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"Mehr Mut zum Experiment"

Sabine Oelze22. November 2013

Der polnische Kurator Adam Szymczyk wird künstlerischer Chef der Documenta 14 in Kassel. Im DW-Interview erklärt die Documenta-Professorin Dorothea von Hantelmann, was von der Entscheidung zu erwarten ist.

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Die Documenta-Professorin der Kunsthochschule Kassel, Dorothea von Hantelmann. Bildrechte: Dorothea von Hantelmann.
Dorothea von HantelmannBild: privat

Die New York Times bezeichnete ihn vor ein paar Jahren als den Rockstar unter den Kuratoren für zeitgenössische Kunst. Adam Szymczyk war zwischen 1997 und 2003 Kurator der Foksal Gallery Foundation in Warschau. In den letzten zehn Jahren hat er mit vielen zeitgenössischen Künstlern im Rahmen von Publikationen und Ausstellungen zusammengearbeitet. 2008 war er Co-Kurator der Biennale in Berlin. Eine achtköpfige Findungskommission, darunter die Direktorin des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, Susanne Gaensheimer, hat sich einstimmig für Szymczyk entschieden.

Ein Gespräch mit der Berliner Kunsthistorikerin und Inhaberin der Documenta-Professur in Kassel, Dorothea von Hantelmann.

DW: Wie beurteilen Sie die Entscheidung für den 43-jährigen Adam Szymczyk?

Dorothea von Hantelmann: Das Besondere bei dem Entscheidungsverfahren ist, dass die Kandidaten auf der Basis ihres eingereichten Konzeptes ausgewählt werden. Ich kann nicht sagen, wie die Entscheidung zustande gekommen ist. Die Documenta zu leiten, ist eine schwierige Aufgabe, wenn man bedenkt, dass sie im Unterschied zu anderen Blockbuster-Ausstellungen oder Biennalen, den "state of the art" zu repräsentieren hat. Sie soll zeigen, was auf der ganzen Welt in Sachen Kunst, aber auch im Bereich des heutigen Denkens relevant ist. Da braucht man radikale Formate und auch Mut zum Experiment.

Adam Szymczyk arbeitet schon lange als Kurator. Womit ist er bislang in Erscheinung getreten?

Er hat die BerlinBiennale 2008 geleitet, er ist Kurator am Kunstmuseum in Basel. Er steht für gute, aber eher konventionelle Ausstellungen. Ich persönlich hätte mir mehr Mut und eine experimentellere Herangehensweise gewünscht. Aber vielleicht hat Szymczyk das auch vor – das Konzept kenne ich noch nicht.

Adam Szymczyk, neuer künstlerische Leiter der Documenta 14, Foto: Uwe Zucchi/dpa
Adam Szymczyk, neuer Leiter der Documenta 14Bild: picture-alliance/dpa

Welche Rolle spielte die osteuropäische Kunst bislang in der Geschichte der Documenta?

Sie spielte bislang keine besonders große Rolle. Von dieser Warte aus gesehen ist die Entscheidung nachvollziehbar. Es ist das erste Mal, dass ein Kandidat aus Osteuropa ausgewählt wurde. Das finde ich eine interessante Setzung. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Künstler, die bislang wenig präsent waren, durch die Documenta ein größeres Forum bekommen könnten.

Arnold Bode war der Gründer und Motor der Documenta. Er hat sie gleich dreimal geleitet. Wie haben sich die Herausforderungen von 1955 bis 2017 verändert?

Zunächst ist die Documenta eine globalere Ausstellung geworden. Aber schon zu Bodes Lebzeiten und den ersten drei Documenta-Ausstellungen zeichnete sich ab, dass es nicht reicht, museal akzeptierte Kunst zu zeigen. Es ging darum, eine Ausstellung zu machen, die Gegenwart repräsentiert, und nicht Alte Meister, die museal abgesichert sind. Das war damals schon die Herausforderung der Documenta: eine junge Kunst, die noch nicht kanonisiert ist, zu präsentieren und gleichzeitig daraus eine Setzung abzuleiten. Das führte dann auch zum Generationswechsel mit Harald Szeemann und seiner Documenta 5 im Jahr 1972. Die große neue Herausforderung ergab sich durch die globale Perspektive. Mit der Documenta 10 kam dann die globale Dimension in den Blick und noch deutlicher mit der Documenta 11. Es reicht seitdem nicht mehr, von Europa aus zu gucken. Dieser Aufgabe muss sich jeder Documenta-Chef stellen. Und was noch hinzu kommt: Es reicht nicht, auf die bildenden Kunst zu gucken. Man erwartet von der Documenta mehr: Sie muss nicht nur wichtige Fragen der Gegenwart aufgreifen, sie muss ihre Themen so präsentieren, dass sie für 800 000 Besucher zugänglich sind. Das ist keine leichte Sache.

