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Politik

Aufwind für den Islamismus?

Alexander Görlach
27. April 2020

Die Corona-Krise schafft ideale Voraussetzungen für das Werben radikaler Islamisten um Nachwuchs - in muslimisch geprägten Staaten genauso wie in Europa. Die Staaten müssen jetzt wachsam sein, meint Alexander Görlach.

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DW Zitattafel Alexander Görlach

Mit der Corona-Pandemie könnte auch ein anderer Schrecken, der dieser Tage in den Hintergrund getreten ist, neue Bedeutung erlangen: Islamisten nutzen die Unsicherheit der gegenwärtigen Situation, die Einsamkeit der Quarantäne und die materielle Not vor allem viele junger Menschen, um neue Dschihadisten zu rekrutieren.

Das geistige Umfeld dazu liefern islamische Theologen überall auf der Welt: Zuerst verklärten sie die Corona-Pandemie zu einer Strafe Gottes gegen die Heiden. In dem Moment, in dem auch Menschen in islamischen Ländern an COVID-19 erkrankten, schwenkten sie um und riefen die Muslime zur Umkehr auf. Plötzlich stand mangelnder Glaube als Grund für die Seuche im Mittelpunkt mancher Predigt.

Materielle Not wird ausgenutzt

Islamistische Extremisten stehen nicht alleine da, wenn es darum geht, Covid-19 für die eigenen Zwecke auszunutzen: auch rechtsextremistische Akteure versuchen mit ihren verschwörungstheoretischen Erklärungen der Krise Menschen zu radikalisieren.

Ihnen allen gemeinsam ist der Wille, den Moment materieller Not maximal für ihre Zwecke auszuschlachten. Es ist kein Geheimnis, dass Hunger und Elend in armen Ländern die Menschen in die Arme der Islamisten treiben. Hinzu kommt, dass viele Regierungen in der islamischen Welt schwach sind und nicht über die Infrastruktur verfügen, die Erkrankten gut zu versorgen. Die Gefahr, dass Islamisten einflussreicher werden oder gar die Macht in einzelnen Regionen oder Staaten an sich reißen, ist daher real.

Das geht auch Europa an - nicht nur, weil die muslimischen Gemeinden hier über vielfältige Kanäle mit den Staaten verbunden sind, in denen die Wurzeln ihrer Gläubigen liegen. Oft besteht auch eine gewisse finanzielle Abhängigkeit zu ihnen, die in den harten Zeiten, die jetzt auch für viele Menschen in der christlichen Welt angebrochen sind, auch in der Diaspora den einen oder die andere zu radikalisieren vermögen.

Im Dauereinsatz gegen Islamisten

In Nordafrika beispielsweise sind die Länder seit dem Arabischen Frühling vor nunmehr zehn Jahren im Dauereinsatz gegen Islamisten. Die Muslimbruderschaft in Ägypten, die unter Hosni Mubarak verboten war und nach dessen Sturz für kurze Zeit in Regierungsverantwortung kam, versucht, die Regierung in den Sozialen Medien zu diskreditieren. Mehr als die Hälfte der Ägypter sind Analphabeten. Sie haben keine Möglichkeit, das was sie online sehen oder hören, wirklich zu überprüfen.

Auch in Deutschland tritt die Muslimbruderschaft auf, erwirbt Land in Ostdeutschland, um dort eine Moschee für Operationen aufzubauen, schreibt die liberale Imamin Seyran Ates im Magazin "Cicero". Ates bekam den langen Atem des politischen Islam, der auch in Deutschland aktiv ist, zu spüren, als sie als erste Frau eine Moschee in Berlin eröffnete, die sie seitdem leitet.

Deutschland Eröffnung liberale Moschee in Berlin
Seyran Ates hat eine liberale Moschee in Berlin initiiert, die im Juni 2017 eröffnet wurde. Männer und Frauen beten hier gleichberechtigt, Ates legt ihren Gebetsteppich bereit.Bild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Immun machen gegen die Integration

Die islamischen Verbände in Deutschland, die nicht mehr als 20 Prozent aller Muslime im Land repräsentieren, nehmen für sich in Anspruch, den wahren Islam zu repräsentieren. Damit wollen sie sich immun machen gegen die Integration von Muslimen in das aufgeklärte, säkulare Europa. Auch wenn die Ressourcen des Staats im Moment für andere Dinge gebraucht werden, ist es angebracht, das Treiben der Radikalisierer genau zu beobachten und gegebenenfalls Organisationen wie die Muslimbruderschaft zu verbieten.

Es bleibt die Aufgabe der Politik in Deutschland, den Millionen im Land lebenden Muslimen bei der Integration weiter entgegen zu kommen, um zu verhindern, dass radikale Akteure wie die Muslimbrüder die gegenwärtige Krise für ihre obskuren Zwecke ausnutzen. Die materielle Herausforderung durch die Corona-Pandemie betrifft die Gesellschaft insgesamt - nicht nur die Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Es ist daher der Moment, gemeinsam die Reihen zu schließen und Spaltern keinerlei Einfluss zu gewähren.

Alexander Görlach lebt in New York und ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.