Heftige Luftangriffe auf ukrainische Energieinfrastruktur
28. November 2024Das russische Militär hat die Ukraine flächendeckend mit einer breiten Angriffswelle aus Raketen und Drohnen überzogen. Ziel sei wieder vor allem die Energieinfrastruktur, berichtet der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko auf seinem Social-Media-Kanal: "Angriffe auf Energieanlagen finden in der ganzen Ukraine statt."
Aus dem ganzen Land werden Raketenangriffe und Explosionen gemeldet. Der Betreiber des nationalen elektrischen Netzes DTEK führte Notabschaltungen durch. Von Stromausfällen im Zuge der Angriffe betroffen sind die Hauptstadt Kyjiw sowie die südlichen Regionen Odessa und Mykolajiw, die westlichen Regionen Lwiw, Wolhynien und Riwne sowie Dnipropetrowsk und Donezk im Osten. Allein in den drei westlichen Regionen wurde nach Angaben der Behörden die Stromversorgung von mindestens einer Million Menschen unterbrochen.
Teilweise habe es auch Störungen bei der Wasserversorgung gegeben, heißt es. Die Ukraine habe vorsichtshalber mehrere Atomkraftwerke vom Netz. Das sagt ein Insider der Energiebranche der Nachrichtenagentur Reuters.
Landesweiter Luftalarm
Auch aus Sumy und Charkiw im Nordosten wurden Raketenangriffe gemeldet. In der Region Charkiw wurden zwei Männer durch eine russische Drohne getötet worden, drei Menschen erlitten bei dem Angriff auf einem Feld beim Dorf Bilyj Kolodjas Verletzungen. Jeweils einen Verletzten gab es Behördenangaben nach in den Gebieten Winnyzja und Odessa.
Zuvor hatte die ukrainische Luftwaffe landesweiten Luftalarm ausgelöst. Dieser galt in der Hauptstadt die ganze Nacht bis in die frühen Morgenstunden - insgesamt 9 Stunden lang. Es ist der zweite große Luftangriff Russlands auf die ukrainische Energie-Infrastruktur in diesem Monat.
Die russischen Streitkräfte setzten nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei der Angriffswelle auf die Energieinfrastruktur Marschflugkörper mit Streumunition ein. Dies sei eine "verabscheuungswürdige Eskalation", sagt der Präsident.
Er bekräftigt seinen Aufruf an die westlichen Verbündeten, mehr Ausrüstung für die ukrainische Luftabwehr zu liefern. Die rechtzeitige Bereitstellung müsse insbesondere in den kritischen Wintermonaten sichergestellt werden.
Russland und die Ukraine hatten in der vergangenen Woche ihren gegenseitigen Beschuss verstärkt. Nach einer Freigabe aus Washington hatte die ukrainische Armee erstmals Ziele innerhalb Russlands mit US-Raketen des Typs ATACMS angegriffen. Der Kreml reagierte darauf mit dem erstmaligen Einsatz einer neuartigen russischen Mittelstreckenrakete.
Putin droht Kyjiw
Der russische Präsident Wladimir Putin drohte derweil damit, die ukrainische Hauptstadt mit der neuartigen russischen Mittelstreckenrakete anzugreifen. "Wir schließen den Einsatz von 'Oreschnik' gegen militärische Ziele, militärisch-industrielle Einrichtungen oder Entscheidungszentren, auch in Kiew, nicht aus", sagte der russische Präsident bei einem Besuch in Kasachstan. Die neuartige Waffe habe die Zerstörungskraft eines Meteoriten.
Putin fügte hinzu, beim Einsatz von mehreren Oreschnik-Raketen gleichzeitig sei die Zerstörungskraft der neuen Waffe mit der "eines Atomschlags vergleichbar". Derzeit sei die Rakete nicht mit Atomsprengköpfen bestückt, versicherte Putin. Die Ukraine versuche weiterhin, wichtige Infrastruktur in Russland anzugreifen, unter anderem in St. Petersburg und Moskau, fügte Putin hinzu.
