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Kaiser Haile Selassie zu Besuch in Bonn

Ludger Schadomsky10. November 2014

Als erster Staatsgast nach dem Krieg reist Kaiser Haile Selassie I. aus Äthiopien 1954 nach Deutschland. Der Gast bringt Exotik ins beschauliche Bonn - und prägt bis heute die deutsch-äthiopischen Beziehungen.

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Äthiopischer Kaiser Haile Selassie zu Besuch in Bonn 1954
Bild: picture alliance/dpa

Für die junge Bundesrepublik Deutschland ist es eine große Ehre und eine Sensation zugleich: Der äthiopische "Negus Negest", der "König der Könige", stattet im November 1954 als erstes ausländisches Staatsoberhaupt Westdeutschland einen Staatsbesuch ab. Mit seiner Größe von gerade 1,62 Meter, der aufwendig geschmückten Uniform und dem kaiserlichen Zweispitz mit Haar des Wappentiers Äthiopiens, des Schwarzen Löwen, erregt Kaiser Haile Selassie I. gehörige Aufregung.

Die Bundesregierung hat sich trotz der historischen Bedeutung des Besuchs vorgenommen, sich bescheiden zu präsentieren: "Wir sagen uns, wir haben heutzutage Flüchtlinge, es gibt noch große Not in Deutschland, man würde es weder in Deutschland noch im Ausland verstehen, wenn wir einen zu großen Luxus entwickeln", erklärt der deutsche Protokollchef Hans von Herwarth. Es komme ihm darauf an, "dass der Kaiser von Äthiopien sich bei uns recht wohlfühlen möge". Dafür rekrutiert man zum Empfang des afrikanischen Staatsgastes in Bonn unter anderem Elefanten und Kamele von einem in der Rheinaue gastierenden Wanderzirkus - in Unkenntnis der Tatsache, dass sich Seine Majestät bei Weitem mehr für Vollblüter interessiert und in Deutschland einige Pferdegestüte besichtigt.

Der Dekan der Landwirtschaftlichen Fakultät überreicht Kaiser Haile in Bonn 1954 die Ehrendoktorwürde
Der Kaiser interessiert sich besonders für moderne Agrartechnik und besucht unter anderem die Landwirtschaftliche Fakultät der Uni BonnBild: picture alliance/dpa

Es soll - so würde es Kanzlerin Angela Merkel 60 Jahre später wohl formulieren - ein Besuch "auf Augenhöhe" sein. Der Gast kommt nicht als Bittsteller, sondern als Partner nach Deutschland. 50 Jahre lang sind die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern bereits gediehen. Nun also kommt einer der letzten absoluten Herrscher der Erde, der "Auserwählte Gottes", die "Macht der Dreifaltigkeit", der "Siegreiche Löwe aus dem Stamme Juda" oder mit bürgerlichem Namen Tafari Mekonnen, um sich Stahlwerke und Krankenhäuser anzuschauen und von den Deutschen zu hören, wie man die technischen Errungenschaften des Westens in das Kaiserreich am Horn von Afrika importieren kann.

Wind des Wandels auch im Kaiserreich - mit Verspätung

Nach Gesprächen mit Bundespräsident Theodor Heuss, Bundeskanzler Konrad Adenauer, mit Parlamentariern und Industriellen stellt sich der Kaiser ganz gegen seine Gewohnheit sogar der Presse. Allzu forsche Nachfragen zu aktuellen politischen Themen wehrt der Monarch freilich ab.

"Seine Majestät hat festgestellt, dass glücklicherweise im Lande Seiner Majestät dieses Problem des kalten Krieges nicht besteht, und Majestät wünscht deshalb keine näheren Ausführungen zu dieser Frage zu machen", übersetzt der Protokollbeamte die schmallippige Replik des Besuchers auf eine politische Frage vom Amharischen ins Deutsche. Offener zeigt sich Seine Hoheit bei einer Stippvisite in Hamburg, wo er verdutzte Passanten mit Goldmünzen beschenkt, bevor er ein Krankenhaus einweiht.

