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KZ-Aufseherinnen in Ravensbrück

8. August 2020

Auch Frauen arbeiteten als Wachpersonal in Konzentrationslagern. Die Ausstellung in der Gedenkstätte Ravensbrück ist mehr als ein verstörender Rückblick auf die Nazi-Zeit.

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KZ-Gedenkstätte Ravensbrück
Aufseherinnen im KZ Ravensbrück (links) begrüßen 1941 den Reichsführer SS Heinrich Himmler (4.v.r.) Bild: Gedenkstätte Ravensbrück

Gewissensbisse? Reue? Maria Mandl waren solche Empfindungen völlig fremd. "Man konnte an dem Lager absolut nichts Schlechtes finden", sagte die Oberaufseherin des Frauen-KZs Ravensbrück noch kurz vor ihrem Tod. Die 36-Jährige starb 1948 durch den Strang, nachdem sie in Krakau als Kriegsverbrecherin zum Tode verurteilt worden war. Ihre grausame Karriere darf in der neuen Dauerausstellung der KZ-Gedenkstätte über weibliches Wachpersonal nicht fehlen. Denn so wünschten sich die deutschen selbsternannten "Herrenmenschen" ihre Aufpasserinnen in Konzentrationslagern: linientreu und erbarmungslos.

Eine wie Mandl war in der perversen Logik des NS-Regimes zu Höherem berufen. Deshalb wurde sie nach drei Jahren in Ravensbrück 1942 ins Vernichtungslager Auschwitz versetzt. Dort schuf sie das Mädchenorchester, das bei Häftlingstransporten und Hinrichtungen spielen musste. Die Österreicherin war fraglos eine der Grausamsten unter den mehr als 3300 KZ-Aufseherinnen, die in Ravensbrück auf ihren brutalen Job vorbereitet wurden. Das 80 Kilometer nördlich von Berlin gelegene Konzentrationslager war die zentrale Ausbildungs- und Rekrutierungsstätte für weibliches Wachpersonal.

KZ-Gedenkstätte Ravensbrück
Mit Schäferhunden hielten KZ-Aufseherinnen in Ravensbrück und anderen Konzentrationslagern die Häftlinge in Schach Bild: Gedenkstätte Ravensbrück

1940, der Zweite Weltkrieg hatte schon begonnen, wurden sie Hitlers mörderischer Elite-Einheit SS (Schutzstaffel) unterstellt. Die 2004 erstmals konzipierte, jetzt neu gestaltete und aktualisierte Ausstellung "Im Gefolge der SS" zu betiteln, ist also auf den Punkt gebracht. Auch der Ort ist mit Bedacht gewählt: ein ehemaliges Wohnhaus von KZ-Aufseherinnen, gleich neben dem einstigen Lager. Nur Mauer und Stacheldraht trennten hier von 1939 bis 1945 die Täterinnen von ihren insgesamt rund 140.000 Opfern. Die meisten waren Frauen, Kinder und Jugendliche.

"Du bist eine Dame, aber ich kann Dich schlagen"

Welchen Qualen, welcher Willkür die Häftlinge ausgesetzt waren, kann man in der Ausstellung auch hören. Manche Zeitzeugen-Interviews sind schon über 20 Jahre alt. Die Polin Urszula Wińska schildert in einem Video, wie sie beobachtete, als die besonders brutale Maria Mandl auf der Lagerstraße eine ältere Frau schlug. Als ihr eine andere zu Hilfe kam, landete die im Bunker. Monatelang ist sie dann tagtäglich ins Gesicht geschlagen worden. Mit dem höhnischen Kommentar: "Du bist eine Dame, aber ich kann Dich schlagen."

KZ-Gedenkstätte Ravensbrück
Heile Welt im Schatten des Nazi-Terrors: Die KZ-Aufseherin Johanna Langefeld (M.) lebte mit ihrem Sohn Herbert (l.) in der Ravensbrücker SS-Siedlung. Das Mädchen (r.) war die Tochter einer befreundeten Aufseherin. Bild: Gedenkstätte Ravensbrück

Es gab aber auch KZ-Aufseherinnen, die Anflüge von Menschlichkeit zeigten. So berichtet die ebenfalls aus Polen stammende Henryka Stanecka über ein Bad im See, das ihr gestattet wurde, nachdem ihr Häftlingstrupp seine schmutzige Zwangsarbeit auf einem Zuckerrüben-Feld verrichtet hatte. "Wir bekamen von ihr sogar ein Handtuch", erinnert sich die ehemalige Ravensbrück-Inhaftierte.

Der KZ-Job war "attraktiver als hirnlose Fließbandarbeit"

Je länger der Krieg dauerte, desto schwieriger fiel es den Nazis, freiwilliges Wachpersonal zu finden. Nachwuchs wurde auch per Zeitungsannonce rekrutiert. Das Wort "Konzentrationslager" fehlte in solchen Stellenanzeigen. Im "Hannoverschen Kurier" hieß es 1944 stattdessen: "Für den Einsatz bei einer militärischen Dienststelle werden gesunde weibliche Arbeitskräfte im Alter von 20-40 J. gesucht." Die Entlohnung erfolge nach der Tarifordnung im öffentlichen Dienst. Außerdem würden gewährt: "Freie Unterkunft, Verpflegung und Bekleidung (Uniform)."

