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Humanitäre Situation im Osten des Kongo bleibt dramatisch

4. Februar 2025

Nach dem Vormarsch der M23-Miliz sind die Krankenhäuser in Goma an der Belastungsgrenze. Sie hat eine Waffenruhe angekündigt - die bei Beobachtern auf Skepsis stößt. Viele Menschen sind nach wie vor verängstigt.

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Kinder beobachten, wie Helfer in Schutzanzügen Leichensäcke zusammentragen. Ein Mädchen hält sich die Nase zu.
Im Ostkongo läuft ein Wettlauf gegen die Zeit - die vielen Leichen müssen dringend bestattet werden, bevor sich Krankheiten ausbreiten könnenBild: Alexis Huguet/AFP/Getty Images

Strom und fließend Wasser sind zurück in den meisten Wohnvierteln in Goma. Die Einwohner der Millionenstadt im Osten der Demokratischen Republik Kongo haben dramatische Tage hinter sich, seitdem eine Rebellen-Koalition um die Miliz M23 Ende Januar ihren Vormarsch startete. Nach tagelangen Kämpfen brachte sie Goma unter ihre Kontrolle; UN-Angaben zufolge wurden dabei rund 900 Menschen getötet.

Doch Strom und Wasser alleine reichen nicht aus, um die humanitäre Situation zu stabilisieren, wie die DW vor Ort erfuhr. Eine Herausforderung besteht darin, die vielen Toten zu bestatten, bevor sich Krankheiten ausbreiten können. Außerdem sind die Krankenhäuser jenseits der Belastungsgrenze, weil sie neben dem Normalbetrieb tausende Verletzte behandeln müssen.

Doppelt so viele Patienten wie Betten - und kaum Medikamente

Die DW hat ein Krankenhaus des Roten Kreuzes besucht, das 146 Betten hat - und gerade 290 Patientinnen und Patienten behandelt. Auf dem Grundstück des einstöckigen Gebäudes sind weiße Zelte aufgebaut, in denen weitere Verletzte untergebracht sind.

DW Beitragsstill | Lage von Krankenhaus in Goma
In der Klinik des Roten Kreuzes sollen Zelte die Kapazitäten erweitern, doch es fehlt an Medikamenten und AusrüstungBild: DW

"Aktuell benötigen wir Verbrauchsmaterialien und Medikamente, also alles, was wir für die Pflege brauchen", erzählt der Notarzt Abdouraman Sidibé. "Unser Lager wurde geplündert, was die Behandlung erschwert. Wir haben unsere Partner um Medikamente gebeten, aber wir warten schon seit zehn Tagen darauf. Das erschwert unsere Arbeit."

Einseitige Waffenruhe der M23, aber kaum Vertrauen

Noch völlig offen ist, ob eine Ankündigung der Koalition um die M23 zumindest vorübergehend zur Entspannung beiträgt: Seit Dienstag gilt eine einseitige humanitäre Feuerpause. Darüber hinaus erklärte die von Ruanda unterstützte M23, man verfolge nicht die Absicht, "die Kontrolle über Bukavu oder andere Ortschaften" zu übernehmen.

Im Kongo haben Armee und Regierung skeptisch reagiert. Die M23-Kämpfer "sagen das eine und tun das genaue Gegenteil", zitierte die Nachrichtenagentur Reuters den Armee-Sprecher Sylvain Ekenge. "Sie rufen eine Waffenruhe aus, um ihre Reihen zu reorganisieren und zu stärken."

Auf einem Pick-up der kongolesischen Armee (FARDC) sitzen bewaffnete M23-Kämpfer
Die M23 hat auch Polizisten sowie Soldaten der kongolesischen Armee (FARDC) festgesetzt, die sich ergeben hattenBild: Moses Sawasawa/AP Photo/picture alliance

Eine Waffenruhe zu erklären sehe immer gut aus, findet Stephanie Wolters, Expertin für die Region der Großen Seen beim Südafrikanischen Institut für Internationale Angelegenheiten (SAIIA). "Wenn die kongolesische Seite die Waffenruhe bricht, steht sie wiederum schlecht da", sagt Wolters zur DW. Zunächst einmal komme die M23 bei anstehenden politischen Gesprächsrunden ein wenig aus dem Abseits heraus.

