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Hass und rechter Terror im Film "Wintermärchen"

Jochen Kürten
10. August 2018

Jan Bonny ist der einzige Deutsche, der dieses Jahr beim Filmfest Locarno im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden vertreten ist. In seinem Film geht es um Rechtsradikalismus: Ein Thema, das den Regisseur gerade umtreibt.

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71. Filmfestival Locarno Wintermärchen Filmstill
Bild: picture alliance/dpa/Heimatfilm

Jan Bonny hat gerade einen Lauf, er ist gefragt: Sein neuer Kinofilm "Wintermärchen" über drei junge Menschen mit rechtem Gedankengut und finsteren Mordplänen feiert an diesem Freitag (10.8.) in Locarno Weltpremiere. Eine gute Woche später kommt sein neuer Fernsehfilm "Polizeiruf 110: Das Gespenst der Freiheit" in Deutschland zur Aufführung (19.8.). Auch dort geht es um Rassismus und Rechtsradikalismus in Deutschland - das Ganze verpackt in einem Kriminalfilm ohne einfache Antworten. Außerdem hat der 1979 in Düsseldorf geborene Jan Bonny gerade einen weiteren, seinen dritten aktuellen Film abgedreht. Die Dreharbeiten endeten gerade in Köln. DW traf Bonny kurz vor seiner Abreise nach Locarno zum Gespräch.

Deutsche Welle: Was bedeutet es für Sie, dass Ihr neuer Kinofilm "Wintermärchen" jetzt in Locarno Weltpremiere feiert?

Jan Bonny: Das ist natürlich gut. Wir haben den Film gerade erst fertiggestellt, er kommt unmittelbar aus dem Schneideraum und ist erst seit zweieinhalb Wochen fertig. Ich bin froh, dass der Film nicht eine Zeit lang "rumliegt" und sofort rauskommt. Man muss bei so einem Film irgendwo mal einen Punkt machen, deswegen freut es mich, dass Locarno ihn zeigt. Ich kann mich jetzt auf einen neuen Film konzentrieren.

Filmstill Wintermärchen Locarno-Festival
Jagd auf Ausländer: Szene aus "Wintermärchen"Bild: Locarno Festival

In "Wintermärchen" geht es um eine junge Frau und zwei junge Männer, die eine rechte Terrorzelle bilden und Jagd auf Ausländer in Deutschland machen. Der Film konzentriert sich ganz auf die Gefühlswelten dieser drei Protagonisten. Ihr anderer neuer Film "Polizeiruf 110: Das Gespenst der Freiheit" erzählt ebenfalls von einer Gruppe junger Menschen, die rechtsnationalem Gedankengut anhängen. Hier sind es aber auch die staatlichen Institutionen Polizei und der Verfassungsschutz, die eine Rolle spielen. War das von Anfang an so angedacht, zwei Filme zu einem Thema?

Nein, ich habe mit meinem Freund Alex Wissel eine Reihe von künstlerischen Arbeiten gemacht, Wissel ist bildender Künstler, wir haben Sachen für die Berliner Volksbühne gemacht und für das Museum Abteiberg in Mönchengladbach. In diesem Zusammenhang waren wir auch in München und sind zum NSU-Prozess gegangen, um das vor Ort zu sehen und wahrzunehmen. Wissel hat zum NSU-Prozess in den letzten Jahren eine ganze Reihe von künstlerischen Arbeiten gemacht, auch über den gescheiterten Anschlag in der Düsseldorfer S-Bahn-Station.

Wir hatten beide das Gefühl, dass man sich dem Thema rechte Gewalt mal anders annähern müsste, anders als bei den Sachen, die wir bis zu dem Zeitpunkt wahrgenommen haben. Insofern gibt es natürlich einen Zusammenhang zwischen "Wintermärchen" und dem "Polizeiruf".

Regisseur Jan Bonny
Jan BonnyBild: picture alliance / dpa

"Wintermärchen" ist aber kein Film über den NSU, sondern eine freie, fiktionale Arbeit. Es sollte auch ein Film sein, der den Zuschauer mit seiner Art der Erzählung auf eine bestimmte Art und Weise alleine lässt. Der ihn in die Pflicht nimmt, selbst eine Haltung zu dem, was da erzählt wird, zu beziehen. Diese Haltung soll nicht schon vorbuchstabiert werden. Der Zuschauer soll auf unsicheres Terrain gebracht werden.

Bei einem "Polizeiruf" dagegen funktioniert das grundsätzlich anders, weil man natürlich ganz klassisch mit einem Kommissar unterwegs ist, der dem Zuschauer eine andere Sicherheit bringt, einen anderen Weg durch den Film bahnt.

…wobei Sie auch in "Polizeiruf 110: Das Gespenst der Freiheit" nicht konventionell erzählen. Sie breiten im Grunde genommen parallel drei Handlungen vor dem Zuschauer aus: die der rechten Jugendlichen, die des Kommissars und auch noch die des Verfassungsschutzes in der Person eines von Joachim Król gespielten Beamten.

Das stimmt. Aber man arbeitet natürlich auch viel mit Erzählkonventionen in einem "Polizeiruf", und das ist auch in Ordnung. Bei einem Polizeifilm mit tradierten Figuren und Formen ist man auch in der Pflicht, diese ernst zu nehmen. Die Figuren können sich dann aber anders verhalten, als man es vielleicht erwartet. Dass Figuren einen überraschen, macht auch eine spannende Erzählung aus. Aber die Überraschung findet auf der Grundlage statt, dass man die Erwartung der Zuschauer an die Figuren erst einmal ernst nimmt, keine Mätzchen um der Mätzchen willen einbaut und auch klassisch erzählt.

Szene aus "Polizeiruf 110: Das Gespenst der Freiheit"
Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt, r.) mit einem der jungen Tatverdächtigen im neuen "Polizeiruf"Bild: BR/X Filme Creative Pool Enterta

Was war denn das Andere, das Neue, das Sie zeigen wollten in Bezug auf die Darstellung von Rechtsnationalismus in Deutschland?

Das muss jemand anders beurteilen, ich würde mich davor hüten, das selbst zu bewerten. Das einzige, was ich sagen kann: Ich wollte bei "Wintermärchen" versuchen, Figuren und Figurenkonstellationen zu zeigen, die jetzt gerade erst möglich werden in Deutschland, schrecklicherweise jetzt möglich werden. Jede Zeit bringt ihre Figuren hervor. Die drei jungen Leute in "Wintermärchen" scheinen mir irgendwie Ausdruck unserer Gegenwart und unserer Zeit zu sein.

Auch im "Polizeiruf" zeigen Sie junge Leute, von denen an einer Stelle gesagt wird, sie entsprächen nicht dem Klischee von "typischen" Neo-Nazis mit Springerstiefeln, Lederjacken und Stiernacken, ganz "normale" Menschen eben…

Ja, wobei "Wintermärchen" und der "Polizeiruf" auch sehr unterschiedliche Filme sind. Beim "Polizeiruf" geht es auch um eine ungeklärte Gegenwart: Keiner macht etwas richtig, alle machen etwas falsch…

Filmstill Wintermärchen Locarno-Festival
Ricarda Seifried spielt in beiden neuen Filmen von Jan Bonny eine Hauptrolle, die eines Mädchens mit rassistischem Gedankengut - hier in "Wintermärchen"Bild: Locarno Festival

Meinen Sie damit auch die Seite des Staates im "Polizeiruf", also die Polizei auf der einen und der Verfassungsschutz auf der anderen Seite?

Ja, wobei der Film keine Wertung vornimmt, wer richtig liegt: die Polizei (Kommissar Meuffels) und/oder der Verfassungsschutzbeamte Röhl (Joachim Król). Da muss der Zuschauer sich immer fragen, wie er sich dazu stellen und verhalten soll. Auch Meuffels ist unsicher. Er schwankt in seinen Handlungen, macht Fehler und das ist auch das Interessante. Wobei sich dann daraus Fragen ergeben: Sind das überhaupt Fehler? Der "Polizeiruf" hat auch eine eigenartige Melancholie, eine Ratlosigkeit. Das passt ja vielleicht auch gerade in unsere Zeit.

Ich finde es grundsätzlich schön, wenn es in Filmen Brüche und Risse gibt, wenn Sachen gegeneinander stoßen, wenn nicht alles ganz aufgeklärt wird, wenn der Zuschauer Lücken, die vorhanden sind, selbst beantworten muss. Wenn es am Ende keine saubere, abgeschlossene Erzählung ist. Das ist im Leben ja auch so.

Polizeiruf 110: Das Gespenst der Freiheit
Nur scheinbare Zusammenarbeit: Polizei (Matthias Brandt, l.) und der Verfassungsschutzbeamte Röhl (Joachim Król)Bild: BR/X Filme Creative Pool Enterta

Aber in einer Sache geben Sie doch auch Antworten: Polizei und Staatsschutz werden Versagen vorgeworfen.

Ja, das stimmt. Aber: Erstmal geht es nur um die zwei Figuren, um Meuffels und Röhl. Ich würde sie nicht als Stellvertreter für einen ganzen Staat sehen, das geht zu weit. Es geht um Figuren, die scheitern. Aber ich stelle auch die Frage: Scheitern sie wirklich? Gewinnen sie am Ende nicht auch? Ist Meuffels am Ende nicht doch eine Figur, die zwar Fehler macht, aber eine moralische Instanz ist? Man muss das aushalten: Die Frage, ob jemand, der moralisch integer ist, nicht auch etwas falsch machen kann. Dadurch ist seine moralische Haltung auch nicht so schulmeisterlich. Als Zuschauer muss man sich fragen, ob man bereit ist, sich damit auseinanderzusetzen oder eben nicht.

Wie haben Sie für die beiden Filme recherchiert, sind Sie ins Milieu abgetaucht?

Wenn man Filme macht, dann recherchiert man doch eigentlich immer. Man muss allem immer mit Neugier begegnen, muss immer versuchen, zu beobachten, am Leben teilzunehmen, sich Gedanken über alles machen. Es ist nicht so, dass Recherche bedeutet: Man fängt einen Film an und beginnt erst dann, sich mit einem Thema zu beschäftigen. In Wahrheit ist der Film doch ein Ausdruck für das, womit man sich sowieso beschäftigt. Es sind Prozesse, die nicht plötzlich anfangen und enden. Es sind Prozesse, die ineinandergreifen.

Das Gespräch führte Jochen Kürten.