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Ein Grammy für die Deutsche Oper Berlin?

Hans Christoph von Bock
12. März 2021

In der Kategorie "Best Opera Recording" kann sich Berlins größtes Musiktheater mit der Märchenoper "Der Zwerg" Hoffnungen auf die begehrte Trophäe machen.

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Schauspieler Mick Morris Mehnert und Tenor David Butt Philip in einer Szene aus "Der Zwerg": Zwei Männer in weißen Hemden und Anzughosen vor umgestürzten Stühlen
Schauspieler Mick Morris Mehnert und Tenor David Butt Philip in einer Szene aus "Der Zwerg"Bild: Deutsche Oper Berlin

Der letzte Grammy für die Deutsche Oper Berlin liegt fast ein halbes Jahrhundert zurück. Orchester und Chor der Oper erhielten unter dem Dirigenten Karl Böhm 1966 den begehrten US-amerikanischen Musikpreis für die Aufnahme von Alban Bergs "Wozzeck". Mit dabei die Stars Dietrich Fischer-Dieskau und Fritz Wunderlich sowie die US-amerikanische Sopranistin Evelyn Lear. Die damals prämierte Aufnahme ist noch heute im Handel.

Jetzt kann sich Berlins größtes Musiktheater erneut Hoffnung auf einen Grammy machen. Die gefeierte Inszenierung der Märchenoper "Der Zwerg" von Alexander Zemlinsky unter der Regie von Tobias Kratzer ist in der Kategorie "Best Opera Recording" nominiert. Die Leitung hat Sir Donald Runnicles, seit 2009 Generalmusikdirektor der Deutschen Oper. Auf DVD ist die Aufnahme bei NAXOS erschienen.

Konkurrenz kommt aus New York

Das Orchester auf der Bühne wild gestikulierend, im Vordergrund Mick Morris Mehnert als "Zwerg"
Der Zwerg: Bei der innovativen Inszenierung spielt das Orchester auch auf der BühneBild: Deutsche Oper Berlin

Eine Nominierung gab es unter der Leitung von Sir Donald Runnicles bereits 2015 für die Einspielung von Leoš Janáčeks "Jenufa". Regisseur Christof Loy hatte das Operndrama um Kindsmord, Schuld und Sühne psychologisch feinsinnig in Szene gesetzt. Für eine Grammy-Auszeichnung reichte es damals allerdings nicht.

Diesmal könnte es klappen, auch wenn die Konkurrenz in der Kategorie "Beste Opernaufnahme" groß ist. So ist die New Yorker Metropolitan Opera mit der Einspielung von Gershwins Klassiker "Porgy and Bess" vertreten. Die Deutsche Oper kann im Rennen um den international wichtigsten Musikpreis allerdings mit einer Rarität aufwarten: Der Operneinakter "Der Zwerg" von Alexander Zemlinsky gehört nicht gerade zum Standardrepertoire der Opernhäuser.

"Der Zwerg" – Gute Aussichten auf den Grammy

Alexander Zemlinsky komponierte das Werk 1921 nach dem Märchen "Geburtstag der Infantin" von Oscar Wilde. Da der Einakter nur knapp anderthalb Stunden lang ist, wird er meist mit anderen kurzen Stücken kombiniert. Bei der Aufnahme der Deutschen Oper Berlin erklingt zusätzlich Arnold Schönbergs "Begleitmusik zu einer Lichtspielszene". Das Stück dient quasi als Vorspiel für die Geschichte vom kleinwüchsigen Hofnarren, der einer Prinzessin zum Geschenk gemacht wird.

Frauen tanzen mit bunten Luftballons, Szene aus "Der Zwerg" von Alexander Zemlinsky
Geburtstagsparty für die Prinzessin Donna Clara (Elena Tsallagova, Mitte)Bild: Deutsche Oper Berlin

Man feiert den 18. Geburtstag der Thronfolgerin am spanischen Hof. Der Zwerg, ausgestattet mit einer prächtigen Singstimme (Tenor David Butt Philip), ist angetan von der Schönheit der Prinzessin und versucht, sie mit seiner Kunst für sich zu gewinnen. Doch sie benutzt ihn nur als "Spielball". Niemand erzählt ihm von seiner körperlichen Andersartigkeit. Alle tun so, als sei er normal - bis der Zwerg sich zum ersten Mal in einem Spiegel sieht und angesichts der Realität tot zusammenbricht.

Geburtstagsparty im Konzertsaal

Regisseur Tobias Kratzer, 2020 von der Fachzeitschrift "Opernwelt" zum Regisseur des Jahres gewählt, holt das Stück in die Gegenwart. Er sieht darin weniger das individuelle Künstlerdrama, als vielmehr eine gesellschaftliche Zustandsbeschreibung. "Alle Figuren, nicht nur der Zwerg, haben diese große Diskrepanz zwischen ihrem Selbstbild und ihrem Fremdbild", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Oper. "Es geht darum, wie sie wahrgenommen werden wollen, wie sie denken, dass sie wahrgenommen werden – und wie die anderen sie wirklich wahrnehmen."

Der kleinwüchsige Mick Morris Mehnert und Tenor David Butt Philip stehen vor einer Spiegelwand
Der Spiegel der Realität: Mick Morris Mehnert als Zwerg und Tenor David Butt Philip als sein TrugbildBild: Deutsche Oper Berlin

Kratzer verlegt die Geburtstagsparty vom Königspalast in einen heutigen Konzertsaal, platziert das Orchester teilweise auf der Bühne und lässt die Prinzessin (Elena Tsallagova als Donna Clara) und ihre Freundinnen im stylischen Look auftreten. Und er besetzt die Titelpartie doppelt: mit einem Tenor und mit einem kleinwüchsigen Schauspieler. "Das war für mich der Weg, die im Inneren angesiedelte Konfliktsituation theatral zu machen", sagt Kratzer. Dass dieser Besetzungstrick gelang, ist vor allem der großartigen Darstellung von Mick Morris Mehnert als Zwerg und der außergewöhnlichen Gesangsleistung des US-amerikanischen Tenors David Butt Philipp zu verdanken.

Deutsche Oper Berlin berühmt für Wagner

Das Opernhaus in der Bismarckstraße, im Westteil Berlins, ist mit 1859 Sitzplätzen eines der größten Theater Deutschlands und neben der Komischen Oper und der Staatsoper Unter den Linden das größte in Berlin. Nicht zuletzt wegen seiner Orchestergröße bilden Opern der Komponisten Puccini, Verdi, Strauss und Wagner das Kernrepertoire der Deutschen Oper.

Gebäude Deutsche Oper Berlin von außen
1961 neu aufgebaut: Die Deutsche Oper BerlinBild: Deutsche Oper Berlin

Gerade die Wagner-Aufführungen sorgen für internationales Renommee. Hinzu kommt die enge Beziehung zu den Bayreuther Festspielen. Dort stellt die Deutsche Oper jedes Jahr die meisten Musiker des Festspielorchesters. Wagner-Urenkelin Katharina inszenierte in Berlin 2006 Puccinis "Il Trittico". "Der Ring des Nibelungen", 1986 von Generalintendant Götz Friedrich inszeniert, galt lange als Referenz-"Ring" für die Interpretation der Wagner-Tetralogie.

Jetzt, 35 Jahre nach der legendären Interpretation durch Götz Friedrich, schmieden Generalmusikdirektor Sir Donald Runnicles und Regisseur Stefan Herheim einen neuen Ring. "Rheingold" und "Walküre" fanden bereits unter Corona-Bedingungen statt. Am 18. April soll nun "Siegfried" Premiere feiern.

Die Grammys werden am 14. März 2021 verliehen. Vielleicht kann die Deutsche Oper Berlin dann einen zweiten Grammy für ihre mutige Wiederentdeckung und zeitgemäße Interpretation der selten gespielten Musiktheater-Perle, Zemlinskys "Der Zwerg", nach Hause holen.