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Gesellschaft

EU: Wissen über Algorithmen gering

6. Februar 2019

Sie bestimmen, welche Suchergebnisse und Online-Dating-Partner wir sehen. Trotzdem sind Algorithmen für viele EU-Bürger noch immer ein Buch mit sieben Siegeln, wie eine Studie der Bertelsmann Stiftung nun zeigt.

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Tastatur und Bildschirm mit Programmiercode und Binärcode
Bild: picture-alliance/K. Ohlenschläger

Besorgt darüber zu sein, dass Maschinen und künstliche Intelligenz (KI) irgendwann die Weltherrschaft übernehmen könnten, gehört heute fast schon zum guten Ton. Was aber den Meisten nicht bewusst ist: Viele Entscheidungen werden bereits nicht mehr von Menschen getroffen, sondern von Algorithmen.

Wenn Sie nicht wissen, was genau ein Algorithmus ist, stehen Sie nicht allein da. Fast der Hälfte der EU Bevölkerung geht es genauso. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung, für die knapp 11.000 Teilnehmer aus allen 28 EU-Mitgliedstaaten befragt wurden. Das Ergebnis: 48 Prozent der Menschen haben entweder noch nie von Algorithmen gehört, oder kennen zwar den Begriff, wissen aber nicht, was ein Algorithmus tut.

Die Umfrage wurde im September 2018 vom Meinungsforschungsinstitut Dalia Research im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführt und ist für die EU als ganzes, sowie für die sechs größten Mitgliedsstaaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen und Spanien repräsentativ. Zwischen diesen Ländern gibt es im Kenntnisstand große Unterschiede. In Polen gaben 11 Prozent der Befragten an, viel über Algorithmen zu wissen, 12 Prozent kannten den Begriff gar nicht. In Großbritannien dagegen hat ein Viertel der Bevölkerung noch nie von Algorithmen gehört.

"Die Menschen in Europa wissen zu wenig über Algorithmen, dabei werden sie für ihr alltägliches Leben immer bedeutender", sagte Jörg Dräger, Mitglied im Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

Infografik Vertrautheit mit Algorithmen bei EU Bürgern

Grundlegend ausgedrückt ist ein Algorithmus eine eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems. Bestimmte eingegebene Daten werden nach immer gleichen Schritten ausgewertet und sortiert, um zu einem Ergebnis zu kommen. "Algorithmen sind Meister der Komplexitätsbewältigung", heißt es im Vorwort der Bertelsmann Studie. "Sie können schnell und effizient mit gewaltigen Datenmengen umgehen und diese stets konsistent auswerten."

Ein bekanntes Beispiel ist der Google-Algorithmus, der bestimmt, welche Webseiten auf der Liste unserer Suchergebnisse auftauchen. Auch beim Online-Dating kommen Algorithmen zum Einsatz, die bestimmen, welche potenziellen Partner wir angezeigt bekommen. Bei Facebook bestimmen sie, welche Meldungen welcher Freunde - und was für Werbeanzeigen - in unserem Newsfeed auftauchen, und in Navigationssystemen zeigen sie uns den schnellsten Weg von A nach B.

An diese Lebensbereiche dachten die Teilnehmer der Bertelsmann-Studie am ehesten, als sie nach Algorithmen gefragt wurden. Was den meisten nicht bewusst war: Auch beim Vorsortieren von Job-Bewerbungen, bei der Diagnose von Krankheiten und sogar bei Gerichtsurteilen können Algorithmen schon helfen oder sogar den Menschen ersetzen. In diesen Bereichen sind sie einer Mehrheit der EU-Bürger unheimlich. 64 Prozent der Befragten fühlten sich unwohl beim dem Gedanken, dass Computersysteme ohne menschliche Beteiligung Entscheidungen über sie treffen.

Bei der Frage, was sie mit Algorithmen assoziieren, nannten EU-Bürger auch viele positive Faktoren. Auf Platz eins steht zwar "Viel Macht für Programmierer", also für die Menschen, die den Algorithmen sagen, was und wie sie zu rechnen haben. Aber auch Zeitersparnis sowie effiziente und genaue Entscheidungen werden genannt. Immerhin ein Fünftel der EU-Bevölkerung empfinden Algorithmen allerdings als "bedrohlich" oder "beängstigend".

Infografik Assoziationen mit dem Begriff Algorithmus

Am Beispiel Amazon kann man sehen, dass auf einen Algorithmus, der mathematisch "richtig" funktioniert, trotzdem nicht immer Verlass ist. Beim Online-Shopping-Riesen war vor einigen Jahren ein KI-System in der Entwicklung, das Bewerber vorsortieren und die besten fünf aus 100 auswählen sollte. 2014 entwickelte ein Amazon-Team einen Algorithmus für diese Aufgabe. Doch bald stellte sich heraus, dass der Algorithmus die Bewerbungen von Frauen systematisch schlechter bewertete. Der Grund: Amazon hatte als Trainingsmaterial die Bewerbungsunterlagen der letzten 10 Jahre genommen, so dass sich der Algorithmus beibrachte: Der Faktor "weiblich" ist ein Nachteil. 2017 stoppte die Firma das Projekt komplett.

Trotz solcher Fehler: Grundsätzlich glauben die Befragten, dass Algorithmen positiv zur Entscheidungsfindung beitragen können. Laut Bertelsmann-Studie finden drei Viertel der EU-Bürger, dass der Einsatz von Computeralgorithmen mehr Vorteile als Probleme mit sich bringt. Ebenso viele Menschen wollen aber auch, dass algorithmische Entscheidungen leichter nachvollziehbar sein sollen und sie ein Recht darauf erhalten, solche Entscheidungen durch einen Menschen überprüfen zu lassen. Fälle wie der von Amazon zeigen, dass diese menschlichen Kontrollen zum aktuellen Stand noch unerlässlich sind.

Sexistische Algorithmen

Carla Bleiker
Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker