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Grütters: "Werte jenseits der Verwertbarkeit"

Christoph Strack1. Juni 2015

Eine "Insel, die Künstler freier macht". Beim Besuch der Villa Massimo ist die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters ins Schwärmen geraten über die Möglichkeiten für deutsche Kreative. Christoph Strack aus Rom.

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Villa Massimo Rom
Bild: picture alliance/DUMONT Bildarchiv

Das großzügige Anwesen der Villa Massimo errichtete der Berliner Unternehmer Eduard Arnhold vor gut einhundert Jahren - und schenkte es dem preußischen Staat zur Künstlerförderung. Seit vielen Jahrzehnten kehren deutsche Künstlerinnen und Künstler hier ein - und dürfen einfach kreativ sein. Ermöglicht wird das durch die Jahresstipendien, die Deutschland an herausragende Kreative vergibt. Ein Landidyll in der Weltstadt Rom, für Grütters ein "Ideal der Kulturförderung".

"Lernen von den anderen"

Der Direktor der "Villa Massimo", Joachim Blüher, begrüßt Grütters als Freundin des Hauses, die auch als Parlamentarierin schon mehrfach das Gespräch mit Stipendiaten gesucht habe. Im frühen römischen Sommer trifft die Ministerin beispielsweise auf die Literatin Eva Menasse, die Architekten Jorge Sieweke und Michael Hirschbichler, die Musikerin Saskia Bladt, den Dichter Steffen Popp, den Komponisten Vassos Nicolaou. Er habe, sagt der seit 1996 in Köln lebende Zyprer Nicolaou, immer Angst gehabt, ob er überhaupt in einem Mittelmeerland komponieren könne. Die Kindheit, Erinnerungen. "Und nun? Es ist unglaublich schön. Ich kann unendlich arbeiten, 17 Stunden am Tag, von mir aus drei Monate lang", sagt der 43-Jährige. "Und ich lerne von der Kunst der anderen, den Ähnlichkeiten, den Unterschieden. So hohes Niveau. Toll."

Als Grütters den Atelier-Raum Nicolaous betritt und die Notenblätter an den Wänden sieht, fragt sie: "Welche Musik machen Sie denn genau? Können wir mal reinhören?" Momente später füllt der Klang aus Bose-Boxen den Raum. Grütters lauscht einem 80-Sekunden-Konzert. "Und das ist ganz frisch?", fragt sie. "Toll, beeindruckend." Der Rundgang führt Grütters und Rein Wolfs - den Chef der Bonner Bundeskunsthalle, der sie begleitet - unter anderem in eine Wort-Werkstube und zu Architektur-Modellen, zu frischen Gemälden und entstehenden Installationen. Ein achtminütiges Konzert bildet den Abschluss: Klavier, Gesang und Violine, alte und neue Musik.

Vassos Nicolaou
Der zyprische Komponist Vassos Nicolaou aus KölnBild: DW/C. Strack

"Freiräume gewähren"

Im Gespräch wechselt Grütters zwischen neugierigen Fragen zum kreativen Prozess und ganz grundsätzlichen Anmerkungen. "Frei sein können Künstler und Kreative nur, wenn der Staat sie schützt, wenn er ihnen Freiräume gewährt." Oder: "Kunst ist dann gut, wenn sie nicht gefallen muss." Dabei könne sie so vieles, bringe Menschen zusammen, verbinde, wo Politik und Diplomatie nicht weiterkämen, schaffe auch verbindende Werte. Und im Garten der römischen Villa stellt die Ministerin weitere Austauschmöglichkeiten für Künstler in Aussicht, auch in New York. "Der Rundgang, die Musik haben mich richtig berührt. Berühren - das ist das Wichtigste, was Kunst erreichen kann."

Schon am ersten Tag ihres Aufenthalts am Tiber betrat Grütters Neuland im Vergleich zu ihren vier Vorgängern. Auch frühere Kulturstaatsminister besichtigten die Vatikanischen Museen - und ließen sich die grandiosen Räume zeigen, in denen große Kunst unterschiedlicher Epochen, aber auch manch Mittelmäßiges aus dem 20. Jahrhundert zu sehen ist. Als erste Kultur-Beauftragte der Bundesregierung überhaupt suchte sie aber auch das Gespräch mit Spitzenvertretern der Kurie: Grütters, die selbst katholisch ist und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) angehört, traf den vatikanischen Kulturminister Kardinal Gianfranco Ravasi sowie Kardinal Giuseppe Bertello. Ravasi, einer der Intellektuellen im Kurien-Apparat, verantwortet unter anderem den kirchlichen Beitrag bei der derzeit laufenden Biennale in Venedig, Bertello leitet die Verwaltung des Vatikanstaats, kümmert sich also auch um die Museen.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters in Rom
Monika Grütters neben dem Berliner Literaten Steffen Popp, der ihr eine seiner Arbeiten erläutertBild: DW/C. Strack

Kulturnation Deutschland

Im Schatten des Petersdoms erläuterte Grütters bei einem Vortrag im Campo Santo Teutonico, einem Päpstlichen Kolleg in langer deutscher Tradition, die zentrale gesellschaftliche Bedeutung von Kultur. Diese habe beim Weg von deutscher Kleinstaaterei zum Staatenbund zum Bundesstaat "als geistiges Band eine ungeheuer große Rolle" gespielt. Diese habe sie heute auch für das kriselnde Europa. Die Kultur schaffe sinnstiftende "Werte jenseits ökonomischer Verwertbarkeit". Und auch die Kirche sorge mit geistiger Prägekraft weit über den Kreis ihrer Mitglieder hinaus für kulturelle Identität - "wie keine andere Institution".

Immer gelte: Künstler seien "Stachel im Fleisch einer Gesellschaft" und verhinderten, dass Demokratie einschlafe. Nicht allein das Attribut "Made in Germany", deutscher Fußball oder deutsche Autos trügen zum weltweit hohen Ansehen Deutschlands bei, auch die Prägung Deutschlands als Kulturnation. Dabei sei Kultur nicht das Ergebnis von Wohlstand, sondern gehe ihm voraus.

Das mag auch eine Rolle gespielt haben bei Grütters Gesprächen mit ihrem italienischen Amtskollegen Dario Franceschini. Verglichen mit den deutschen Ausgaben von 9,4 Milliarden Euro (und dem Anteil am Gesamthaushalt) ist dessen Etat viel kleiner. Seine Aufgaben im Kulturland Italien sind hingegen mindestens genau so groß. Doch sie und ihr Kollege wüssten, so Grütters, dass gerade Kultur und Kunst die Grundlage im Europa der Krise sein könnten. "Dieses Fundament ist stärker." Manch bemerkenswerten Unterschied, berichtete Grütters, habe sie im Bereich der Sprachen gelernt. Für so typisch deutsche Worte wie "Torschlusspanik" oder "Weltschmerz" habe das Italienische keine Entsprechung. Dafür kennen Italiener das Wort "abbiocco", sagte sie schmunzelnd. Es meint das ganz eigene Gefühl der zufriedenen Trägheit nach einem guten Essen. Und sucht im Deutschen seinesgleichen.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters in Rom
Abendstimmung vor der Villa Massimo in RomBild: DW/C. Strack