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Große Ratsversammlung fordert Sicherheitsabkommen

Rodion Ebbighausen24. November 2013

Die Loja Dschirga in Afghanistan hat dem umstrittenen Sicherheitsabkommen mit den USA zugestimmt. Sie fordert Präsident Karsai auf, bald zu unterzeichnen. Er zögert, obwohl viele Experten das Abkommen begrüßen.

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Mitglieder der afghanische Ratsversammlung (Loya Jirga) in Kabul, Afghanistan(Foto: Hussain Sirat DW)
Bild: Hussain Sirat

Nach viertägigen Debatten hat sich die Loja Dschirga mit überwältigender Mehrheit dafür ausgesprochen, dass US-amerikanischen Soldaten auch nach Ende des NATO-Einsatzes 2014 weiter im Land bleiben sollen. Das dafür nötige Sicherheitsabkommen sieht vor, dass die US-Streitkräfte das afghanische Militär weiter ausbilden und beraten. Rund 18.000 Soldaten sollen bleiben. Auch der Einsatz der Bundeswehr nach 2014 hängt mit an diesem Abkommen.

Manche Forderung der USA sorgen jedoch für Aufregung: So sollen sich US-Soldaten nur vor eigenen und nicht afghanischen Gerichten verantworten müssen, wenn sie strafffällig werden oder Menschenrechtverletzungen begehen.

Der 2500 Mitglieder umfassende Rat versammelt zwar die wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Akteure des Landes. Die Entscheidung der Loja Dschirga ist aber rechtlich nicht bindend. Das Sicherheitsabkommen kann daher nur in Kraft treten, wenn es die beiden Kammern des Parlaments passiert und schließlich von Präsident Karsai unterzeichnet wird.

Karsais diplomatische Manöver

"Ich gehe davon aus, dass die Zustimmung im Parlament eigentlich nur eine Formsache ist", sagt Nils Wörmer von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Kabul im Interview mit der DW. Die Autorität der Loja Jirga sei sehr groß. Ungewiss bleibt jedoch, wann und wie sich Karsai entscheiden wird. In seiner Abschlussrede stellte er klar, dass er die Entscheidung der Versammlung zwar akzeptiert, aber Bedingungen stellt: "Nur wenn es in Afghanistan einen dauerhaften Frieden gibt und die Amerikaner aufhören, afghanische Häuser zu durchsuchen, werde ich das Abkommen unterzeichnen."

Prasident Karsai auf der (Loya Jirga) in Kabul, Afghanistan (Foto: REUTERS/Omar Sobhani)
Präsident Karsai zögertBild: Reuters

Damit verweigert Karsai nach wie vor eine der zentralen Forderungen der USA, das Papier sofort zu unterschreiben, um möglichst rasch Planungssicherheit zu haben. Dem Präsidenten weht ein kräftiger Gegenwind ins Gesicht. Ein Sprecher der US-Botschaft in Kabul sagte, die USA seien weiter der Ansicht, "dass es beiden Ländern nutzen wird", wenn das Abkommen so schnell wie möglich verabschiedet werde.

Nicht nur die USA drängen, auch der Vorsitzende der Loja Dschirga, Sebghatullag Mojadidi, drohte unverblümt: "Wenn Karsai das Sicherheitsabkommen nicht unterschreibt, werde ich in zwei bis drei Tagen von allen Ämtern zurücktreten und Afghanistan verlassen." In jedem Fall ist die Entscheidung der Versammlung ein sehr starkes Signal, meint der Leiter der KAS in Kabul, Wörmer: "Der Empfehlungscharakter der Loja Dschirga ist so stark, dass Karsai sich nur schwer darüber hinwegsetzen könnte."

Mitglieder auf der Loya Jirga in Kabul, Afghanistan (Foto: MASSOUD HOSSAINI/AFP/Getty Images)
Die Mitglieder waren fast einstimmig für das AbkommenBild: MASSOUD HOSSAINI/AFP/Getty Images

Vielen Beobachtern, so Wörmer, sei nicht ganz klar, welche Strategie Karsai verfolgt. Bereits am 7. Oktober 2013 stellte der afghanische Präsident in einem Interview mit der BBC sämtliche Erfolge des NATO-Einsatzes in Afghanistan infrage. "Das haben auch viele afghanische Beobachter mit Kopfschütteln kommentiert", so Wörmer. Im Vorfeld und Verlauf der Loja Dschirga hatte Karsai immer neue Bedingungen gestellt, und sogar ein Scheitern des Abkommens nicht ausgeschlossen. Wörmer vermutet, Karsai wolle damit ein möglichst gutes Verhandlungsergebnis mit den Amerikanern erzielen und die Souveränität Afghanistans unterstreichen. Die Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) in Kabul Marion Regina Müller sieht noch einen weiteren Aspekt. "Karsai hat das getan, weil er die Verantwortung von sich auf andere verteilen wollte".

Die richtige Entscheidung aus westlicher Sicht

Viele Beobachter begrüßen das Votum der Loja Dschirga. "Für die Sicherheit und die weitere Entwicklung des Landes, insbesondere die Finanzierung der Sicherheitskräfte ist das Abkommen ein sehr wichtiger Schritt", sagt Müller von der HBS. Vielleicht noch größer sei aber die Bedeutung des Abkommens für die zivilgesellschaftliche Entwicklung: "Die Entscheidung ist in erster Linie wichtig für viele Akteure der Zivilgesellschaft, die sich etwa für Menschenrechte einsetzen. Diese Entscheidung ermöglicht, dass sie ihre Arbeit fortsetzen können."

US-Soldaten in Afghanistan auf Patrouille (Foto JANGIR/AFP/Getty Images)
US-Soldaten in AfghanistanBild: AFP/Getty Images

"Befürworter sehen, dass an dem Militäreinsatz die weitere zivile Hilfe, aber auch die Finanzierung ihrer eigenen Sicherheitskräfte hängt", ergänzt ihr KAS-Kollege Wörmer. Der afghanische Staat sei alleine nicht überlebensfähig und könne sich der Einmischung seiner Nachbarstaaten und der Bedrohung durch Aufständische nicht erwehren. Deswegen spürt er bei vielen Afghanen Erleichterung über die Haltung der Loja Dschirga. Aber es gibt auch Gegner des Abkommens. Kritiker des Sicherheitsabkommens befürchteten, dass die Anwesenheit der US-Amerikaner den Krieg weiter in die Länge ziehen könnte.

Gemischte Gefühle in Pakistan

Die Reaktionen aus Pakistan, das als Nachbarland und Rückzugsgebiet der Taliban die Kabuler Ratsversammlung genau beobachtet, sind gemischt. Israrullah, der Sprecher der konservativen Partei Jemaat-e-Islami, fordert: "Wir wollen, dass alle US- und NATO-Streitkräfte Afghanistan verlassen." Und fährt fort: "Die Entscheidung der Loja Dschirga ist von den US-Amerikanern diktiert worden." Der Afghanistanspezialist Usman Qazi verneint das im Interview mit der DW: "Es ist lächerlich, zu behaupten, dass Hunderte von Delegierten der Loja Dschirga, die verschiedene Stämme Afghanistans repräsentieren, von den USA zu dieser Entscheidung gezwungen wurden. Es gibt keinen Grund für Islamabad, gegen die Entscheidung vorzugehen. Wie jeder souveräne Staat hat Afghanistan das Recht, seine eigenen Entscheidungen zu treffen."