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Politik

Hartnäckig aktiv für die Grundrechte in Polen

12. April 2021

Polens Regierung versucht, Adam Bodnar loszuwerden. Der unabhängige Ombudsmann für Menschenrechte ist eine der letzten Bastionen der Grundrechte in einem Staat, der immer mehr den Interessen der Regierungspartei dient.

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Adam Bodnar
Polens Menschenrechtsbeauftragter Adam Bodnar steht schon länger in der KritikBild: Hubert Mathis/ZUMA Wire/imago images

Ein Mosaik-Portrait von Adam Bodnar schmückt die Internetseite der überparteilichen polnischen "Aktion Demokratie" (Akcja Demokracja). Es besteht aus kleinen Fotos von Menschen, die sich in dieser Form für die fünfjährige Amtszeit des unabhängigen Ombudsmanns für Menschenrechte der Republik Polen bedanken wollen - "für die Verteidigung eines breiten Spektrums von Menschen- und Freiheitsrechten", wie es in der Erklärung der Organisatoren heißt.

Bürgerinnen und Bürger, die ihre Dankbarkeit gegenüber dem Ombudsmann ausdrücken möchten, können das Bodnar-Mosaik mit ihrem eigenen Foto weiter vervollständigen. Hunderte Menschen haben bereits ihr Bild geschickt. Nun stehen sie im wahrsten Sinne des Wortes mit dem eigenen Gesicht dafür ein, wofür sich Adam Bodnar während seiner Amtszeit stark gemacht hat: für die Grundrechte der Bürger Polens und aller anderen Menschen in dem EU-Mitgliedsland.

Akcja Demokracja | Adam Bognar
Bodnars Mosaik-Portrait auf der Internetseite der "Aktion Demokratie"Bild: Akcja Demokracja

Die Deutsche Welle traf den Ombudsmann im September vergangenen Jahres zu einem Interview im Hinterhof seines Warschauer Büros. Es gehört zu den letzten polnischen Institutionen, die noch nicht auf die Linie der nationalkonservativen Regierungspartei "Prawo i Sprawiedliwość" (Recht und Gerechtigkeit, kurz PiS) gebracht wurden. Fast alle anderen Ämter in Polen sind mittlerweile mit Personen besetzt, die den Segen der seit 2015 regierenden Partei und deren Vorsitzendem Jarosław Kaczyński haben.

Im Gespräch mit der DW zog Bodnar vergangenes Jahr eine düstere Bilanz seiner Amtszeit. Vieles habe er verhindern können - aber dennoch habe sich Polen zu einem "Hybridstaat" entwickelt. Ein bisschen sei noch übrig vom Rechtsstaat, aber in vielem werde sein Land seinen östlichen Nachbarn immer ähnlicher: "Das System hat sich in den letzten fünf Jahren verändert. Aus einem Staat, der vielleicht nicht ideal, aber doch demokratisch war, driften wir ab in Richtung des 'competitive autoritarism'" - ein Begriff der englischsprachigen Politikwissenschaft für ein Land, in dem es zwar Wahlen und Opposition gibt, tatsächlich aber die Exekutive tun und lassen kann, was sie will.

Kampf für die Grundrechte

Bodnars Büro, das überall da eingreift, wo der Bürgerrechtsbeauftragte Grundrechte missachtet sieht, ist längst selbst ins Kreuzfeuer geraten: Staatsnahe Medien berichten immer wieder negativ über Bodnar persönlich; sie behaupten, der Ombudsmann sei parteiisch, betreibe Politik. Der öffentliche Sender TVP ging sogar so weit, ein Strafverfahren gegen Bodnars minderjährigen Sohn aufzugreifen, um Bodnar zu diskreditieren.

Polen Protest
Protest gegen die PiS-Justizreform: Bürgerinnen und Bürger Polens fordern am 18.12.2021 in Warschau "Freie Gerichte"Bild: DW/M. Gwozdz-Pallokat

Bodnar teilt die Sorge vieler Polinnen und Polen, dass Menschen in dem EU-Staat vor Gericht keine uneingeschränkte Fairness mehr erwarten können: "Wenn die Interessen eines Bürgers im Widerspruch stehen zu denen der Mächtigen, eines Staatsunternehmens oder auch nur einer Person, die der Regierung nahe steht, kann sich schnell zeigen, dass seine Rechte nicht beachtet werden und der Richter unter Druck steht."

Er erklärte weiter: "Wir kehren zu einem System zurück, dass es vor der Wende 1989 gab. Damals wusste jeder, der mit staatlichen Strukturen zu tun hatte, dass es rote Linien gibt, die man nicht überschreiten darf." Gegen die umstrittenen Justizreformen der PiS-Regierung hatte sein Büro 2015 und 2016 geklagt.

