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Hoffen auf alternative Kandidaten in Tschetschenien

Britta Kleymann26. November 2005

In Tschetschenien wird ein neues Parlament gewählt. Während Moskau die Wahlen als Fortschritt versteht, halten Kritiker die Lage in der kriegszerstörten Kaukasusrepublik für zu labil für eine freie Meinungsäußerung.

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Spuren von elf Jahren Krieg: Tschetscheniens Hauptstadt GrosnyBild: AP
Alu Alchanow Tschetschenien Präsidentschaftskandiat Porträtfoto
Präsident Alu AlchanowBild: AP

Die tschetschenischen Parlamentswahlen am Sonntag (27.11.2005) sollen ein Abschluss sein. In Moskau sieht man sie als letzte Stufe eines politischen Prozesses - nach dem Verfassungsreferendum und den Präsidentschaftswahlen wird die Kaukasusrepublik nun eine neue Volksvertretung bekommen.

Derzeit gibt es in Tschetschenien kein nach demokratischen Prinzipien gewähltes Parlament, sondern nur einen so genannten Staatsrat. Dessen Mitglieder wurden ernannt, nicht gewählt.

Hoffnung auf eine Verbesserung

Mit dem neuen Parlament verbinden viele Tschetschenen auch die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage in der kriegszerstörten Republik. "Nach zwei Präsidentschaftswahlen, bei denen es praktisch keine Wahl gab, hatte man mit Apathie gerechnet", sagt Ljoma Turpalow. Er ist Redakteur bei der Zeitung "Arbeiter von Grosny" ("Grosnenskij rabotschij"). "Aber jetzt ist Bewegung in der Bevölkerung und das nach Jahren der Gesetzlosigkeit." Die Bevölkerung hoffe, dass das Parlament demokratischer als die Exekutive sein und für Ordnung sorgen werde.

Diese Hoffnung könnte berechtigt sein, denn neben Vertretern der etablierten russischen Parteien - allen voran der Kreml-Partei "Einiges Russland" - sind zum ersten Mal alternative Kandidaten zugelassen, etwa der bekannte ehemalige Feldkommandant Magomed Chanbijew. Kritiker fürchten zwar, dass sie lediglich als "Vorzeigekandidaten" missbraucht werden. Doch für Andreas Gross, den Tschetschenien-Berichterstatter des Europarates, ist die Kandidatur solcher Leute eine positive Entwicklung:" Das ist eben das Interessante an dieser so genannten Wahl: Dass zum ersten Mal, wie ich den Eindruck habe, auch Gruppierungen und Menschen kandidieren, die so etwas bilden wie eine Brücke zwischen den verfeindeten Lagern." Er sei gespannt, wie diese Kandidaten abschneiden und was sie anschließend sagen werden.

Welche Chancen haben die alternativen Kandidaten?

Wie gut die Chancen alternativer Kandidaten wirklich sind, ist umstritten. Bei bisherigen Abstimmungen hatte es immer Mehrheiten im neunzigprozentigen Bereich und verdächtig hohe Wahlbeteiligungen gegeben. Stets siegte ein kremltreuer Kandidat. Und auch jetzt verbreiten die Nachrichtenagenturen bereits optimistische Einschätzungen des tschetschenischen zentralen Wahlkomitees: Man rechne mit einer hohen Wahlbeteiligung und sei sicher, dass die Wahlen erfolgreich verlaufen werden.

Beobachter im In- und Ausland sind da nicht so sicher. Tschetschenische Menschenrechtler berichten von Fällen, in denen Parlamentssitze gegen Gefälligkeiten oder hohe Geldsummen angeboten wurden. Auch der Redakteur Turpalow ist skeptisch: "Man kann schwer sagen, ob das Parlament die Meinung der ganzen Gesellschaft widerspiegeln wird." Auch glaube er nicht, dass sich die Gesetzlosigkeit in der Republik unter dem neuen Parlament wesentlich ändern werde.

Die Hoffnung auf positive Veränderungen in Tschetschenien haben viele Menschenrechtler und Nichtregierungsorganisationen noch nicht aufgegeben. Auch westliche Organisationen wie der Europarat suchen weiter nach Lösungen, zum Beispiel mit Initiativen wie dem Runden Tisch. Im März 2005 hatten sich Vertreter der russischen und tschetschenischen Seite zum ersten Mal mit Mitgliedern des Europarats zu Gesprächen getroffen.

"Zeichen für gewisse Stabilität"

Gross hofft nach den Wahlen auf neue Ansprechpartner - und hat dabei vor allem die alternativen Kandidaten als Vermittler im Blick: "Wenn Menschen, die diese Brücke bilden möchten, wenn auch nur ganz wenige von diesen Leuten wirklich dort sind und auch die Möglichkeit haben, zu ihrer Überzeugung zu stehen und in diesem Sinne parlamentarisch-politisch tätig zu werden, dann wird das die Idee des Runden Tisches stärken." Ein Ziel des Runden Tisches sei es, dass endlich Leute miteinander zu sprechen beginnen, die vorher nur aufeinander geschossen haben, erklärt Gross. "Und in diesem Sinne ist jeder Millimeter Fortschritt."

Fortschritte in Tschetschenien sind nach Meinung der kremltreuen Regierung längst erreicht. So bezeichnete der tschetschenische Präsident Alu Alchanow die bevorstehenden Wahlen als "Zeichen für eine gewisse politische Stabilität". Trotzdem werden am Sonntag mehr als 24.000 Sicherheitskräfte im Einsatz sein.