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Hilfe für die Seele

Heimo Fischer/Christian Ignatzi19. November 2013

In den Katastrophengebieten auf den Philippinen brauchen die Menschen ärztliche Unterstützung - doch nicht nur bei Krankheiten und Knochenbrüchen. Auch seelische Verletzungen müssen behandelt werden.

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Ein Mädchen aus dem Katastrophengebiet erhält eine Tetanus-Spritze (Foto: REUTERS/Edgar Su)
Bild: Reuters

Es gibt Tage, die gehen Tankred Stöbe und seinem Team besonders nahe. "Gestern kam eine Frau zu uns, die fing an zu weinen, schon als wir ihr eine normale Frage stellten." Der Mediziner ist für die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" auf den Philippinen im Einsatz. Jeden Tag kommen Patienten zu ihm, denen der Taifun Haiyan nicht nur Haus und Besitz genommen hat, sondern auch Menschen, die ihnen nahestanden. Oft blickt Stöbe in ausdruckslose Gesichter, gezeichnet von seelischen Schmerzen. Eigentlich seien die Leute hier Fremden gegenüber fröhlich, würden viel lachen, erzählt er. "Tun sie das nicht, dann ist das ein ernstes Zeichen."

Die Lage auf den Philippinen zeigt, dass Menschen, die von Katastrophen getroffen wurden, nicht nur ärztliche Hilfe brauchen, wenn sie verletzt oder krank sind. Seelische Traumata sind nach Stürmen, Erdbeben und verheerenden Flutwellen bei den Betroffenen ebenfalls weit verbreitet. "Früher galt in der Soforthilfe der Grundsatz: Erst die Knochen, dann die Seele", sagt Stöbe. Von dieser Ansicht hätten sich die Organisationen heute entfernt. "Wir wissen seit mehr als zehn Jahren, dass beides gleichzeitig behandelt werden muss." Schon während der Tsunami-Katastrophe 2004/2005 habe die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" Psychologen in die Einsatzgebiete geschickt.

Psychische Probleme gelten als Stigma

Stöbe und sein Team sind in der Stadt Ormoc auf der philippinischen Insel Leyte - dort, wo der Sturm fast alle Häuser umgerissen hat, wo es Verletzte und Tote gab. In einem Hotel, einer der wenigen Bauten, die noch stehen, sind die Helfer untergekommen. Am Vortag seien 150 Patienten bei ihnen gewesen, erzählt Stöbe am Telefon. Einige waren krank oder verletzt, andere jedoch klagten, dass sie schlecht schlafen können, dass ihr Bauch oder ihr Kopf schmerze. Es sind Anhaltspunkte wie diese, die Helfer auf seelische Traumata schließen lassen. Von sich aus würde kaum ein philippinischer Patient über psychische Probleme klagen. "Das ist ein Stigma in dieser Gesellschaft."

Porträt-Foto von Tankred Stöbe, Vorstandsvorsitzender von Ärzte ohne Grenzen. (Foto: Barbara Sigge/Ärzte ohne Grenzen)
Tankred Stöbe: Seele so wichtig wie der KörperBild: Barbara Sigge/Ärzte ohne Grenzen

Die Arbeit der Helfer wird dadurch nicht leichter. Doch sie können seelische Leiden ohnehin kaum mit Medikamenten oder langwierigen Therapien behandeln. Ihr wichtigstes Heilmittel ist das Gespräch. Es können Gruppen- oder Einzelsitzungen sein, die eine russische Psychologin in Stöbes Team leitet. Immer dabei sind Übersetzer, denn die Patienten können oft nicht mehr als ihren lokalen Dialekt sprechen. "Das klappt erstaunlich gut", sagt Stöbe.

Ein kurzer Moment der Emotionalität

Manchmal sind es auch nur wenige Minuten, die Helfer und Ärzte der Seele widmen können. Stöbe berichtet von einem Notfallarzt, der eine Fortbildung in Psychosomatik gemacht hat. Bei einem Verdacht auf Traumata spreche er die Patienten gezielt an. "Ein kurzer Moment der Emotionalität, in dem die Menschen sich öffnen und weinen dürfen." Mehr Zeit wollten viele der Betroffenen ihren psychischen Problemen auch gar nicht widmen. Sie haben anderes zu tun. Die Schulen sind zerstört, Kinder müssen den ganzen Tag versorgt werden. Lebensmittel wollen gefunden und zerstörte Häuser aufgebaut werden.

Zerstörte Hauptstraße von Meria auf der Insel Leyte (Foto: Peter Hille/DW)
Zerstörte Städte: Meria auf LeyteBild: DW/P.Hille

Das Gespräch als Sofortmaßnahme bei seelischen Verletzungen hält Stefan Röpke, Psychiater an der Berliner Charité-Klinik, für wichtig. Der Schritt sollte aber freiwillig erfolgen. "Wenn sich jemand mit dem Erlebten wohl fühlt, gibt es keinen Grund, darüber zu sprechen." Das treffe vor allem auf die Versorgung der Helfer zu. Auch sie müssen grausame Erlebnisse verkraften. Sie sehen während ihrer Einsätze Tote und Verletzte, oft spüren sie ihre Ohnmacht angesichts eines Elends, das grenzenlos erscheint.

Hilfe für die Helfer

Aus diesem Grund bieten Hilfsorganisationen ihren Mitarbeitern psychologische Betreuung an, wenn sie von den Einsätzen nach Hause kommen. Das Technische Hilfswerk (THW) empfängt die Heimkehrer am Frankfurter Flughafen. Sogenannte Einsatzfolgeteams stehen dann bereit. Sie verteilen Informationsmappen, in denen genau beschrieben wird, wie sich traumatische Belastungsstörungen äußern und verweisen auf eine telefonische Hotline, die nicht nur für Helfer, sondern auch für Angehörige da ist. "Menschen aus dem Umfeld bemerken Verhaltensänderungen oft früher als die Betroffenen selbst", sagt Gordon Niederdellmann von der Einsatznachsorge des THW.

Helfer des Technischen Hilfswerk (THW) bereiten am Freitag (15.11.2013) auf dem Flugfeld der Militärbasis in Cebu die mitgebrachten Einsatzgeräte für den Weitertransport in das Katastrophengebiet auf den Philippinen vor. (Foto: Kai-Uwe Wärner/dpa)
Für die Einsatzkräfte des THW steht ebenfalls psychologische Unterstützung bereitBild: picture-alliance/dpa

Ernst würde ein psychisches Problem dann, wenn sich ein Mensch von seinen Freunden und seiner Familie zurückziehe, zum Einzelgänger würde. Zahlen über die psychischen Folgen der Einsätze erhebe das THW zwar nicht. Niederdellmann ist aber überzeugt, dass die meisten Helfer gut für sich selber sorgen. "Die Einsatzkräfte gehen immer offener mit dem Thema um. Betroffene bitten meist selbst um ein Gespräch."