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Im Krieg rücken Deutsche und Amerikaner zusammen

1. Juli 2022

Russlands Einmarsch in die Ukraine hat das westliche Bündnis gestärkt, vor allem die Beziehungen zwischen Washington und Berlin. Ihre gemeinsame geopolitische Vision stützt sich auf starkes Engagement beider Seiten.

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G7 Gipfeltreffen Schloss Elmau | Joe Biden und Olaf Scholz
US-Präsident Joe Biden (links) und Bundeskanzler Olaf Scholz beim G7-Gipfel in ElmauBild: Jonathan Ernst/REUTERS

Das deutsch-amerikanische Verhältnis erfährt eine Renaissance. Nach zwei schwierigen Jahrzehnten mit Streit um den Irakkrieg, deutschen Spionagevorwürfen und immer neuem Spott durch den früheren US-Präsidenten Donald Trump ist das keine Kleinigkeit.

Der russische Einmarsch in die Ukraine hat den Beziehungen zwischen Washington und Berlin einen neuen Schub gegeben. Politische Beobachter sagen allerdings, die Verbesserungen hätten schon vorher begonnen. Der Krieg in der Ukraine "hat das gesamte transatlantische Bündnis wiederbelebt, und Deutschland ist da keine Ausnahme", sagt Daniel Benjamin, ein früherer Mitarbeiter im US-Außenministerium und heute Präsident der American Academy in Berlin, der DW. "Die neue US-Regierung hat sich seit ihrem Amtsantritt besonders auf Deutschland konzentriert und das mit dem Wunsch, den Schaden im beiderseitigen Verhältnis zu reparieren."

Ukraine-Krieg als Katalysator

Gemeinsame Vorstellungen im Widerstand gegen Russland haben die Reparatur beschleunigt. Die US-Regierung war begeistert, als Bundeskanzler Olaf Scholz die Erdgasleitung Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland faktisch beerdigte, die Präsident Joseph Biden "einen schlechten Deal für Europa" genannt hat. Stattdessen will Deutschland im Eiltempo Flüssiggas-Terminals bauen, mit denen Deutschland leichter Gas aus den USA importieren kann.

Ukraine Krieg Zerstörung in Mariupol
Russische Zerstörungen in Mariupol: Der Krieg hat die westlichen Verbündeten zusammengeführtBild: Alexander Ermochenko/REUTERS

Sowohl in absoluten Zahlen als auch relativ zur Wirtschaftskraft haben die USA mehr als Deutschland zum Kampf der Ukraine gegen Russland beigetragen. Auch hängt Deutschland in der NATO weiterhin der Ruf an, sich weniger einzubringen, als es seinem politischen Gewicht entspräche. Bis zum 7. Juni hatte Deutschland nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft 35 Prozent der Militärhilfe an die Ukraine geliefert, die es zugesagt hatte, die USA dagegen fast 50 Prozent, während Länder wie Polen oder die baltischen Staaten sogar bei oder nahe an 100 Prozent lagen.

Während der Amtszeit von Donald Trump hätten diese schlechten deutschen Zahlen zu einem öffentlichen Rüffel aus Washington geführt. Die Biden-Regierung verfolgt aber einen anderen Kurs. "Wir begrüßen Deutschlands Beitrag und fordern Deutschland und andere Länder dringend auf, der Ukraine militärische Ausrüstung zur Verfügung zu stellen, damit sie sich gegen Russland verteidigen kann", sagte Joe Giordono-Scholz, Sprecher der US-Botschaft in Berlin, der DW in einer Stellungnahme.

Es geht um mehr als um die Ukraine

Ein wichtiges Element dabei ist Scholz' Zusage, die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro aufzurüsten. Auch wenn die Finanzspritze eine direkte Folge des Krieges ist, dürfte sie seinen Verlauf jedoch kaum beeinflussen. Deutsche Sicherheitsexperten sehen darin eher eine Art Wiedergutmachung für jahrelange Vernachlässigung. Deutsche Panzer werden nicht unbedingt auf ukrainischen Schlachtfeldern auftauchen. Aber die Extra-Mittel für die Bundeswehr könnten dazu beitragen, dass Deutschland seine Verbündeten - und seine Gegner - überzeugen kann, dass es Scholz' Aussage, man werde "jeden Zentimeter des NATO-Territoriums verteidigen", ernst meint.

Deutschland Berlin | Internationale Konferenz zur Ernährungssicherheit | Blinken & Baerbock
Außenministerin Annalena Baerbock, US-Amtskollege Antony Blinken: Annäherung nach den schwierigen Trump-JahrenBild: Florian Gaertner/Photothek/picture alliance

Auch wenn die von Scholz geführte Ampelkoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und liberaler FDP bei der Bundeswehr-Aufrüstung die Zustimmung der CDU/CSU-Opposition hatte, bleibt unklar, wofür genau das Verteidigungsministerium, das seit langem Probleme mit der Beschaffung hat, die 100 Milliarden Euro ausgeben wird. Zumindest ein Teil der Summe wird an amerikanische Rüstungsfirmen fließen, die viele der Waffensysteme liefern können, an denen Deutschland interessiert ist.

