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"Ein sehr loyaler Soldat"

Gero Schließ, Washington25. November 2014

Der erzwungene Rücktritt von Verteidigungsminister Hagel hat Washington überrascht. Über die Gründe wird spekuliert. Sicher ist: Zu einer Neuorientierung in der Sicherheitspolitik wird es nicht kommen.

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Chuck Hagel (Foto: Reuters/Y. Gripas)
Bild: Reuters/Y. Gripas

Die New York Times wusste es als erste: Der Rücktritt von Verteidigungsminister Chuck Hagel stehe unmittelbar bevor, verbreitete das Blatt in einer Eilmeldung wenige Stunden vor der offiziellen Verkündung durch den Präsidenten.

Und auch, dass Hagel "unter Druck" stehe und er das erste "Opfer mit Kabinettsrang" sei nach der verheerenden Niederlage von Präsident Obamas Demokraten bei den Kongresswahlen Anfang November. Doch dann zitierte die New York Times noch ungenannte Mitarbeiter des Präsidenten mit unschönen Einzelheiten, die offensichtlich dazu bestimmt waren, das Bild Hagels als souveränen Krisenmanager nachhaltig zu demontieren. Hagel sei nie wirklich in seinem Job angekommen, habe keinen Zugang zum Präsidenten und habe "Probleme, seine Gedanken zu artikulieren".

Abschied im Weißen Haus

Wenig später dann im Weißen Haus der bitter-süße Abschied. Neben Obama steht ein sichtlich angeschlagener Hagel, der das Lob seines Präsidenten für das Management des US-Rückzugs aus Afghanistan und den Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) mit versteinerter Miene zur Kenntnis nimmt. Doch gerade bei diesen zentralen sicherheitspolitischen Punkten soll es zunehmend Differenzen zwischen Hagel und Obama gegeben haben, sagt Larry Korb vom Center for American Progress der Deutschen Welle.

US-Präsident Obama verabschiedet Chuck Hagel (Foto: Getty Images/Chip Somodevilla)
Herzliche Umarmung?Bild: Getty Images/Chip Somodevilla

Man sei sich beispielsweise nicht darüber einig gewesen sein, wie viele Bodentruppen eingesetzt werden sollten. "Und sollten wir in Afghanistan die Kampfmission vollständig beenden? Hier hat der Präsident schließlich seine Meinung geändert. Das war wohl die letzte Sache, die ihm (Hagel) noch gelungen ist", so Korb.

Im Widerspruch zum Weißen Haus

Diese Differenzen waren schon seit einiger Zeit unübersehbar: "Das Verteidigungsministerium hat sich in den letzten Wochen in einer anderen Tonlage über die Krise im Irak und Syrien geäußert", stellt Heather Conley vom Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS) fest. "Manchmal ging das soweit, dass sie im Widerspruch zu Veröffentlichungen des Weißen Hauses standen".

Unvergessen ist die Deutlichkeit, mit der Hagel angesichts des rasanten Aufstiegs der Terrormiliz "Islamischer Staat" an die Öffentlichkeit ging: Der IS sei in seiner brutalen Dynamik "jenseits dessen, was wir bisher gesehen haben", sagte er auf einer Pressekonferenz. Obama hatte den IS zuvor noch mit der Juniorauswahl eines Basketballteams gleichgesetzt. Hagels damalige Wortwahl sei "nicht hilfreich" gewesen, zitiert die New York Times jetzt ungenannte Obama-Mitarbeiter.

IS Kämpfer (Foto: picture alliance/ZUMA Press/M. Dairieh)
Unterschiedliche Ansichten im Kampf gegen den "Islamischen Staat"Bild: picture alliance/ZUMA Press/M. Dairieh

Frustration auch bei Hagel

Heather Conely sieht aber auch eine "wachsende Frustration" bei Hagel selbst, nämlich darüber, "dass wir bei den Bemühungen, den Islamischen Staat zurückzudrängen, nicht in die richtige Richtung gehen". Der Verteidigungsminister "fühlte offensichtlich, dass sein Rat nicht mehr gefragt war", ergänzt Larry Korb. "Deshalb dachte er, dass es für alle besser sei, zur Seite zu treten". Auch der republikanische Senator McCain bestätigte in einer ersten Reaktion, Hagel sei "sehr, sehr frustriert" gewesen. McCain und die Republikaner fühlen sich durch Hagels Rücktritt jetzt in ihrer inhaltlichen Kritik an Präsident Obamas Strategie für den Nahen- und Mittleren Osten bestätigt.