Deutschland KZ-Gedenkstätte Ravensbrück | Ausstellung Im Gefolge der SS
Die KZ-Aufseherinnen musste keine besondere Ausbildung haben, Hauptsache sie waren überzeugte Nazis Bild: DW/M. Fürstenau

Solche Aussichten waren für viele Frauen aber auch ein Grund, sich freiwillig zu melden. Waltraut G. gehörte zu ihnen. In einem Interview räumte sie 2003 offen ein, sich aus finanziellen Gründen für die Arbeit als KZ-Aufseherin entschieden zu haben. Sie sei die Älteste von fünf Geschwistern gewesen. "Also habe ich gar nicht lange überlegt, sondern habe gedacht: Gut, wenn ich da mehr verdienen kann, dann gehe ich dahin." Auch Anna G. hatte keine Skrupel. Sie fand die Arbeit im KZ schlicht "attraktiver als hirnlose Fließbandarbeit" in einer Fabrik.

Nur wenigen wurde der Prozess gemacht

Nur sehr wenige haben sich offenbar widersetzt. Die in der Rüstungsindustrie dienstverpflichtete Christel Wenzel war eine von ihnen, auf die Ausstellungskuratorin Simone Erpel bei ihren Recherchen gestoßen ist. Demnach verlangte man von der Verweigerin, den KZ-Häftlingen "klarzumachen, dass sie eine falsche Einstellung zum Staat und zum Leben hätten, und sie zu bekehren zur aktiven Hilfe für Führer und Volk". Das konnte Christel Wenzel nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren. Negative Folgen hatte ihre Weigerung nicht.

Historikerin Simone Erpel über reale und fiktive KZ-Aufseherinnen

Wenig zu befürchten hatten auch die allermeisten KZ-Aufseherinnen. Lediglich 77 Prozesse habe es gegeben, sagt Kuratorin und Historikerin Simone Erpel. Todesurteile wie das gegen Maria Mandl oder lange Freiheitsstrafen waren die Ausnahme. Und späte Ermittlungen blieben meistens folgenlos für die inzwischen hochbetagten noch lebenden KZ-Aufseherinnen. Zuletzt wurden im Februar 2020 acht Verfahren im Bundesland Brandenburg, zu dem Ravensbrück gehört, eingestellt. Sieben wegen Verhandlungs- und Vernehmungsunfähigkeit der Beschuldigten, eins mangels hinreichenden Tatverdachts.

Ob die Nazi-Uniform echt ist, weiß niemand

"Nicht schuldig" - auf dieses Urteil plädierten KZ-Aufseherinnen in den wenigen gegen sie geführten Prozessen. Damit war aus Sicht der Täterinnen alles gesagt, obwohl sie nichts gesagt hatten, was ihren Opfern in irgendeiner Weise hätte helfen können. 75 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Ravensbrück ist dieses Kapitel deutscher Rechtsprechung "Geschichte". So drückt es ein Staatsanwalt in einem Interview aus, das man ebenfalls in der Ausstellung hören kann.

KZ-Gedenkstätte Ravensbrück
SS-Helferinnen und KZ-Zivilangestellte, die nach 1945 in US-amerikanischen Internierungslagern waren Bild: Gedenkstätte Ravensbrück

Und dann gibt es da noch den Raum, in dem es um "Fakten und Fiktion" geht. Die Figur der KZ-Aufseherin im Film und in der Literatur ist hier ebenso Thema wie der Handel mit Nazi-Devotionalien. So kommt es, dass Bernhard Schlinks in über 50 Sprachen übersetzter und verfilmter Roman "Der Vorleser" neben einer feldgrauen SS-Uniform zu sehen ist. "Es kann sich um eine Fälschung handeln", heißt es im Begleittext über den ungeklärten Ursprung des Kleidungsstücks. Echt ist aber auf jeden Fall die Mütze einer KZ-Aufseherin, die ein ehemaliger französischer Häftling der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück geschenkt hat.

In der Vitrine steht eine Puppe in SS-Uniform

Eine weibliche Puppe in einer Vitrine mit Waffe und SS_Uniform
Puppe in SS-UniformBild: DW/M. Fürstenau

In der hintersten Ecke der Ausstellung steht schließlich noch eine Glasvitrine. In ihr drin eine Puppe. Ihr Name: Silken Floss. So heißt die Hauptfigur in Frank Millers US-Film "The Spirit" (2008). Scarlett Johansson spielt die Heldin in einer Geschichte, die auf eine Comic-Serie von Will Eisner aus den 1940er und 50er Jahren zurückgeht. Das Original ist eine Kriminalgeschichte mit mystischen und komödiantischen Elementen. Die Puppe in der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück ist blond und trägt eine SS-Uniform. Im Internet kann man so etwas heutzutage kaufen. Man kann es auch für geschmacklos halten.

 

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte – Schwerpunkt: Deutschland