nicht mehr gegeben. Und die große Mehrzahl der frisch von den Hochschulen kommenden Talente schafft es nicht, langfristig Fuß zu fassen.

Dies sind zwei sehr unterschiedliche Analysen zum deutschen Kino. Und doch stimmen beide. Das Bild, das der deutsche Film derzeit abgibt, ist widersprüchlich - kann es in einer komplizierten Film- und Fernsehwelt im digitalen Wandel vielleicht auch gar nicht anders sein.

Der Filmwissenschaftler Bernd Zywietz hat gemeinsam mit seinem Kollegen Harald Mühlbeyer und weiteren Filmpublizisten genau hingeschaut. In dem Buch "Ansichtssache zum aktuellen deutschen Film" (Schüren Verlag) blickt er auf das aktuelle Schaffen deutscher Regisseurinnen und Regisseure in den letzen drei Jahren und analysiert Stärken und Schwächen: "Zur Zeit ist viel Lust und Ambition zu spüren, etwas Neues und Anderes zu machen. Es zieht ein frischer Wind auf", sagt Zywietzder Deutschen Welle. Gegenüber der Kritik vieler Beobachter am ästhetischen Niveau und mangelnden Zuschauerzuspruch nimmt er den deutschen Film in Schutz. Die Deutschen seien eben "eine Nation der Nörgler".

Zu viele ernste Filme

Doch auch Zywietz weiß, dass nicht alles zum Besten steht. Mehrere Punkte kristallisieren sich heraus. Generell gebe es "leider keine echte cineastische Kultur mehr in Deutschland". Da ist Zywietz auch nicht optimistisch für die Zukunft: Eine solche cineastische Kultur sei in Zeiten, in denen das Medienangebot so umfangreich ist und die großen Erfolge bei Zuschauern und Kritikern im Fernsehen stattfinden, kaum noch zu etablieren. Zudem habe das deutsche Publikum grundsätzlich zu wenig Vertrauen in deutsche Filme. Das kann der Filmwissenschaftler zum Teil allerdings auch verstehen: Viele deutschen Filme würden "an den Menschen vorbeigeschrieben, -gedreht und -vertrieben". Schuld daran seien vor allem die vielen kleinen Dramen auf der Leinwand, die jedes Jahr produziert werden und auch in die Kinos kommen, die aber dann kaum einer sehen will.

Szene aus dem Film "Oh Boy" von Jan Ole Gerster. (Foto: X-Filme Verleih)
Mehr als eine Talentprobe - das herausragende deutsche Filmdebüt 2012: "Oh Boy" von Jan Ole GersterBild: X-Filme

Beim Publikum erfolgreiche Genres wie Fantasy, Action, Abenteuer oder Science-Fiction würden dagegen seltener produziert. Einen Hoffnungsschimmer sieht Zywietz im Bereich der Komödie. Hier gebe es - abseits von Größen wie Til Schweiger - einiges Bemerkenswertes in jüngster Zeit: Filme wie "Oh Boy" oder "3 Zimmer/Küche/Bad", die "mit feinsinnigem und intelligentem Humor" inszeniert worden seien.

Ästhetisch würden viele deutsche Kinofilme nur noch mit zwei filmischen Konzepten daherkommen. Entweder würden sie mit statisch-steifen Einstellungen (à la Berliner Schule) gedreht oder mit zu viel Handkameraeinsatz gemacht. Da liege vieles im Argen.

Starke Fixierung auf den Nachwuchs

Das vielfach kritisierte deutsche Fördersystem sieht Zywietz dagegen als nicht so problematisch. Schließlich sei dieses in den 1970er Jahren mal für einen erfolgreichen und qualitativ besseren Film installiert worden. Auch die vielen nachstrebenden Debütanten seien nicht das Problem: "Wir haben - zu recht - so etwas wie eine Berufs- und Kunstfreiheit hierzulande", sagt Zywietz. Zum Problem sei allerdings die extreme und alleinige Fixierung auf den Nachwuchs geworden. Das gehe zu Lasten einer nachhaltigen Förderung, etwa beim dritten oder vierten Film eines Regisseurs.

Filmstill aus Tom Tykwers "Cloud Atlas" (Foto: X-Filme-Verleih)
Wer wird der nächste Tom Tykwer? Sein letzter Film "Cloud Atlas" erhielt die meisten Filmpreis-Nominierungen 2013Bild: x-Verleih

Insgesamt zieht Bernd Zywietz jedoch ein durchaus optimistisch stimmendes Fazit. Das deutsche Kino ist - seiner Meinung nach - auf dem richtigen Weg: "Momentan ist der deutsche Film spannender, besser und relevanter als gemeinhin der Eindruck vermittelt wird." Zur Gruppe der Nörgler gehört Bernd Zywietz also nicht. Und je genauer man hinschaut auf das deutsche Kino der letzten Jahre, umso mehr bemerkenswerte Filme entdeckt man ja auch. Der kommende Deutsche Filmpreis wird dies möglicherweise belegen.

In der aktuellen Ausgabe des DW-Magazins KINO geht es schwerpunktmäßig um den Deutschen Filmpreis (26.4.2013)