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Politik

Es steht schlecht um die Demokratie Mexiko

Alexander Görlach
3. April 2019

Seit Anfang Dezember amtiert der Linkspopulist López Obrador als Präsident von Mexiko. Der Mann setzt sich grandios in Szene, doch die Bilanz seiner ersten Monate fällt ernüchternd aus, meint Alexander Görlach.

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Twittercard Alexander Görlach Zitat

Die Mexikaner haben im vergangenen Sommer Andres Manuel López Obrador, kurz AMLO, zu ihrem Präsidenten gewählt. Der ehemalige Bürgermeister der Hauptstadt schaffte es damit im dritten Anlauf in das höchste Staatsamt. Vor allem verdankt er seinen Erfolg zwei Faktoren: von außen der verheerenden und radikalen Rhetorik von US-Präsident Donald Trump, der die Mexikaner "Vergewaltiger" und "Kriminelle" nennt. Innenpolitisch nutzte er die Tatsache, dass viele Mexikaner es mittlerweile satt haben, dass jene, die sie regieren, im Regelfall korrupt bis in die Haarspitzen sind. AMLO hat daher in seinem Wahlkampf vor allem das Gefühl der Mexikaner angesprochen und alles auf die populistische Karte gesetzt.

Wie sieht es nun vier Monate nach Amtsantritt in dem Land aus, in dem von den Ärmsten der Armen bis hin zu den Zöglingen der sehr wohlhabenden Menschen in Obrador so etwas wie einen mexikanischen Bernie Sanders erblicken wollten?

Tricks wie in Russland und der Türkei

Die Antwort fällt kurz aus: Es steht schlecht um die Demokratie Mexiko. AMLO macht vor allem Politik für AMLO: Jeden morgen spricht er zwei Stunden lang in einer Pressekonferenz. Damit folgt er seinem Vorbild Fidel Castro, der ebenfalls durch seine ausschweifenden Redebeiträge den Kubanern den Takt vorgab. Er möchte sich nach der Hälfte seiner sechs Jahre dauernden Amtszeit - der mexikanische Präsident kann nicht wiedergewählt werden - dem Votum der Wähler stellen. Sollten die ihn bestätigen, dann möchte er sein Mandat zu Ende führen. Kritiker sehen hier schon den Versuch durchschimmern, die Verfassung zu ändern, um "dem Willen des Volkes" gerecht zu werden. Solche Tricks, Ämterrochaden und Verfassungsänderungen sind ja aus Russland, der Türkei und anderen wenig demokratischen Winkeln der Welt bestens bekannt.

Mexiko: Präsident Lopez Obrador
Andres Manuel López Obrador - kurz AMLO genanntBild: picture-alliance/A. Nava

AMLO attackiert mit den politischen Maßnahmen, die er angekündigt und teilweise schon begonnen hat, vor allem die schmale Mittelklasse des Landes. Obwohl es zum Freihandelsraum NAFTA gehört, steht Mexiko ökonomisch bei weitem nicht da, wo es sein könnte. Nun soll auch die "seguro popular" komplett umgebaut und damit faktisch abgeschafft werden - die Krankenkasse für alle. Auch staatliche Kindertagesstätten wurden bereits geschlossen. Das Geld, das so gespart wird, will man nun bar an die Mütter ausbezahlen. Damit wird jedoch die Infrastruktur zerstört, die es beiden Elternteilen einer Mittelklassefamilie erlaubt, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Solche Maßnahmen des massiven Klientelismus sehen Kritiker als Bausteine eines Weges in die Autokratie. Am Ende sollen die Leute sagen: "Mein Krankengeld habe ich von AMLO" und "Mein Kindergeld habe ich von AMLO". Alles ist auf AMLO zugeschnitten und ausgerichtet.

Daneben gibt es viel populistische Inszenierungs- und Ablenkungspolitik: Der unter dem als äußerst korrupt geltenden Vorgänger Enrique Pena Nieto begonnene neue Hauptstadtflughafen wird nicht fertig gebaut. Der Schaden für den Steuerzahler, der durch die gebrochenen Verträge entsteht, liegt Schätzungen zufolge bei mindestens fünf Milliarden Dollar. Dafür wird eine neue Raffinerie errichtet, was bei Umweltschützern Empörung hervorruft. Die internationale Gemeinschaft hält bislang die Füße still, denn anders als die katastrophal agierende populistische Regierung Italiens hat AMLO keine Neuverschuldung angekündigt und einen eher konservativen Haushalt vorgelegt. So lange nicht ein Verwandter von ihm die Notenbank übernimmt, dürften die internationalen Märkte still halten.

Immer noch eher ein Feudalstaat

Der als links geltenden AMLO hat also bislang wenig getan, was ein linker Utopist einem gebeutelten Land wie Mexiko verordnen müsste: Das Land ist trotz 100 Jahren moderner Demokratie immer noch eher ein Feudalstaat, in dem etliche Dutzend Familien qua Landbesitz, Geld und dem daraus resultierenden Einfluss die Geschicke des Landes maßgeblich lenken. Es kommt auf Familienbeziehungen an, wenn man es zu etwas bringen beziehungsweise seinen Status erhalten will, und nicht auf eigene Verdienste. Ganz klar, dass in einem solchen Umfeld selbst die besten zehn Prozent eines Schuljahrgangs nicht das Bildungsniveau und die Kenntnisse haben, über die ausnahmslos ALLE gleichaltrigen Briten oder Kanadier verfügen - so hat es ein PISA-Vergleichstest zuletzt 2015 festgestellt.

Es müsste eigentlich darum gehen, das Land in eine Meritokratie zu verwandeln, in der allein persönliche Leistung und Verdienste zählen. So würde über die Zeit auch der Anreiz für Korruption verschwinden. Das aber dauert mindestens eine Generation, wenn nicht sogar zwei. Diesen Atem hat AMLO nicht und anscheinend auch nicht das Interesse an dem nötigen Wandel. Für AMLO geht es nur um AMLO. Für die Mexikaner hingegen geht es um die Zukunft. Um diese werden sie von ihrem neuen Staatsoberhaupt betrogen.

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge, am Institute für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University Hong Kong.