Zwischen Sorge und Zufriedenheit

Er gehe in Sorge um die Zukunft Polens aus dem Amt, sagte Bodnar 2020 im Interview mit der DW - aber gleichzeitig auch "mit Zufriedenheit, dass es so viele Jahre lang gelungen ist, demokratische Werte, Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenrechte zu verteidigen".

Polen Płock | Protest, Solidarität mit Aktivisten, LGBT
"Regenbogen sind keine Beleidigung": Protest von LGBTQ-Aktivist*innen in der zentralpolnischen Stadt Plock am 2.03.2021Bild: Kacper Pempel/REUTERS

Als größte Erfolge sah er Gerichtsverfahren, die konkrete Auswirkungen auf die Bürger hatten oder umweltschädliche Investitionen blockierten. Es sei ihm gelungen, einige Prozesse auszubremsen, etwa solche, die die Rechte von LGBTQ-Menschen betrafen. "Der Druck war doch sehr groß, aber dank konsequenter Maßnahmen wurden viele Entwicklungen gestoppt und dadurch konnte vielen Menschen geholfen werden. Vor allem aber konnten wir zeigen, dass es Werte gibt, die auf der Grundlage der polnischen Verfassung Schutz verdienen", so Bodnar.

Der "persönliche Staatsfeind" der PiS

Bodnars Verständnis von Bürgerrechten stand meist nicht im Einklang mit dem der PiS. Schon kurz nach seinem Amtsantritt als Ombudsmann nannten ihn Medien den "persönlichen Staatsfeind" der Regierungspartei.

Polen Krystyna Pawlowicz
Die heutige Verfassungsrichterin Krystyna Pawłowicz bezeichnete Bodnar 2016 als "Putschisten"Bild: picture-alliance/dpa/R. Zawistowski

Ende 2016 forderte ein UNO-Komitee Polen auf, die Rechtsstaatlichkeit im Allgemeinen und konkrete Urteile des Verfassungsgerichts zu respektieren, die die PiS-Regierung übergangen hatte. Als Bodnar dem zustimmte, bezeichnete ihn die heutige Verfassungsrichterin Krystyna Pawłowicz als "Putschisten" und "Sprecher einer antipolnischen Linken". Sie warf ihm vor, er hätte sich "hartnäckig und aktiv gegen die demokratisch gewählte neue polnische Legislative und Exekutive verschworen".

Ein Verteidiger der Minderheiten

Den häufigen Vorwurf, er verteidige nur "die einen", weist Bodnar von sich: "Wenn ich sehe, dass Menschenrechte verletzt werden, die sich aus der Verfassung oder internationalen Verträgen ergeben, werde ich entsprechend tätig". Das Problem besteht seiner Meinung nach darin, dass sich der Diskurs in Polen geändert hat: Die PiS-Regierung sperre sich nicht nur gegen den Schutz gewisser Rechte, sondern habe auch entscheidenden Einfluss auf Themen, die in Medien dominieren.

Auf die Frage, ob sich der sprichwörtliche Normalbürger "Herr Kowalski" nicht alleingelassen fühle, weil beim Ombudsmann immer "die anderen" schutzbedürftig seien, antwortete Bodnar: "Auch dieser Herr Kowalski, der ein weißer, heterosexueller Mann ist, kann irgendwann diskriminiert werden. Zum Beispiel, wenn er mit seiner weißen Hautfarbe in der Minderheit ist. Dann wird auch er Respekt erwarten". Einer Mehrheit anzugehören sei bedeutungslos, weil man schon am nächsten Tag in der Minderheit sein könnte.

Nachfolge unklar

Bevor er das Amt des Ombudsmannes übernahm, arbeitete der Verfassungsrechtler und Menschenrechtsaktivist Bodnar über zehn Jahre für die Helsinki-Menschenrechtsstiftung und andere Nichtregierungsorganisationen. Formal ist seine Amtszeit vor über einem halben Jahr abgelaufen - doch bislang gab es keine Einigung über seine Nachfolge.

Gemäß Artikel 208 der polnischen Verfassung wird der Ombudsmann vom Parlament gewählt, das derzeit von der PiS dominiert wird; es braucht jedoch die Zustimmung des Senats, wo die Opposition eine minimale, aber stabile Mehrheit hat. Ohne Kompromiss kann also kein Nachfolger für Adam Bodnar bestimmt werden. Und die Chancen, dass der in der aktuellen politischen Konstellation zustande kommt, sind gering.

Nun soll das Verfassungsgericht prüfen, ob die bisher gesetzlich vorgesehene Verlängerung der Amtszeit von Polens Ombudsmann für Menschenrechte bei Verzögerung der Wahl des Nachfolgers verfassungsmäßig ist: Ein Gericht, das seit seiner umstrittenen Umbesetzung gleich zu Beginn der PiS-Justizreformen als befangen gilt. Und für dessen Unabhängigkeit Bodnar sich immer eingesetzt hatte.