Nukleare Teilhabe

Ziemlich weit oben auf der Einkaufsliste steht das Tarnkappenkampfflugzeug F-35, obwohl das US-Verteidigungsministerium die vollumfängliche Produktion des Modells für ihre Luftwaffe noch gar nicht genehmigt hat und das Projekt nach einem Bericht des amerikanischen Rechnungshofs zu teuer ist und den Planungen hinterherhinkt.

Der Auftrag aus Deutschland zeigt aber, dass das Land weiterhin an der nuklearen Teilhabe der NATO interessiert ist. Nach der Ausmusterung der betagten Tornado-Kampfflugzeuge wird die NATO durch die F-35 weiterhin amerikanische Atomwaffen tragen können. Es geht hier um eine der wichtigsten Erwartungen der Amerikaner an ihre europäischen Verbündeten. Die Sache ist allerdings in Deutschland heikel. Denn sowohl Scholz' SPD als auch die Grünen verstehen sich als Abrüstungsparteien.

Deutschland Ramstein | U.S. Air Force F-35 Lightning II Kampfjet
Die F-35 garantiert fortgesetzte nukleare TeilhabeBild: Edgar Grimaldo/US Air/ZUMA Wire/IMAGO

Die Grünen standen bisher der nuklearen Teilhabe besonders kritisch gegenüber. Aber die vom Bundeskanzler verkündete "Zeitenwende" nach Beginn des Krieges bedeutet auch, dass einige politische Positionen, die früher sakrosankt waren, heute anders bewertet werden.

Asien oder Europa?

Zählt man die regulären deutschen Verteidigungsausgaben zur 100-Milliarden-Sonderzulage für die Bundeswehr hinzu, wird Deutschland - in absoluten Zahlen - das größte Verteidigungsbudget in Europa haben. Politische Beobachter sehen die schuldenfinanzierten Sonderausgaben als Symbol deutscher Glaubwürdigkeit mit möglicherweise bedeutenden strategischen Konsequenzen für die USA: Im Gegensatz zu ihren europäischen Verbündeten sehen sich die USA als vorherrschende Macht - und zwar im Pazifikraum in direkter Konkurrenz mit einem immer mächtiger werdenden China.

Biden bekräftigt Zusammenhalt von NATO und G7

Seit Jahren versucht die amerikanische Außenpolitik, sich in einer schwierigen Gratwanderung mehr auf Ostasien zu konzentrieren, ohne dabei ihr transatlantisches Sicherheitsengagement zu vernachlässigen. "Amerika kann sich nicht Asien mehr zuwenden - ohne große Risiken für Europa -, ohne eine erfolgreiche 'Zeitenwende'. (Die USA) können (Europa) verlassen, aber Europa wäre dann sehr gefährdet", sagt Michal Baranowski von der Stiftung German Marshall Fund der DW. Sein "Alptraum-Szenario" wäre, dass Russland im Krieg in der Ukraine nicht "gebrochen" würde, sich die USA von Europa abwendeten und Deutschland die Lücke nicht füllen würde. "Dann hätte Russland wieder die Chance, seine Macht und seine Streitkräfte neu aufzubauen, aber diesmal über die Ukraine hinauszugehen", sagt Baranowski.

Vertrauen in die deutsch-amerikanische Partnerschaft

Auf amerikanischer Seite kommt die Gefahr für das beiderseitige Verhältnis von innenpolitischer Seite. Biden erscheint bereits heute, wenige Monate vor den Kongresswahlen im November, schwach. Normalerweise verliert bei den sogenannten "mid-term elections" die Partei, die den Präsidenten stellt, Sitze im Kongress.

Es ist unklar, ob Bidens Nachfolger oder Nachfolgerin, egal ob nach einer oder zwei Amtszeiten, Bidens langfristige Partnerschaften, etwa die mit Deutschland, so weiterführen würde. Nach einer Umfrage des Vereins Atlantikbrücke, der sich für die Förderung der beiderseitigen Beziehungen einsetzt, stimmen etwa 60 Prozent der Amerikaner und Deutschen der Aussage zu, dass die Regierungen von Biden und Scholz die Beziehungen gestärkt haben. Noch mehr - 71 Prozent der befragten Amerikaner und 81 Prozent der Deutschen - sagen, die Beziehungen sollten unabhängig von der amtierenden Regierung eng sein.

Washington Scholz und Biden
Im Februar traf Bundeskanzler Olaf Scholz Präsident Joe Biden im Weißen HausBild: Alex Brandon/AP/picture alliance

Der Krieg in der Ukraine, so die Umfrage, hat das gegenseitige Vertrauen gestärkt. Allerdings bleiben beide Seiten skeptisch, ob der jeweils andere "das tut, was richtig ist". 

Im Mai hat der US-Kongress das 40-Milliarden-Dollar-Hilfspaket für die Ukraine verabschiedet. Sicherheit in Europa dürfte eines der wenigen Themen sein, die nicht vom bitteren Machtkampf zwischen Weißem Haus und Kongress betroffen sind. "Der Optimist in mir sagt, dass das ein anhaltender Trend ist, der über die Biden-Regierung hinausweist", sagt Daniel Benjamin von der American Academy, "wenn beide Seiten die weltweite Situation im Blick haben".

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik