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Griechen sollen über Rettungspaket abstimmen

1. November 2011

"Ein Akt der Demokratie": So hat der griechische Regierungschef Papandreou seine EU-Partner überrascht. Wenige Tage nach dem EU-Gipfel kündigte er ein Referendum zum Rettungsplan an. Nun brechen die Börsenkurse ein.

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Der griechische Ministerpräsident Papandreou (Foto: dapd)
Griechenlands Ministerpräsident PapandreouBild: dapd

Ministerpräsident Papandreou äußerte sich am Montagabend (31.10.2011) bei einer Sitzung der sozialistischen Fraktion in Athen. Die Bürger sollten befragt werden, ob sie den neuen Hilfszusagen der internationalen Geldgeber zustimmen wollten oder nicht. Der Ministerpräsident will sich zudem einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen. Eine genaue Terminplanung gab Papandreou noch nicht bekannt. "Es ist für das Volk ein höchst demokratischer und höchst patriotischer Schritt, seine eigene Entscheidung zu fällen", sagte Papandreou. "Wir vertrauen den Bürgern. Wir glauben an ihr Urteilsvermögen."

Viele Fragen offen

Für Beobachter sind nun viele Fragen völlig offen. Wann soll das Referendum stattfinden und wie genau lautet die Fragestellung? Und: Welche Konsequenzen hat es, wenn die Mehrheit der Bevölkerung Nein sagt? Manche Korrespondenten gehen davon aus, dass Griechenland in diesem Fall dann doch den Euro-Raum verlassen könnte oder müsste.

Griechenlands Finanzminister Evangelos Venizelos (Foto: dapd)
Eine Folge des Oppositionskurses? Finanzminister VenizelosBild: dapd

Das Vorgehen Papandreous hat vor allem innenpolitische Gründe. Denn der sozialistische Regierungschef hat sich über die Monate der Krise den Ärger des Volkes zugezogen. Die andauernden Proteste gegen den Sparkurs sind ein Beweis dafür. Der innenpolitische Rivale des Regierungschefs, Andonis Samaras von der konservativen Nea Dimokratia, verweigert sich bislang jeder Kooperation bei der Sanierung der Staatsfinanzen.

Griechenlands inzwischen über die Grenzen seiner Heimat hinaus bekannter Finanzminister Evangelos Venizelos verwies denn auch in seiner Begründung für das Referendum auf das Verhalten der Nea Dimokratia. Die Entscheidung für die Volksabstimmung sei gefallen, nachdem sich die Opposition ein ums andere Mal geweigert habe, sich bei den Verhandlungen mit den anderen Euro-Staaten an die Seite der Regierung zu stellen. Venizelos fügte hinzu: "Natürlich können die Griechen Nein sagen. Sie müssen dabei aber die Konsequenzen dieser Entscheidung vor Augen haben."

Bundeskanzlerin Angela Merkel nach den Beratungen auf dem letzten Euro-Krisengripfel (Foto: dapd)
Was sind ihre Verhandlungsergebnisse nun noch wert? Kanzlerin Merkel beim Gipfel in BrüsselBild: dapd

Vor dem europäischen Krisentreffen am vergangenen Mittwoch hatte es erneut Spekulationen über Neuwahlen gegeben. Doch derzeit könnte möglicherweise keine der beiden großen Volksparteien mit einer ausreichenden Stimmenzahl für die Bildung einer eigenen Koalition rechnen. Papandreous Regierungsmehrheit im Parlament von Athen ist inzwischen auf drei Sitze geschrumpft.

Die 17 Staats- und Regierungschefs der Eurozone hatten unter anderem ein neues 100-Milliarden-Euro-Hilfspaket für Griechenland beschlossen. Private Gläubiger wie Banken und Versicherer verzichten nun auf die Hälfte ihrer Forderungen. Die Euro-Staaten sichern den Schuldenschnitt mit neuen Garantien ab.

Viele Griechen fürchten nun Jahre der Einschränkungen und eine strenge Kontrolle durch die internationalen Gläubiger. Nach den Plänen des Euro-Gipfels soll die Verschuldung Griechenlands bis 2020 auf tragfähige 120 Prozent der Wirtschaftsleistung gesenkt werden. Für 2012 werden 170 Prozent vorhergesagt. Nach den Regeln der Währungsunion sind nur 60 Prozent erlaubt.

Überraschung in Berlin

In Berlin wurde die Bundesregierung von den Plänen des griechischen Ministerpräsidenten für das Referendum offensichtlich überrascht. Das Finanzministerium erklärte, es handele sich um eine innenpolitische Entwicklung, über die der Bundesregierung bisher noch keine offiziellen Informationen vorlägen und die sie deshalb auch nicht kommentiere.

Am Morgen schloss der FDP-Fraktionsvorsitzende und frühere Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle einen Staatsbankrott Griechenlands für den Fall eines Neins der Bevölkerung zum Rettungspaket nicht aus. Den jüngsten Schritt von Ministerpräsident Papandreou bezeichnete Brüderle als "seltsames Vorgehen".

Aktienmärkte zeigen sich verschreckt

Ungehalten zeigte sich der finnische Europaminister Alexander Stubb. Er sagte, eine solche Abstimmung in der derzeit angespannten Situation wäre faktisch auch ein Referendum über die griechische Mitgliedschaft in der Euro-Zone.

Die Aktienmärkte in Europa reagierten nervös auf die Ankündigung aus Athen. Der deutsche Leitindex Dax stürzte in der Spitze am frühen Nachmittag mehr als sechs Prozent ab - auf 5762 Punkte. Alle 30 Dax-Titel waren in der Verlustzone. Am heftigsten traf es Bankaktien.

Der Ministerpräsident Griechenlands hatte in einer Fernsehansprache am vergangenen Donnerstag bereits versucht, die Ängste der Bevölkerung zu zerstreuen. "Wenn wir diese Schlacht gewonnen haben, da bin ich optimistisch, werden wir gemeinsam ein produktives Griechenland schaffen", sagte Papandreou. Die Volksabstimmung, die er nun angekündigt hat, wäre die erste in Griechenland seit 1974. Damals hatten sich die Griechen nach dem Sturz der Militärdiktatur gegen eine Monarchie ausgesprochen.

Autor: Marko Langer (mit dpa, rtr, dapd)
Redaktion: Rolf Breuch/Reinhard Kleber