Die Deutschen erleben im November 1954 einen Besucher aus einer seit mehr als 3000 Jahren herrschenden Dynastie, der inmitten der Aufbruchstimmung im übrigen Afrika unangefochten auf dem Thron sitzt, sekundiert von einem Alibi-Parlament und beraten allein vom Abuna, dem orthodoxen Hohepriester. Obgleich freundlich und zugetan, umweht den Kaiser auch in der jungen Bundesrepublik das asketische Protokoll des Hofs in Addis Abeba, wo Beten und Fasten den Tagesverlauf bestimmen und im Flüsterton gesprochen wird.

Haile Selassie mit Bundespräsident Heuss, der Schwiegertochter des Kaisers, Prinzessin Sara Guizaw, und Bundestagsvizepräsident Carlo Schmid
Haile Selassie mit Bundespräsident Heuss, der Schwiegertochter des Kaisers, Prinzessin Sara Guizaw, und Bundestagsvizepräsident Carlo SchmidBild: picture alliance/dpa

Knapp 20 Jahre später ist der Kaiser noch einmal in Deutschland, am 12. September 1973. Während Bundeskanzler Willy Brandt seinen Gast mit einem üppigen Staatsbankett bewirtet, kämpfen in Äthiopien Hunderttausende mit dem Hunger. Es gärt im Volk, Gerüchte über Selbstbereicherung, Korruption und Nepotismus am Hofe machen die Runde. Auf den Tag genau ein Jahr nach diesem Treffen mit Brandt wird Haile Selassie von den neuen Militärherrschern in Addis Abeba abgeführt und stirbt ein Jahr später im Alter von 83 Jahren unter bis heute ungeklärten Umständen in einem kleinen Palastzimmer.

Praktiker statt Professoren!

Im November 1954 darf sich der Kaiser von Äthiopien in Bonn freilich noch als pragmatischer Entwicklungsstratege präsentieren. Er bittet die Bundesregierung, seinem Land Agrarfachleute für die Entwicklung der Landwirtschaft zu schicken - "aber bitte keine Professoren". Als Mann der Tat hat sich der Kaiser schon zuvor in der Heimat gezeigt: Mit der Begründung, Äcker seien wichtiger als Golfplätze, hat er einen eigens für seine britischen Berater am Hofe angelegten Golfplatz umpflügen und von acht auf vier Löcher reduzieren lassen - zum Entsetzen der Ausländer, die sich nun nach einem anderen Grün umsehen mussten.

Der Besuch des Kaisers in Bonn legt das Fundament für die bis heute engen diplomatischen Beziehungen beider Länder. Gemeinsam mit China und der Schweiz ist Deutschland heute größter Exportmarkt für äthiopische Waren. Deutschland ist zudem einer der wichtigsten Entwicklungspartner Äthiopiens. In den vergangenen drei Jahren hat die Bundesregierung annähernd 100 Millionen Euro für Entwicklungsprojekte zur Verfügung gestellt.

Äthiopischer Kaiser Haile Selassie zu Besuch in Bonn 1973, mit Willy Brandt
Knapp zwanzig Jahre später besucht Haile Selassie I. wieder Deutschland. Diesmal ist Kanzler Willy Brandt sein Gastgeber.Bild: picture alliance/AP/Hinninger

Äthiopien als vermeintlicher Hort der Stabilität

Vor allem aber als strategischer Partner in der volatilen Region Horn von Afrika gilt Äthiopien trotz aller Demokratiedefizite und Menschenrechtsverletzungen Berlin als Garant der Stabilität. "Heutzutage ist Äthiopien ein sehr wichtiger Partner für Deutschland am Horn von Afrika und gilt den Deutschen als wichtiger Partner für Stabilität in der Region", sagt Claas Dieter Knoop, deutscher Botschafter in Addis Abeba zwischen 2006 und 2010, der DW.

Das Demokratieverständnis der Regierenden in Äthiopien hat sich freilich 60 Jahre nach dem historischen Besuch des Monarchen in Bonn nur wenig gewandelt. Der hatte damals postuliert: "Der König weiß, was das Volk braucht. Das Volk weiß es nicht." Vor der Parlamentswahl 2015 in Äthiopien werden gerade zahlreiche Oppositionelle und Journalisten verhaftet. Es gärt erneut im Volk.