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Entschädigungen für Kenianer

Sarah Steffen8. Juni 2013

Großbritannien wird mehr als 5000 Kenianer entschädigen, die während der Kolonialzeit im Kampf für die Unabhängigkeit misshandelt und gefoltert wurden. Andere ehemalige Kolonien könnten nun ebenfalls Forderungen stellen.

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Vier Kenianer demonstrieren mit Plakaten (Foto: ddp images/AP Photo/Lefteris Pitarakis)
Bild: AP

Ein jahrelanger Rechtsstreit geht zu Ende: Die britische Regierung hat den Opfern des Mau-Mau-Aufstandes während der britischen Kolonialherrschaft Entschädigungszahlungen versprochen. Insgesamt will Großbritannien 19,9 Millionen Pfund (umgerechnet 23,4 Millionen Euro) an mehr als 5000 Kenianer auszahlen.

Der Mau-Mau-Aufstand begann in den 1950er Jahren, als Kenianer sich gegen die britische Kolonialherrschaft auflehnten. Sie hatten ihr Land zurückgefordert und Siedler angegriffen; die Kolonialmacht schlug brutal zurück. Der Aufstand führte letztlich zu Kenias Unabhängigkeit 1963. Die Opferzahlen sind unklar: Niedrig angesetzte Schätzungen gehen von mindestens 10.000 Toten aus; nach Angaben von kenianischer Regierung und kenianischen Menschenrechtsorganisationen wurden 90.000 Menschen getötet, gefoltert oder verstümmelt. Viele der Opfer hatten sich nicht am bewaffneten Aufstand beteiligt, sondern lediglich den Kämpfern geholfen.

"Die Regierung erkennt an, dass Kenianer Folter und anderen Misshandlungen durch die Kolonialverwaltung ausgesetzt waren", sagte Großbritanniens Außenminister William Hague am Donnerstag (06.06.2013) vor dem britischen Unterhaus. "Die britische Regierung bedauert es sehr, dass diese Misshandlungen geschahen und dass sie den Unabhängigkeitsprozess Kenias verlangsamt haben", sagte Hague. Er vermied aber eine direkte Entschuldigung.

Bestätigung für die Mau-Mau-Veteranen

Die Entschädigung geht an 5228 Opfer, die von einer Londoner Anwaltskanzlei vertreten werden. Den Weg ebnete eine kleine Gruppe von kenianischen Mau-Mau-Veteranen, die vor dem Obersten Gericht gegen die britische Regierung geklagt hatten. Zunächst hatte Großbritannien argumentiert, dass der kenianische Staat für solche etwaigen Zahlungen aufkommen müsse. Denn die Zuständigkeiten dafür seien im Rahmen der Unabhängigkeit 1963 an die Republik Kenia übergegangen. Im Oktober 2012 sprach das Londoner Gericht den Mau-Mau-Veteranen jedoch ein Klagerecht zu. Ihre Anwälte hatten vor Gericht vorgetragen, ihre Mandanten seien kastriert, sexuell misshandelt und gefoltert worden.

Der Verein der Mau-Mau-Veteranen begrüßte das Einlenken der britischen Regierung und deren Entscheidung, Entschädigungszahlungen zu leisten. "Dies ist ein Moment des Stolzes für uns und der Beginn der Aussöhnung zwischen den Mau-Mau und der britischen Regierung", sagte Gitu wa Kahengeri, Sprecher der Veteranenvereinigung. "Kein Geld der Welt reicht aus, um die Qualen, die wir durchlitten haben, abzugelten. Aber wir akzeptieren das Angebot."

Historisches Bild mit verhafteten Kenianern (Foto: Keystone/Hulton Archive/Getty Images)
Während der Kolonialzeit griff Großbritannien hart gegen die Mau-Mau-Kämpfer durchBild: Getty Images

Auch der Anwalt der ehemaligen Mau-Mau-Kämpfer, Paul Muite, betonte, dass es gut sei, endlich einen Kompromiss geschlossen zu haben - schon allein aufgrund des Alters seiner Mandanten. Die meisten der Opfer seien inzwischen 80 bis 90 Jahre alt. "Hätten wir das Angebot abgelehnt, hätte das bedeutet, dass der Prozess weitere fünf bis zehn Jahre gedauert hätte", sagte Muite der DW. Veteranensprecher Kahengeri betonte, die Zahlungen seien endlich die Bestätigung dafür, dass die Mau-Mau-Veteranen für die Unabhängigkeit gekämpft hätten und keine Terroristen waren. "Wir haben sehr lange darauf gewartet, dass die Briten sagen: 'Was wir in Kenia gemacht haben, war falsch.'"

Ein Präzedenzfall für andere ehemalige Kolonialmächte?

Trotz der Zahlungen und einem Ausdruck des Bedauerns seien die Kompensationen keine Blaupause für weitere Fälle, sagte der britische Außenminister Hague. "Wir glauben nicht, dass diese Entschädigung einen Präzedenzfall schafft in Bezug auf andere ehemalige Kolonialverwaltungen."

Diese Sichtweise wird nicht von allen geteilt. Mark Stephens, Menschenrechtsanwalt in Großbritannien, sieht durchaus die Möglichkeit eines Schneeballeffektes. "Wir werden sicher sehen, dass weitere Ansprüche erhoben werden", sagte Stephens der DW. Es gehöre zum Heilungsprozess, dass jemand im Namen der Regierung anerkennt, dass falsch gehandelt wurde, sagte der Anwalt. "Die finanzielle Entschädigung ist dabei nur ein Teil des Ganzen." Vor allem Frankreich könne wegen "systematischer Folter" während der Kolonialzeit in Algerien Probleme bekommen, so Stephens.

Historisches Foto eines Gefängnislagers (Foto: Evening Standard/Getty Images)
Die genauen Opferzahlen sind unklar - tausende wurden misshandelt, gefoltert und getötetBild: Getty Images

Aber auch auf Großbritannien könnten weitere Entschädigungszahlungen zukommen. Entsprechende Forderungen aus den ehemaligen Kolonien Zypern und Malaysia gibt es bereits; weitere Klagen werden erwartet. Und auch im Fall der Mau-Mau-Kämpfer sei das letzte Wort noch nicht gesprochen, sagte Stephens. "Laut einigen Anwaltskanzleien hat diese Zahlung noch lange nicht alle Ansprüche erfüllt." Er verweist auf eine Kanzlei, die ebenfalls mit dem Fall betraut ist. "Deren Anwälte vertreten weitere 8000 Kenianer, die bislang in den Entschädigungszahlungen nicht berücksichtigt wurden."