Zwischen Krisengipfeln und Kriegsangst

Ruandas Präsident Paul Kagame hat bereits seine Teilnahme an einem Krisengipfel der Ostafrikanischen Gemeinschaft am kommenden Wochenende bestätigt; von Kongos Präsident Felix Tshisekedi steht die Zusage noch aus.

Nach Angaben der UN und anderer Experten unterstützt Ruanda die M23 logistisch, militärisch und sogar aktiv mit eigenen Soldaten. Die Regierung in Kigali weist diese Berichte kategorisch zurück. Die meisten M23-Kämpfer sind Tutsi. Sie gehören also der Volksgruppe an, an der Angehörige der Hutu-Mehrheit im angrenzenden Ruanda 1994 einen Völkermord verübten, bis dieser von einer Tutsi-Miliz unter Führung des heutigen Präsidenten Kagame gestoppt wurde.

Nicht nur aufgrund der Rhetorik in Kigali und Kinshasa gibt es Sorgen, dass sich die Eskalation zu einem weiteren größeren Krieg auswachsen könnte. Uganda hat Berichten zufolge bereits seine Militärpräsenz im Ostkongo um rund 1000 auf nunmehr 4000 bis 5000 Soldaten erhöht. Die rohstoffreiche Region war zwischen 1996 und 2003 bereits Schauplatz zweier Kriege mit zahlreichen beteiligten Gruppen und insgesamt sechs Millionen Todesopfern.

UNHCR fordert sichere Wege für Menschen und Hilfsgüter

Auch die gut 20 Jahre seit dem Ende des Zweiten Kongokriegs waren für viele Menschen weiter von Instabilität geprägt: Die Präsenz wechselnder Milizen samt Kämpfen, Plünderungen und Vergewaltigungen trieb immer wieder Menschen in die Flucht. Schon vor Beginn der jüngsten Eskalation zählte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR 4,6 Millionen Binnenvertriebene in den Unruheprovinzen Nord- und Südkivu.

Ein Mann steht auf den verbrannten Überresten seines Hauses, etwas weiter hinten steht eine Frau.
Viele Menschen haben wie hier in Saké ihre gesamten Besitztümer verloren - ein Schicksal, das so manche Bewohner des Ostkongo schon mehrfach erlitten haben angesichts des seit Jahrzehnten andauernden KonfliktsBild: AFP/Getty Images

"Wir erhalten Berichte über Straßensperren und weitere Hindernisse für die Menschen, die sich auf der Suche nach Sicherheit umher bewegen", sagt UNHCR-Sprecherin Eujin Byun der DW. "Deshalb fordern wir sichere Wege sowohl für humanitäre Hilfe als auch für Menschen in Not."

Größere Fluchtbewegungen in die Nachbarländer beobachte das UNHCR bislang nicht, sagt Byun. "Man darf nicht vergessen, dass die Menschen im Ostkongo schon vielfach vertrieben wurden. Sie wollen in ihrem Land bleiben." Derzeit sei es politisch geboten, eine weitere Eskalation zu verhindern, die die Menschen zur Flucht über Landesgrenzen hinaus drängen könnte.

Bürger in Bukavu: Gehen oder bleiben?

Sollten die M23 und ihre Verbündeten nach einem Ende der Waffenruhe ihren Vormarsch fortsetzen, könnten in der Provinz Südkivu weitere Menschen flüchten. Rund 60 Kilometer trennten sie am Wochenende noch von der Provinzhauptstadt Bukavu.

Eine Menschenmenge versammelt sich auf einem runden Platz; im Hintergrund ist das Ufer des Kivu-Sees zu sehen
Bukavu liegt am Südende des Kivu-Sees: Auf dem Archivbild von November 2023 sind Anhänger des Nobelpreisträgers Denis Mukwege zu sehen, der damals als Präsidentschaftskandidat in Bukavu Station machteBild: ALEXIS HUGUET/AFP

Vor Ankündigung der Waffenruhe sprach die DW mit Anwohnern, die ihre Stadt verlassen wollen: "Goma ist nicht weit von Bukavu entfernt. Dort sind die Leute drei Tage lang nicht vor die Tür gegangen. Wir befürchten, dass es in Bukavu auch so kommen könnte", sagte eine Frau der DW. Sie wollte deshalb über die Grenze nach Burundi flüchten. Sollte die M23 auf Bukavu vorrücken, könnten viele Einwohner der Millionenstadt die gleiche Entscheidung treffen.

Mitarbeit: Zanem Zaidi (Goma), Jonas Gerding (Kinshasa)