Harte Männer mit Schmiss: Burschenschafter
Sie kämpfen miteinander, saufen, haben oft rechtsnationale Ansichten: Burschenschaften. Wie extrem aber sind die Studentenverbindungen? Welchen Einfluss haben sie noch? Und passen sie noch in die heutige Gesellschaft?
Ende Januar 2018 rückten sie mal wieder ins Licht der Öffentlichkeit: Burschenschaften. Der Grund: Die Burschenschaft „Germania zu Wiener Neustadt“ hat ein Liederbuch herausgegeben, in dem auch ein Lied mit deutlich volksverhetzendem und antisemitischem antisemitisch feindlich gegenüber Juden (Substantiv: der Antisemitismus) Inhalt enthalten ist. Stellvertretender Vorsitzender der Burschenschaft war der damalige Spitzenkandidat der rechtspopulistischen österreichischen Partei FPÖ Udo Landbauer. Zwar existiert das Buch in der aktuellen Fassung schon seit 1997. Doch kurz vor dem jährlich stattfindenden Akademikerball in Wien, der als Treffpunkt nationalistischer bis rechtsextremer Personen seit Jahren umstritten ist, wurde der Inhalt des Buchs öffentlich. Die Affäre war Wasser auf die Mühlen Wasser auf den Mühle(n) sein redensartlich für: sich durch etwas bestärkt fühlen von Kritikern, die davon überzeugt sind, dass Burschenschaften generell überwiegend rechts bis rechtsextrem sind.
Ein Blick zurück: Der Begriff „Burschenschaft“ entstand 1791 als Bezeichnung für die Gesamtheit der Studierenden an einer Universität, die damals nur aus Männern bestand. Im Laufe der Zeit wurde der Begriff für eine bestimmte Art von Studentenverbindungen verwendet. Diese hatten sich zunächst den Kampf um bürgerliche Freiheiten wie Gleichheit vor dem Gesetz, Rede- und Pressefreiheit auf ihre Fahnen geschrieben sich etwas auf die Fahne schreiben redensartlich für: sich aus großer Überzeugung für die Verwirklichung von etwas einsetzen . Die allerdings zunehmende Radikalisierung eines Großteils von ihnen führte 1819 zu ihrem Verbot. 1825 spaltete sich die Bewegung: in diejenigen, die Kameradschaftssinn und Traditionspflege betrieben, und diejenigen, die Begriffe wie „Ehre“, „Freiheit“, „Vaterland“ mit radikalen Methoden vertraten.
Schon 1920 bekannte sich die „Deutsche Burschenschaft“ offiziell zum Antisemitismus und forderte von ihren Mitgliedern den Nachweis einer arischen arisch nach nationalsozialistischer Vorstellung so, dass jemand ein bestimmtes Äußeres hat (meist blond und blauäugig) Abstammung. Die heutigen Burschenschaften haben es schwer, sich von diesem rechtslastigen Image, das wie ein Produktschild, Etikett, an ihnen haftet, zu befreien. Nach Ansicht von Philipp Stein, dem Sprecher der „Deutschen Burschenschaft“ – dem größten und ältesten Dachverband der Burschenschafter –, kommt es auf die Definition des Begriffs „rechts“ an:
„Der Großteil der Burschenschafter steht eher für ’n traditionelles Familienbild als beispielsweise für so was wie ‚Gender Mainstreaming‘ oder Ähnliches. Die Burschenschaft steht prinzipiell eher für ’n Leistungsprinzip. Die Burschenschaft vertritt mit dem Fechten vielleicht auch ’n anderes Bild von Männlichkeit oder auch die Frage nach der Abstammung, die heute vielleicht in der Gesellschaft anders diskutiert und anders gesehen wird, dann ist dieses Etikett einfach nur ‚rechts‘ zu sein – also das Pendant zu ’nem linken Zeitgeist – sicherlich nicht verkehrt.“
Setzt man „rechts“ in Gegensatz zu „links“, betrachtet den Begriff also als Pendant, dann trifft er auf Burschenschaften zu. So halten Burschenschaften nicht viel vom „Gender Mainstreaming“, dem Bestreben, die Gleichstellung der Geschlechter in der Gesellschaft zu fördern. Auch das Fechten mit anderen Burschenschaftern gehört zur Tradition der mehrheitlich schlagenden Studentenverbindungen. Die nichtschlagenden sind in der Minderheit. Bei diesen Mensuren Mensur, -en (f.) ein Fechtkampf zwischen Mitgliedern einer Studentenverbindung mit scharfen Klingen sind die meisten Körperteile geschützt, aber Wangen und Kopf liegen frei – mit Absicht. Wird man getroffen, fließt meist Blut, und es bleibt eine Narbe zurück. So ein „Schmiss“ wird allerdings nicht als Zeichen der Niederlage gesehen, sondern als Zeichen der Männlichkeit mit Stolz getragen. Denn so sieht jeder, dass man sich dem Kampf gestellt hat.
