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"Eingriff ist ethisch falsch und riskant"

Gudrun Heise
26. November 2018

In China sollen die ersten Genom-editierten Babys zur Welt gekommen sein. Durch Gen-Editing mithilfe von CRISPR/Cas9 sollen die Kinder vor HIV geschützt sein. Der Heidelberger Biologe Jan Korbel kritisiert den Versuch.

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Stills Fit&Gesund Genschere
Bild: DW

Deutsche Welle: Wie realistisch ist die Meldung aus China? 

Jan Korbel: Das menschliche Genom kann bereits seit einiger Zeit verändert werden. Reglementierungen in Europa sorgen jedoch dafür, dass diese Experimente hier nicht durchgeführt werden. 

Derzeit fehlen wichtige grundsätzliche Informationen, in welchem Rahmen das Experiment stattgefunden hat. Es gibt keine Veröffentlichung in Form eines Papers und somit keine Peer-Reviews. Dadurch werden Bedenken über die wissenschaftliche Qualität der Arbeit geweckt. Noch wurden keinerlei belastbare Daten veröffentlicht. 

Mehr dazu: Ernst-Jung-Preis für Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier

Jan Korbel Molekularbiologe
Jan KorbelBild: EMBL

Welche Risiken gibt es bei Genom-Editing mit CRISPR/Cas9? 

Die CRISPR/Cas9-Methode ist eine präzise Technik in dem ausgewählten Zielbereich, aber genetische Veränderungen außerhalb dieses Bereiches können nicht ausgeschlossen werden. 

Wo liegen die Chancen von CRISPR/Cas9?

Chancen gibt es zum Beispiel in der Grundlagenforschung. Praktisch an beliebigen Stellen im Erbgut können Forscher Veränderungen vornehmen. So kann das Erbgut zielgerichteter studiert werden als es vorher möglich war.

Durchaus vielversprechende Anwendungsmöglichkeiten gibt es auch in der angewandten Forschung, zum Beispiel bei der Herstellung von industriell wichtigen Bakterien – etwa in der Milch- oder Weinindustrie - sowie bei der Züchtung von Nutzpflanzen. Auch in der Biomedizin wird die CRISPR/Cas9-Methode sicherlich noch eine wichtige Rolle spielen.

Im Erbgut der beiden Mädchen sei die molekulare Eintrittspforte entfernt, worden, durch die HI-Viren Menschen infizieren können, heißt es. Was bedeutet das?

Hier wird versucht, eine natürlich vorkommende Mutation, bei der ein bestimmter Rezeptor fehlt, nachzubilden. Die betroffenen Menschen sollen kein AIDS entwickeln können. Abgesehen davon, dass ein solcher Eingriff in Europa gänzlich illegal wäre, gibt es zusätzlich keinerlei Dokumentation über weitere Effekte der eingebrachten Veränderungen.

Dieser Eingriff ist nicht nur ethisch falsch, sondern auch sehr riskant. Dabei wird versucht, eine Infektionskrankheit mit einer neuartigen, risikoreichen Methode zu verhindern, obwohl es ja schon Schutzmöglichkeiten gibt – zum Beispiel die Nutzung von Kondomen. 

Mehr dazu: Kommentar: Genversuche am Menschen stoppen!

Mikroinjektion
Mikroinjektion von Fisch-Embryonen mithilfe von CRISPR/Cas9Bild: picture-alliance/dpa/Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin

Wie groß ist die Gefahr, dass durch einen solchen Eingriff auch andere, wichtige Genome entfernt oder vielleicht beschädigt werden?

Selbst wenn genetische Veränderungen außerhalb des Zielbereiches nur minimal ausfallen, ist es derzeit unmöglich, Langzeitkonsequenzen abzuschätzen.

Da in dem vorliegenden Fall die mit der "Genschere" eingebrachte Veränderung in vielen Zellen gleichzeitig auftaucht, und sogar von Zelle zu Zelle variieren könnte, sind die Folgen noch undurchsichtiger. In Deutschland und Europa ist Gene-Editing in der Keimbahn daher auch illegal.

Jan O. Korbel ist in den Bereichen Computerbiologie, Humangenetik und Genomik tätig. Er ist Gruppenleiter und Senior Scientist am European Molecular Biology Laboratory Heidelberg.