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"Viele Amerikaner hatten keine Vorstellung"

Monika Griebeler, Washington DC27. Oktober 2013

Jetzt wehren sich auch US-Bürger gegen die Überwachung durch ihren Staat. Am Rande der Proteste in Washington hat die DW mit Medienwissenschaftlerin Lindsay Hoffman einen Blick in die amerikanische Seele geworfen.

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Lindsay H. Hoffman, Dozentin für Kommunikation und Politikwissenschaften an der Universität von Delaware, USA (Foto: Monika Griebeler, DW)
Bild: DW

Deutsche Welle: Vor zwölf Jahren, am 26. Oktober 2001, wurde in den USA der "Patriot Act" unterzeichnet – und mit diesem Gesetz die Überwachungsmöglichkeiten von FBI und Geheimdiensten massiv ausgedehnt. Jetzt, am 26. Oktober 2013, demonstrieren Tausende in Washington und anderen Städten gegen die Überwachung durch ihren Staat. Ist das heutige Amerika das "Land of the Free", das Land der Freiheit? Oder doch das Land der Spionage?

Lindsay H. Hoffman: Das ist schwierig zu sagen. Seit Wikileaks und aktuell den Enthüllungen von Edward Snowden merken wir erst, was die NSA eigentlich macht. Obwohl Spionage schon sehr lange existiert, hatten viele Amerikaner keine Vorstellung davon, wie sehr sie in ihr Privatleben eindringt. Sie fangen so langsam an, sich deswegen Sorgen zu machen.

Trotzdem: Besonders viele Teilnehmer waren bei den Protesten hier in Washington nicht dabei. Es gibt im Moment einfach andere Themen. Wenn man die Amerikaner fragt, was sie gerade beschäftigt, dann sind das vor allem die "Obamacare"-Krankenversicherung und jüngst der Shutdown.

Warum sind die US-Amerikaner auf einmal so überrascht vom Ausmaß der Überwachung?

Wenn man schaut, wie und wann der Patriot Act entstanden ist, dann sieht man, dass die Amerikaner damals große Angst vor Terroranschlägen hatten und das Gesetz damals komplett gerechtfertigt schien. Die Bürger hatten nichts gegen diese Art der Überwachung. Sie sagten: ‚Ich habe nichts falsch gemacht. Ich habe nichts zu verbergen. Schaut euch meine Daten an – wenn es hilft, einen Terroranschlag zu verhindern, dann ist das für mich ok.’

US-Bürger demonstrieren am 26.10.2013 nahe dem Kapitol in Washington gegen die Überwachung durch Geheimdienste wie die NSA (Foto: Monika Griebeler/DW)
Hoffman: "Sobald es eine Bedrohung der Bürgerrechte gibt, bringt das die Amerikaner auf"Bild: DW

Hinzu kommt, dass wir uns heute mehr auf Technologien verlassen: Die Menschen nutzen jeden Tag Facebook und Twitter und Email-Programme. Mit der Zeit wurde es normal, Informationen von sich preiszugeben und darüber haben wir die Auswirkungen des Patriot Act vielleicht vergessen.

Viele Amerikaner dachten auch, dass diese Dinge eben Privatsache sind und dass es keinen Grund dafür gäbe, überwacht zu werden, solange man sich nichts zu schulden kommen ließ. Und jetzt steht fest, dass man sich nicht mal verdächtig gemacht haben muss – und die Regierung kann trotzdem alles über einen herausfinden. Das beunruhigt die Leute.

Und deshalb demonstrieren sie jetzt auf einmal?

Für US-Bürger hat Freiheit einen sehr großen Wert. Sobald es eine Bedrohung der Bürgerrechte gibt, bringt das die Amerikaner auf. Im Moment geht es den Amerikanern aber hauptsächlich darum, dass sie ausspioniert wurden – und weniger, dass auch Staatschefs und Bürger anderer Länder betroffen sind. Obwohl das eigentlich das viel größere Problem ist.

Ziehen die Leute auch Konsequenzen aus den Enthüllungen?

US-Bürger demonstrieren am 26.10.2013 nahe dem Kapitol in Washington DC gegen die Überwachung durch Geheimdienste wie die NSA (Foto: Monika Griebeler/DW)
"Ganz gewöhnliche Leute, die schockiert sind" - so hat es Hoffman bei der Demonstration beobachtetBild: DW

Es gibt ein paar ganz interessante Entwicklungen: Inzwischen gibt es Internetanbieter, denen man keine Information von sich geben muss und die man bar bezahlen kann. Die Anbieter haben also fast keine Vorstellung davon, wer man ist. Und manche Menschen überlegen, sich ganz auszuloggen, nicht mehr online zu sein. Sogar ein paar meiner Studenten sagen: ‚Vielleicht nutze ich Facebook jetzt mal weniger.’ Das haben sie bisher noch nie gesagt. Jetzt melden sich einzelne aber tatsächlich aus dem sozialen Netzwerk ab.