Mitglied bei einer der rund 70 Burschenschaften, die zur „Deutschen Burschenschaft“ gehören, kann man nur werden, wenn man männlich ist und wenn man „zum deutschen Volkstum gehört“. Das heißt, man muss dieselbe Herkunft, Sprache und Kultur haben. Punkte wie diese führten unter den Burschenschaftern in Deutschland zu Streit und in der Konsequenz zur Gründung zweier weiterer kleinerer Dachverbände: der „Neuen Deutschen Burschenschaft“ und der „Allgemeinen Deutschen Burschenschaft“. Michael Schmidt, Sprecher der „Allgemeinen Deutschen Burschenschaft“ nennt den Grund für den Austritt:
„Dass wir gewisse Verhaltensweisen deutlich in der rechten, rechtsextremen, rechtsradikalen Ecke gesehen haben, und das für uns mit burschenschaftlichen Grundwerten nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Und wir das deshalb in unseren Reihen nicht dulden konnten, nicht dulden wollten.“
Dass Burschenschaften verschworene Männerbünde sind, die ungern Einblick in ihre Gemeinschaft gewähren, musste der österreichische Historiker Michael Gehler erleben, der an der Universität Hildesheim lehrt. Ende der 1990er-Jahre hatte er gemeinsam mit Kollegen ein kritisches Buch über die Geschichte der Burschenschaften geschrieben. Die Erstauflage war schnell vergriffen. Der Grund war schnell gefunden, sagt er:
„Wir haben dann erfahren, es ist aufgekauft worden von diesen Altherrenverbänden, die nicht wollten, dass das eine breitere Leserschaft gewinnt.“
„Alte Herren“ sind diejenigen, die ihrer Burschenschaft ein Leben lang treu bleiben und in der Regel ihren oft nicht unbeträchtlichen Einfluss geltend machen. Sie sorgten dafür, dass es kein verfügbares Exemplar mehr auf dem Buchmarkt gab, kauften alle Exemplare auf. In Deutschland gibt es etwa 1.000 Studentenverbindungen, darunter rund 120 Burschenschaften, die meisten davon in traditionellen alten Universitätsstädten wie Marburg, Heidelberg und Tübingen. Im Vergleich zu den glorreichen, großartigen, Zeiten, ist das aber nur noch ein Bruchteil, sagt der Sozialwissenschaftler Dietrich Heither, der sich schon seit den 1990er-Jahren mit dem Thema beschäftigt:
„Heute bewegt sich der Anteil an Verbindungsstudenten gemessen an der Gesamtstudentenzahl vielleicht bei anderthalb bis zwei Prozent. Das hat aber in erster Linie natürlich mit der enormen Ausweitung der Studentenzahlen zu tun. In absoluten Zahlen haben sich die Studentenverbindungen mehr als halbiert gegenüber ihren glorreichen Zeiten des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts hinein.“
Innerhalb der Studentenschaft haben Burschenschaften kaum noch eine Bedeutung, wenn man ihre Mitgliederzahl in Relation zur Gesamtheit aller Studierenden setzt. Deren Zahl ist in den vergangenen Jahren enorm, sehr stark, gestiegen. Für Dietrich Heither liegt der Grund für den Bedeutungsverlust auf der Hand:
„Sich prügelnde und saufende Akademiker passen weniger in eine Welt von Soft Skills und sozialen Kompetenzen, die ja in modernen, weltweit operierenden Unternehmen immer mehr gefragt werden. Also insofern ist das ein anachronistisches Objekt.“
Eine Burschenschaft ist für Dietrich Heither ein anachronistisches Objekt, eine nicht mehr zeitgemäße Sache. Denn heutzutage sind eher Soft Skills gefragt, wie Empathie, Motivationsfähigkeit, Freundlichkeit, respektvolles Verhalten. „Harte Männer“ werden nicht so gern gesehen. Trotzdem darf man Burschenschaften und ihre Wirkung nach Ansicht von Dietrich Heither nicht unterschätzen. Vor allem die „alten Herren“ haben gute Kontakte in Politik und Wirtschaft.