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Verliebt in den Irak: Wer ist Hella Mewis?

22. Juli 2020

Die in Bagdad verschleppte deutsche Kulturmittlerin ist wieder frei. Warum wählte Hella Mewis den Irak als neue Heimat - trotz alltäglicher Gefahren?

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Hella Mewis schaut in die Kamera, dahinter stehen mehrere Leute
Neuanfang im Irak: Hella Mewis 2012 auf einer ihrer ersten Reisen in ihre spätere Heimat BagdadBild: DW

"Ich liebe das irakische Essen, ich liebe das irakische Volk!" sagte die Kuratorin und Kulturvermittlerin in einem auf dem Videoportal YouTube veröffentlichten Interview des irakischen Journalisten Sary Hussam. "Mit den sozialen Gebräuchen hier habe ich natürlich schon Schwierigkeiten, aber als Ausländerin kann ich meine Freiheit genießen und bin dort nicht involviert." 

Bagdad: Mewis neue Heimat

Kein Zweifel: Hella Mewis, die seit Jahren im Irak lebt, wusste um die allgegenwärtigen Gefahren für Ausländer. Viele von ihnen leben verbarrikadiert hinter dicken Betonmauern und Stacheldrahtverhauen, beschützt und eskortiert von bewaffnetem Sicherheitspersonal. Kein Leben für Hella Mewis. "Ich kann nicht ohne Bagdad leben", bekennt Mewis im Januar 2020 im Video mit dem irakischen Journalisten, das die DW als authentisch verifiziert hat. "Wenn ich Bagdad nur für eine Stunde verlasse, fühle ich schon Heimweh!"

Ihre Liebe zum Irak entdeckt die gebürtige Ostberlinerin und ausgebildete Theatermanagerin, als sie 2013 für ein Projekt des Goethe-Instituts hierher kommt. "Ich bin aus dem Flugzeug ausgestiegen, habe meinen Fuß auf Bagdads Boden gesetzt und wusste: Ich bin zu Hause", soMewis 2018 der Frankfurter Rundschau (FR). "Hella Mewis lebt anders. Sie kam nach Bagdad mit dem Ziel, der Stadt der Autobomben, Selbstmordattentäter und Milizen einen anderen Anstrich zu geben", schreibt die Reporterin Theresa Breuer in einer Zeitungsreportage.

Arbeit mit jungen Künstlern

Schon bald ruft Mewis das Künstlerkollektiv Tarkib ins Leben, was übersetzt soviel wie "Zusammensetzung" oder "Kombination" heißt. "Damit will sie in den Vordergrund rücken, was Menschen innerhalb und außerhalb des Iraks schon lange nicht mehr mit dem Land verbinden: Kunst, Talent und Schönheit."

Außenansicht eines mit Stoffbahnen behangenen Gebäude, die Mauern sind mit Graffiti besprüht, davor stehen Farben (Foto: picture-alliance/dpa/A. Al Mohammedaw).
Anlaufpunkt für irakische Künstler: Das von Hella Mewis 2015 gegründete BAIT TARKIB-Kunstzentrum in BagdadBild: picture-alliance/dpa/A. Al Mohammedaw

Das Kollektiv verbindet 15 junge Künstler und einige freiwillige Helfer. Sie bauen das BAIT TARKIB auf, das "Haus der Installation", ein Zentrum für zeitgenössische Kunst, das erste in Bagdad überhaupt. Die meisten Iraker kämen nur selten mit moderner Kunst in Berührung, sagte Mewis in dem FR-Beitrag. In dem Land gebe es "viel aufzuholen". Also beginnt die TARKIB-Gruppe, Musikveranstaltungen, Festivals, Kunst- und Fotoausstellungen zu organisieren. Es finden Theaterinszenierungen über Frauenschicksale und Workshops statt. Mewis veranstaltet Samstagskonzerte mitten in der Stadt, auf verfallenen Boulevards in glühender Hitze. Und sie organisiert den "Baghdad Walk", bei dem Künstler die Straße zum Atelier und zur Galerie machen.

