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Göbel: "Kidal war seit Monaten ein Pulverfass"

Philipp Sandner24. Mai 2014

Alexander Göbel war als einer der letzten Journalisten in Kidal. Im DW-Interview erzählt er von der Angst, die die nordmalische Stadt schon vor der Einnahme durch die Tuareg-Rebellen lähmte.

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Alexander Göbel Foto: HR
Bild: HR

Deutsche Welle: Herr Göbel, sie waren als wahrscheinlich letzter Journalist im März in Kidal. Wie war die Stimmung vor Ort?

Alexander Göbel: Die Stadt war wie leer gefegt. Alle Geschäfte und Stände auf der Hauptstraße waren geschlossen. Die Kinder sind nicht zu Schule gegangen, weil die Tuareg-Rebellen die Schulgebäude besetzt hielten. Viele Bewohner von Kidal lebten immer noch in Flüchtlingslagern, die meisten jenseits der Grenze, in Burkina Faso. Kidal war eine Geisterstadt. Es hat sich niemand aus dem Haus getraut. Eine große Angst war spürbar. In Kidal waren nur bewaffneten Gruppen unterwegs. Sie haben sich alle gegenseitig belauert und geschaut, wer in die Stadt reinkommt und rausfährt. Das gilt auch für die Schmuggler, denn Kidal ist eine Hochburg für Drogen-, Menschen- und Waffenschmuggel. Die Menschen waren so verschüchtert, dass kaum jemanden mit mir reden wollte. Für Menschen, die T-Shirts mit der malischen Fahne darauf trugen, war es bereits im März gefährlich. Einwohner von Kidal sind umgebracht worden, weil sie keine Tuareg waren.

War es vorherzusehen, dass die MNLA, die Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad, Kidal wieder einnehmen würde?

Ich habe das befürchtet, weil Kidal schon seit Monaten ein Pulverfass war. Es konnte schon damals jeden Moment hochgehen. Was am letzten Wochenende passiert ist, war zu erwarten. Die Lage in Kidal ist eben anders als behauptet: Sie hat sich nicht verbessert, seit Frankreich die Islamisten vertrieben hat. Sie sind in der Masse von der Bildfläche verschwunden, aber sie haben sich in kleineren Einheiten verwandelt und agieren als Trittbrettfahrer der Tuareg-Separatisten. Ein Selbstmordattentäter hat Weihnachten 2013 vor der Bank in Kidal einen senegalesischen Soldaten der UN-Mission umgebracht. Die französischen Truppen haben immer wieder Sprengstoff-Lager gefunden. Sogar ein Trainingslager wurde entdeckt. Der Gouverneur von Kidal konnte nie in der Stadt arbeiten, er hat bis heute kein richtiges Büro dort. Im Frühjahr ist er mit den UN-Blauhelmsoldaten nach Kidal geflogen. Er musste rund um die Uhr bewacht werden, weil es jeden Moment hätte eskalieren können.

Was bedeutet die Einnahme von Kidal für die weitere Entwicklung der Lage?

Wenn man sich anschaut, dass die MNLA jetzt nicht nur Kidal kontrolliert, sondern offenbar auch andere Städte wie Tessalit, Anderamboukan, Ménaka, Aguelhoc, Anefis und sogar Léré, was südlich von Timbuktu liegt, dann stellt sich die Frage, wie weit sich die Armee noch zurückziehen will. Ist das ein taktischer Rückzug oder ist es das Eingeständnis, dass man es alleine nicht schafft? Da finde ich, muss sich der Präsident allmählich Gedanken machen und da muss auch die internationale Gemeinschaft reagieren, denn an dem Punkt waren wir in der Tat schon einmal.

Internationale Truppen sind in Mali bereits präsent. Welchen Einfluss können sie in dieser schwierigen Situation überhaupt haben?

Es ist interessant, dass die malische Armee den Angriff auf die MNLA-Rebellen in Kidal gestartet hat, ohne die Blauhelme und die französische Militärmission zu informieren. Das haben sie wahrscheinlich getan, um klarzumachen: Wir sind ein souveräner Staat und nehmen uns dieser Probleme selbst an. Ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Regierung noch länger auf die internationalen Kräfte verlassen will - auch wenn sie sich vielleicht eingesteht, dass sie momentan militärisch nicht in der Lage ist, die MNLA zu besiegen.

Die Blauhelme werden in Mali "bewaffnete Touristen" genannt: Viele Menschen haben den Eindruck, die UN-Soldaten seien nur mit der eigenen Sicherheit beschäftigt und würden nur und ab zu mal Patrouille fahren, statt sich um die Sicherheit der Malier zu sorgen. Ich habe von Menschen in Kidal und Gao gehört, dass sie von Frankreich sehr enttäuscht sind. Die Menschen fühlen sich verraten, für sie sieht es so aus, als hätten die Franzosen sich mit ihrem Militäreinsatz den Weg frei gebombt und die Islamisten verjagt. Dann aber hätten sich die Tuareg-Rebellen breit machen dürfen.

Viele Malier vermuten, dass es daran liegt, dass Frankreich sich Hilfe bei der Befreiung von Geiseln verspricht. Frankreich habe sich einwickeln lassen vom politischen Arm der MNLA, der in Frankreich bestens vernetzt ist. Was ich immer wieder gehört habe, ist, dass Frankreich einen Kuhhandel mit den Verbrechern eingegangen sei und dass Frankreich keine Freunde habe sondern nur Interessen. Es wird immer wieder spekuliert, dass Frankreich an den Bodenschätzen, die in der Region vermutet werden, interessiert sei.

Sollen neue Verhandlungen stattfinden und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Ich glaube nicht, dass man mit der MNLA verhandeln kann. Man hat über die Jahre gesehen, dass sehr viel Zeit erkauft worden ist und dass die MNLA die jeweiligen Verhandlungspartner aus Bamako hingehalten und die internationale Gemeinschaft auf ihre Seite gezogen hat. Die MNLA behauptet, für alle Tuareg zu sprechen, ein bedrohtes Volk, das unbedingt sein eigenes Territorium brauche. Das ist aber nicht der Fall. MNLA heißt nicht gleich Tuareg, das ist eine ganz wichtige Unterscheidung. Es droht jetzt wieder zu ethnischen Spannungen zwischen den schwarzafrikanischen Maliern und der arabischstämmigen Tuaregbevölkerung zu kommen. Auf kommunaler Ebene hat man stets versucht, diese Spannungen mit Hilfe der verschiedenen ethnischen Führer beizulegen. Sie könnten aber jetzt wieder aufbrechen. Die Frage ist, ob die malische Regierung gewillt ist, entschieden einzugreifen oder sich Unterstützung zu holen, um die MNLA tatsächlich zu vertreiben. Mein Eindruck ist, dass man jetzt handeln muss.

Alexander Göbel ist seit 2009 ARD-Korrespondent in Rabat. Zuvor arbeitete er bei der Deutschen Welle in Bonn, Berlin und Brüssel.

Das Interview führte Philipp Sandner.