Es scheint so, als habe sich Chuck Hagel von seinem schwachen Auftritt bei der Bestätigung durch den Senat vor knapp zwei Jahren nie richtig erholt. Wenn man wisse, wie geschwächt er am Anfang seiner Amtszeit war, sei der Rücktritt deswegen keine ganz unerwartete Entwicklung gewesen, sagt Korb. Ausserdem habe Hagel schwerwiegende Probleme von seinen Vorgängern geerbt: Korb verweist hier vor allem auf die von Obama verordneten Budgetkürzungen und die zusätzlichen Kürzungen durch den Kongress, die eine tiefgreifende Neuorganisation des Militärs erfordert hätten.

"Ein sehr loyaler Soldat"

Hagel wird am Tage seines Rücktritts von Medien und Politikern aus beiden Parteien vorgeworfen, dass er sich damit begnügt habe, Präsident Obamas Entscheidungen lediglich auszuführen. Doch genau diese persönliche Zurückhaltung war damals das Einstellungskriterium bei Obama, der sich nach Gates und Panetta einen weniger eigenständig agierenden Pentagon-Chef gewünscht hatte.

Hagel sei "ein sehr loyaler Soldat", bricht Larry Korb eine Lanze für den Minister. "Wenn sie schauen, was er für den Job mitbrachte. Er hatte mehr vorzuweisen, als alle seine Vorgänger zusammen: ein verwundeter Kriegsveteran, ein Senator mit zwei Amtszeiten und ein erfolgreicher Geschäftsmann". Er sei wohl von allen der höchst Qualifizierte gewesen, "aber er trat sein Amt in einer sehr schwierigen Zeit an."

Doch glaubt man amerikanischen Medienberichten, war das Vertrauen des Präsidenten in Hagels Management- und Kommunikationsfähigkeiten schließlich sehr begrenzt. "Minister Hagel war einer der Schweigsamen im Sicherheitsteam des Präsidenten," sagt auch Heather Conley vom CSIS. "Und es gab Kommentare in der westlichen Presse, die sagten, wenn der Minister spricht, fehle es an Klarheit und an einem politischen Standpunkt."

Neue Außen- und Sicherheitspolitik

Doch Conleys Meinung nach hat nicht dies, sondern ein verändertes Politikmanagement Präsident Obamas den Ausschlag für den Rücktritt gegeben. "Das Weiße Haus kontrolliert den Politikprozess sehr stark, in diesem Fall selbst die winzigsten Entscheidungen bei der Kriegsführung. Das brachte sie in Konflikt mit Minister Hagel und seinen Militärs".

Larry Korb stimmt dem zu und sieht Hagels Demission in Zusammenhang mit "dem Fakt, dass das Weiße Haus in der zweiten Amtszeit (Obamas) die Aussenpolitik stärker selbst gemacht hat".

Und so erwartet kaum ein Beobachter in Washington, dass mit dem Auswechseln des Ministers auch eine grundlegend neue Außen- und Sicherheitspolitik verbunden ist. Sicher dürfte allerdings sein, dass die erstarkten Republikaner den Nachfolger bei dessen Befragung im Senat ordentlich "grillen" werden.

Eine Frau?

Möglicherweise könnte es ja – nach deutschem Vorbild – auch eine Frau sein. Der Name der Verteidigungsexpertin Michèle Flournoy wird immer wieder genannt. "Diese Administration steht für Chancengerechtigkeit der Geschlechter, erklärt Larry Korb. "Sie wäre die erste Frau an der Spitze des Ministeriums."