Wo es sonst kaum Theater, Kinos oder Konzerte gibt, stillen solche Aktionen den Kulturhunger der entwöhnten Bagdader Jugend. "Es schafft kleine Freiräume", sagt die Irakexpertin Nesrine Shibib der DW mit Blick auf die politisch wie religiös angespannte Lage. Für das Länder-Informationsportal der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) verfasste sie eine Länderanalyse zum Irak: "Jemand, der - wie Hella Mewis - für die Freiheit der Kunst arbeitet, weiß um die Risiken!" In irakischen Medien, so ihre Beobachtung, werde nicht von einer "Entführung" oder "Verschleppung" der Deutschen gesprochen, sondern von einer "Entfernung". In jedem Fall sei Mewis eine "mutige Vorkämpferin für eine offene und freie irakische Gesellschaft."

Spekulationen über die Hintergründe

Am Montagabend nun verließ Hella Mewis gegen 20 Uhr Ortszeit ihr Büro im zentral gelegenen Stadtteil Abu Nawas unweit des Tigris. Sie stieg auf ihr Fahrrad, um nach Hause zu fahren, als sich ihr zwei Fahrzeuge näherten. Zeugen sahen, wie Mewis überwältigt und in einem der Fahrzeuge verschleppt wurde. Polizisten sollen die Entführung beobachtet haben, ohne einzugreifen. Das nährt Spekulationen, Anhänger von Regierungschef Mustafa al-Kadhimi, gegen die es seit einiger Zeit Proteste gibt, könnten in die Entführung verstrickt sein. Für möglich hält Irak-Expertin Shibib auch, dass pro-iranische Milizen der Hizbollah-Brigaden hinter der Entführung stecken. "Gründe für die Aktion hätten beide Seiten", sagt sie, "vermutlich ist Hella Mewis zwischen die Fronten geraten."

Eine Frau mit langen braunen Haaren spricht, vor ihre sind unzählige Mikrofone aufgebaut (Foto: picture-alliance/dpa/A. Al Mohammedaw).
Sirka Sarsam, Aktivistin und Freundin von Mewis, bei einer Pressekonferenz anlässlich der EntführungBild: picture-alliance/dpa/A. Al Mohammedaw

Die Deutsche sei empört gewesen über die Tötung des international anerkannten Historikers und Terrorismusexperten Hischam al-Haschimi vor zwei Wochen, sagte ihre Freundin, die Aktivistin Sirka Sarsam von der Nichtregierungsorganisation Burj Babel, auf einer Pressekonferenz in Bagdad.

"Hella, hast Du keine Angst?"

Schockiert über die Entführung zeigte sich auch der in Deutschland lebende irakische Schriftsteller Najem Wali, der Mewis gut kennt. Im DW-Interview sagte er: "Wenn wir durch die Straßen von Bagdad gegangen sind, standen viele Menschen auf und riefen 'Hallo Madame'. Wenn ich ihr gesagt habe: Du bist wirklich mutig, Hella, hast Du keine Angst? Dann hat sie mich ausgelacht." Hella Mewis sei das Symbol für die kulturelle Öffnung im Irak gewesen. "Ihre Entführung ist ein Rückschlag. Selbst wenn Sie heile rauskommt, wird nichts sein wie vorher," so Najem Wali.

Mann mit kurzen dunkelgrauen Haaren in schwarzem Sakko (Foto: Imago/Sven Simon).
Langjähriger Wegbegleiter: Irakischer Schriftsteller Najem WaliBild: Imago/Sven Simon

Bevor sie das "lachende Gesicht der kulturellen Wiederbelebung Bagdads" wurde, lebte Hella Mewis viele Jahre in Ostberlin. Gemeinsam mit ihrem Ehemann arbeitete sie im Kunsthof Berlin, leitete Galerien und ein Café. Dann trennte sich das Ehepaar - und Mewis begann von vorn. Sie studierte Betriebswirtschaft an einer Abendschule, wurde Projektmanagerin im Theaterhaus Berlin Mitte. Das Theaterhaus ist Teil des Netzwerks zum kulturellen Wiederaufbau im Irak. Als Hella Mewis zu einem Theaterfestival nach Bagdad eingeladen wurde, lässt sie die irakische Hauptstadt sie nicht mehr los.