Da wir gerade von Facebook sprechen: Die NSA-Enthüllungen haben auch gezeigt, welchen Einfluss Staaten auf solche Firmen haben. Was denken die Amerikaner über diese enge Zusammenarbeit von IT-Firmen und Regierung?

Ganz am Anfang der Snowden-Enthüllungen standen ja die “Verizon leaks”: Verizon, ein sehr beliebter Telefonanbieter in den USA, hatte Verbindungsdaten an die US-Regierung weitergegeben. Das war beängstigend.

Die Demonstranten – auch hier bei den Protesten – fordern eine Abkehr von Firmensoftware und wollen lieber den Einsatz von Open Source Software, in der die Software und ihr Code den Bürgern gehören. Sie wissen dann, wie das Programm funktioniert und welche Daten wo liegen. Die Leute merken, dass sie die Kontrolle über ihre digitale Identität verlieren.

"Stop watching us" - „Hört auf, uns zu überwachen“, fordern die Demonstranten. Welche Möglichkeiten hat die US-Regierung, die Überwachung einzuschränken?

US-Bürger demonstrieren am 26.10.2013 nahe dem Kapitol in Washington DC gegen die Überwachung durch Geheimdienste wie die NSA (Foto: Monika Griebeler/DW)
"Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht": Diese Demonstrantin sieht es wie Angela MerkelBild: DW

Transparenz ist der erste Schritt. Firmen wie Facebook und Twitter müssen ihr Vorgehen sehr klar offenlegen. Aber was besonders wichtig ist, ist ein Politikwechsel. Der Patriot Act muss überdacht werden, denn die Technologien was wir online tun, wie wir kommunizieren, das alles hat sich komplett verändert.

Es gibt bereits erste Gesetze zur Überwachung. Aber jetzt war so viel anderes los – Obamacare und der Streit um den US-Haushalt – dass das Thema Überwachung keine oberste Priorität hatte. Wenn es aber in den Medien bleibt und Umfragen zeigen, dass es für die Bürger relevant ist, dass sie sich empören – dann müssen die Politiker reagieren.

In Europa empören sich Regierungen und Bürger gleichermaßen über die Überwachung. Würde Druck von außen helfen, die Entwicklungen in den USA zu beschleunigen?

Ich glaube, den meisten Amerikanern ist gar nicht bewusst, wie viel Missfallen es in anderen Ländern gibt und wie verärgert vor allem die Europäer wegen der Überwachung sind. Erst in der vergangenen Woche hat sich gezeigt, welche Folgen die Spionage für unsere internationalen Beziehungen und unseren Ruf hat. Ich hoffe, dass die Vertreter der europäischen Länder, die kommende Woche nach Washington reisen, klar machen, wie sehr dieses Verhalten internationalen Bündnissen widerspricht und dass es ein Nachspiel hat, wenn die Überwachung weitergeht. Wenn Amerikas Bündnispartner entschlossen auftreten – und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel war bereits recht deutlich – könnte das die Dinge verändern.

Hat der Konflikt denn vielleicht auch seine gute Seite: Eint der Protest gegen Massenüberwachung die Nation?

Bis zu den Enthüllungen war die Sorge vor Spionage ja eher ein Randgruppenthema: Man stellte sich einen paranoiden Typen vor, der ständig denkt, dass jeder ihn ausspioniert. Solche Leute sieht man bei den Protesten aber kaum. Stattdessen sind es ganz gewöhnliche Leute, die schockiert sind.

Das Thema wird nicht die ganze Nation einen. Aber ich finde es wirklich interessant, dass Menschen verschiedenen Alters und mit unterschiedlichem Hintergrund bei der Demonstration waren. Da gibt es keine Trennung entlang ideologischer oder politischer Grenzen. Und das ist etwas, das diese Bewegung einzigartig macht.

Lindsay H. Hoffman ist Dozentin für Kommunikation und Politikwissenschaften an der Universität Delaware. In ihrer Forschung konzentriert sie sich vor allem auf die Wechselwirkungen von Medien, Politik und Technologie.