Himmlische Klänge auf Erden
Sie ist das größte und gewaltigste Instrument: die Orgel. In Deutschland haben Orgelbau und Orgelmusik eine jahrhundertealte Tradition – eine Tradition, die für weitere Generationen erhalten werden soll.
Jede ist ein Unikat, ein Einzelstück. Es gibt keine zwei auf der Welt, die gleich klingen. Eine Orgel fertigzustellen, dauert meist bis zu drei Jahre. Gefragt sind dabei nicht nur große Begeisterung, sondern vor allem Geschicklichkeit und komplexes Fachwissen. Der deutsche Orgelbau ist in der ganzen Welt bekannt für erstklassige handwerkliche Arbeit, Klangschönheit und Klangvielfalt. Wir wollen der Frage nachgehen: Was macht eigentlich die Faszination der Orgel aus? Und fahren nach Bonn - zu einem Orgelbauer, dem wohl Besten seiner Zunft, seines Handwerks: Kölnstraße 148. Orgelmanufaktur Klais. Ein schönes, altes Gebäude aus gelb-rotem Backstein. An der Seitenwand strahlt in krassem Kontrast dazu ein modernes Graffito, ein Wandbild. Das Motiv: eine riesengroße bunte surrealistische Orgel. Hinter diesen Backsteinmauern entstehen die besten Orgeln der Welt. Und das schon seit 1882. Philipp Klais steht jetzt für das traditionsreiche Unternehmen – in der vierten Generation:
„Die Faszination ist, etwas zu bauen, was Bestand hat, was in tollen Räumen hängt, in Kirchenräumen, was klingt und gleichzeitig auch, ja, als Skulptur selbstständig in Räumen steht und hängt. Und zwar ein Instrument, was man eben nicht nur sehen und hören, sondern was man auch fühlen kann. Also wenn Sie in der Kirchenbank sitzen und dann die Orgel eben spielt, wenn Sie so die tiefen Frequenzen im Bauch spüren können. Ich finde es ganz wichtig. Das ist so das, wofür man eigentlich arbeitet.“
Für Firmenchef Philipp Klais ist die Orgel ein Instrument von Bestand, das Jahrhunderte überdauern kann – immerhin erwartet eine Orgel in der Regel die erste Restaurierung erst in 100 bis 150 Jahren. Er sieht die Orgel als Skulptur, also im Idealfall eine Ergänzung des Raumes, in dem sie steht oder hängt. Werkstattleiter Heinz-Günther Habbig führt die Besucherinnen und Besucher über altes Kopfsteinpflaster in den verwinkelten Hof mit kleinen Werkstätten voller kurioser Namen wie Pfeifen-Werkstatt, Windladen-Schreinerei, Maschinen-Saal, Spieltischwerkstatt. Es duftet angenehm nach Holz und guten alten Zeiten:
„Wir sind eigentlich auch stolz darauf, in der Umgebung, mit dem Flair die Instrumente bauen zu dürfen, in dem unsere Vorfahren es auch getan haben.“
Zwar wird auch im Orgelbau die Planungsphase mittlerweile am Computer gemacht, trotzdem ticken die Uhren hier anders, langsamer als in der sonstigen Industrie. Und so, wie Heinz-Günther Habbig sagt, strahlt die traditionsreiche Umgebung nach wie vor ein gewisses Flair, eine besondere Atmosphäre, aus. Mehr als 60 Mitarbeiter fertigen bei der Firma Klais drei bis vier Orgeln pro Jahr.
Der Beruf des Orgelbauers ist äußerst vielseitig: Hier vereint sich das Können des Schmieds, Schreiners, Sattlers – jemand, der Ledersättel herstellt – und des Feinmechanikers. Heinz-Günther Habbig meint, dass zwei Dinge einen erstklassigen Orgelbauer beziehungsweise eine erstklassige Orgelbauerin auszeichnen:
„Der muss… sie… eine gewisse Affinität zu den Materialien haben: Also Holz, Metall, muss mit den Händen, mit den Fingern etwas machen wollen.“
Wer also das Handwerken schätzt und gern mit Holz und Metall arbeitet, eine Affinität dazu hat, bringt zumindest schon mal gute Voraussetzungen mit.
Ist der Orgelbau kein reiner Männerberuf mehr?
„Im Moment haben wir drei Orgelbauerinnen in der Produktion. Jetzt darf ich ganz stolz behaupten, dass wir für das neue Lehrjahr vier Ausbildungsplätze haben, von denen zwei Mädels einen Ausbildungsplatz bekommen haben.“
Das freut den Werkstattleiter Heinz-Günther Habbig ganz besonders. Und die Erklärung hat er auch gleich parat:
„Das liegt einfach daran, das muss man auch dazu sagen, dass sich das Rollenbild der Frau in der Gesellschaft einfach verändert hat und dass Frauen auch in Berufe reinkommen, die bis dato halt eher männerdominiert waren. Und das war oder ist der Orgelbau zwangsläufig auch dadurch, dass teilweise natürlich auch körperlich anstrengende Arbeit von dem Orgelbauer verlangt wird.“
Eine Orgel wird aus zigtausenden Einzelteilen zusammengesetzt. Diese werden in der Werkstatt nur so weit vormontiert, dass man ihre Funktionalität prüfen kann. Vor Ort wird die Orgel in monatelanger Detailarbeit zuletzt aus den Einzelteilen aufgebaut. Praktisch die Hälfte des Jahres verbringt der Firmenchef in Hotels dieser Welt. Die Orgeln aus der Werkstatt Klais sind gefragt: von Hamburg über Kuala Lumpur bis nach Sydney. Zu den Kunden gehören Kirchen und Konzertsäle. Ab und zu aber bestellen auch Privatleute eine kleine Hausorgel. Der Preis beginnt bei 20.000 Euro. Firmenchef Philipp Klais betont immer, es gäbe keine typische „Klais-Orgel“. Doch was macht dann den Welterfolg seiner Werkstatt aus?
„Jede Orgel muss wirklich ganz eigene Persönlichkeit haben, und sie muss auch reflektieren und widergeben, wie der Klang der Sprache der Menschen ist, die dort Gottesdienst feiern. Also eine Orgel in England muss aus meiner Sicht Englisch sprechen. Und eine Orgel im Kölner Dom muss eben rheinisch sprechen.“
Die Orgelbauer sind mächtig stolz auf ihre Handwerkskunst. Eine Tradition, die unter besonderen Schutz gestellt werden muss. Deutschland hat deshalb schon im März 2016 den Orgelbau und die Orgelmusik für die Aufnahme auf die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit der UNESCO, der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur, vorgeschlagen.
Klais-Werkstattleiter Heinz-Günter Habbig würde das freuen:
„Das freut uns natürlich sehr, weil wir natürlich ein sehr altes Handwerk sind. Das erfüllt uns mit Stolz, dass dem Orgelbau so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, und sind wir froh darüber.“
Autorin: Zuzana Leetz
Redaktion: Beatrice Warken