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Im Gespräch: Die ethischen Aspekte von Gentests

30. April 2012

Studiogast Bert Heinrichs ist Leiter der wissenschaftlichen Abteilung am Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften.

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Der Philosoph Dr. Bert Heinrichs ist Leiter der Forschungsabteilung des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften DRZE

DW: Zur Zeit wird ein neues Verfahren getestet, mit dem Schwangere ihr Ungeborenes auf das Down-Syndrom hin untersuchen lassen können. Die gefährliche Fruchtwasseruntersuchung wird unnötig. Mit der neuen Methode, lässt sich durch eine Blutprobe der Mutter das Erbgut des Fötus analysieren. Muss man damit rechnen, dass mit einem solchen Test insgesamt häufiger abgetrieben wird?

Dr. Bert Heinrichs: Davon muss man ausgehen. Bislang hat das relativ hohe Risiko für Fehlgeburten dazu geführt, dass weniger Frauen sich entschieden haben, einen solchen Test zu machen. Wenn das Risiko jetzt wegfällt, dann ist es plausibel anzunehmen, dass mehr Frauen den Test machen werden; und wir sehen, dass die Abtreibungsrate bei denen, die einen positiven Befund bekommen, recht hoch ist.

Das heißt, wir müssen davon ausgehen, dass Trisomie 21 das erste Handicap sein wird, das aus unserer Gesellschaft verschwindet?

So kann man das sehen, und Kritiker weisen auf diese problematische Entwicklung hin: Es ist zumindest nicht unwahrscheinlich.

Wie beurteilen Sie diesen Trisomie-21-Test: positiv - immerhin ist ja die Situation für die Eltern etwas vereinfacht - oder negativ?

Positiv ist, dass es einen Test geben wird, der das relativ hohe Risiko der Fehlgeburten nicht mehr hat. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass der Test zur Routine wird. Dieser Gedanke macht viele Menschen nachdenklich, deshalb wird über das Thema jetzt intensiv diskutiert.

Was spricht denn aus Ihrer Sicht vor allem gegen einen solchen Routinetest?

Ein Punkt, den man sicherlich erwägen muss, ist, ob dann Eltern wirklich noch eine eigenständige Entscheidung treffen können. Es wird zumindest eine Stimmung erzeugt, in der eine Abtreibung relativ normal ist und in der das Abwägen für und wider schwieriger wird, weil es eine starke Tendenz zu einem Automatismus gibt.

Viele Eltern meinen, sie hätten ein Anrecht auf ein gesundes Kind. Bisher war das ja eher ein Geschenk oder eine Gnade.

Ja, das ist ein Problem, dass diese Stimmung erzeugt wird. Tatsächlich ist es natürlich so, dass es ganz, ganz viele Umstände gibt, die zu einem behinderten Kind, zu einem kranken Kind führen, die wir nach wie vor nicht detektieren können. Es gibt z.B. viele Komplikationen, die erst während der Geburt auftreten. Die Rede von einem Recht auf ein gesundes Kind ist in normativer Hinsicht sicherlich unsinnig, aber auch faktisch einfach falsch.

Trisomie 21 ist der erste Test in dieser Richtung, aber wir müssen wahrscheinlich davon ausgehen, dass in Zukunft noch sehr viel mehr Tests auf den Markt kommen werden. Gelangen wir irgendwann in eine Situation, in der die Gesellschaft entscheiden muss: Das ist eine Behinderung, die wir nicht mehr akzeptieren wollen, und das ist eine, mit der man leben kann?

Auch das ist sicherlich der Fall. Es gibt ja bereits einen ersten Fall von einem "whole genome scanning“ bei einem Fötus. Das heißt, im Grunde genommen ist absehbar, dass man sehr viel mehr genetische Merkmale frühzeitig detektieren kann.

Kann man dann auch sagen: Ich möchte lieber ein Kind mit blauen Augen und mit blonden Haaren?

Das ist natürlich ein sehr vielschichtiges Thema. Ob man das wirklich so einfach machen kann, das ist die Frage. Aber die generellen Befürchtungen, dass die Reproduktion stärker in den Bereich der Machbarkeit gerät, sind sicherlich nicht unbegründet.

Interview: Ingolf Baur