Es gab verschiedene Leiter, die bestimmte Sichtweisen auf die Kunst eröffnet haben. Manfred Schneckenburg hat als erster die Medien einbezogen, Okwui Enwezor hat einen Blick auf den afrikanischen Kontinent geworfen. Carolyn Christov-Bakargiev hat Kunst und Leben miteinander verzahnt. Wann wurde damit angefangen, die Leiter nach ihren eingereichten Konzepten auszuwählen?

Das hat mit Harald Szeemann und seiner Documenta 5 angefangen. Er war der erste, der eine thematische Ausstellung vorgeschlagen hat. Er wollte keine Ausstellung mit den wichtigsten Künstlern aus der Position des kunsthistorischen Wissens der Gegenwart zeigen, sondern er wollte seine Perspektive auf die Gegenwart vorschlagen. Damit rückte der Kurator ins Zentrum. Dafür steht Harald Szeemann mit seiner d5. Das ist ein Signum der Documenta geworden, dass es zwar eine kontinuierliche Verwaltungsstruktur gibt, aber dass jeder neue Leiter bei null anfängt. Die Documenta erfindet sich jedes Mal neu und zwar mit der Person, die sie leitet. Es ist in den Statuten verankert, dass es nur eine Autorschaft gibt, und zwar die des künstlerischen Leiters.

Die Theorie und die diskursive Verankerung spielt seit Catherine Davids Documenta 10 eine bedeutende Rolle. Kann das Publikum diese Wege noch mitgehen?

Die Documenta 10 wurde als sehr theorielastig beschrieben. Das war ihr Charakteristikum. Heute ist es die große Aufgabe, auf unterschiedlichen Ebenen zu spielen: eine Setzung zu markieren, sich zu positionieren und gleichzeitig vermittelbar, offen und zugänglich zu sein.

Die Documenta 13 hatte Ableger in Kabul und in Ägypten. Welchen Sinn hat es überhaupt noch, sie in Kassel stattfinden zu lassen?

Das macht auf jeden Fall Sinn! Die Ausstellungen in Kabul oder in Kairo hat kaum einer gesehen. De fakto ist die Documenta die Ausstellung , die in Kassel stattfindet. Das halte ich für sehr wichtig. Die Documenta kommt aus einem historischen Zusammenhang heraus. Da gibt es Kontinuitäten wie zum Beispiel die Idee, dass sie nur alle fünf Jahre stattfindet. Das ist wichtig, um den Charakter der Ausstellung zu behalten. Das kann man nicht beliebig verändern.

860 000 Besucher sahen die Documenta 13. Damit hat sie einen Rekord aufgestellt. Inwiefern ist die Documenta in erster Linie eine Publikumsschau – oder ein Event?

Kassel hatte nach dem Krieg 70 000 Einwohner und zur ersten Documenta kamen 130 000 Besucher. Schon die erste Documenta war ein gigantischer Publikumserfolg und entwickelte eine neue Art von Kulturtourismus, den es bis dato nicht gegeben hatte. Natürlich muss man diese Entwicklung in einem größeren Zusammenhang betrachten: Der Kunstbetrieb hat sich enorm vergrößert - mit unzähligen Biennalen und Kunstmuseen. Auf dieser Welle schwimmt die Documenta mit. Diese Entwicklung kann man sicher als Spektakelhaftigkeit kritisieren. Aber als Kunstwissenschaftlerin muss ich sagen: Ich finde es toll, wenn sich viele Leute für Kunst interessieren.

Dorothea von Hantelmann ist seit diesem Jahr erste Documenta-Professorin an der Kunsthochschule Kassel. Die 43-jährige gebürtige Hamburgerin war zuletzt als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin und davor unter anderem am Museum of Modern Art in New York tätig.


Das Interview führte Sabine Oelze