Russland hatte die Oreschnik-Rakete, bei der es sich nach russischen Angaben um eine experimentelle Hyperschallrakete mit einer Geschwindigkeit von bis zu drei Kilometern pro Sekunde handeln soll, erstmals vor einer Woche bei einem Luftangriff auf die Großstadt Dnipro eingesetzt.
Neue Sanktionen gegen Russland geplant
In der Europäischen Union wird wegen des anhaltenden russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ein 15. Sanktionspaket vorbereitet. Am Mittwochabend diskutierten Vertreter der 27 Mitgliedstaaten erstmals über neue Vorschläge der EU-Kommission, die ein schärferes Vorgehen gegen die sogenannte russische "Schattenflotte" für den Transport von Öl und Ölprodukten vorsehen. Zudem ist unter anderem geplant, Unternehmen mit Sitz in China ins Visier zu nehmen, die an der Herstellung von Drohnen für den russischen Krieg gegen die Ukraine beteiligt sind.
Russland wird seit langem vorgeworfen, zur Umgehung eines westlichen Preisdeckels für russische Ölexporte in Drittstaaten auf Schiffe zu setzen, die nicht in der Hand westlicher Reedereien oder von westlichen Versicherungen versichert worden sind. Nach Ansicht von Experten gibt es dabei große Risiken für die Schifffahrt und die Umwelt.
Sie weisen zum Beispiel darauf hin, dass viele Tanker überaltert seien, technische Mängel hätten und zeitweise ohne automatisches Identifizierungssystem unterwegs seien. Ostseeanrainer wie Schweden fordern deswegen schon seit Monaten ein schärferes Vorgehen gegen beteiligte Schiffseigentümer, Betreiber und Versicherungsgesellschaften.
Großbritannien war Anfang der Woche mit neuen Strafmaßnahmen gegen die russische "Schattenflotte" vorangegangen und hatte 30 Schiffe auf seine Sanktionsliste gesetzt. In der Europäischen Union könnten es den Planungen der EU-Kommission zufolge sogar um die 50 werden. Sie dürften dann zum Beispiel nicht mehr in Häfen in EU-Staaten einlaufen. Mehr als zwei Dutzend Schiffe hatte die EU bereits im Sommer gelistet.
Das bislang letzte Paket mit Russland-Sanktionen hatte die Europäische Union im Juni auf den Weg gebracht. Die jetzt geplanten Strafmaßnahmen sollen bis spätestens Jahresende beschlossen sein.
Trump nominiert Sondergesandten für Ukraine
Der pensionierte US-General Keith Kellogg soll nach dem Willen von Donald Trump künftig als Sondergesandter der Vereinigten Staaten für die Ukraine und Russland fungieren. Kellogg habe eine herausragende Karriere im Militär und in der Wirtschaft hinter sich "und war in meiner ersten Amtszeit in hochsensiblen Funktionen im Bereich der nationalen Sicherheit tätig", so der designierte US-Präsident.
Wie Trump will der 80-jährige Kellogg Russland und die Ukraine schnell an den Verhandlungstisch bringen, um den Ukraine-Krieg zu beenden. Dabei schließt er nicht aus, die der Ukraine in Aussicht gestellte NATO-Mitgliedschaft auf Eis zu legen.
Der Ex-General ist ein loyaler Gefolgsmann Trumps und hatte in dessen erster Amtszeit (2017-2021) für einige Tage kommissarisch den Posten des Nationalen Sicherheitsberaters inne. Später wurde er Sicherheitsberater des damaligen Vize-Präsidenten Mike Pence.
Trump steht den US-Milliardenhilfen für die Ukraine ablehnend gegenüber und hatte im Wahlkampf erklärt, er werde im Falle eines Wahlsieges den Ukraine-Krieg noch vor seinem Amtsantritt am 20. Januar beenden. Kritiker befürchten, dass der von Trump angestrebte "Deal" mit Russland die Ukraine zwingen würde, angesichts ausbleibender Finanz- und Militärhilfe auf russisch besetztes Territorium zu verzichten.
kle/AR (rtr, afp, dpa)
Redaktionsschluss: 17.30 Uhr MEZ. Dieser Artikel wird nicht weiter aktualisiert.