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Gündervater der Sinologie

4. März 2010

Vor 100 Jahren trat Otto Franke die erste ordentliche Professur für Sinologie an. Bis dahin wurde China in Deutschland kein Platz in der Weltgeschichte zugestanden. Otto Franke gelang es, diese Sicht zu korrigieren.

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Otto Franke besucht ein Kloster auf der Insel PutoBild: Staatliche Museen zu Berlin

Ihren Großvater, den Pionier, hat sie nie kennengelernt. Er starb, kurz bevor sie geboren wurde. Renata, die Wiedergeborene, haben ihre Eltern sie daher genannt. Und Fu-sheng, das heißt "im Geiste ihres Großvaters". Renata Fu-sheng Franke ist später als Wissenschaftlerin in seine Fußstapfen getreten. Sie hat über das chinesische Bildungssystem promoviert. Mit 64 ist sie eine gepflegte Erscheinung mit graumeliertem Haar und, bei genauem Hinsehen, asiatischen Gesichtszügen.

Ihre Mutter war Chinesin, ihr Vater ein geachteter Sinologe - im Hamburg der fünfziger Jahre war das äußerst exotisch. Und wenn sie sich zurückerinnert, fallen ihr Geschichten ein wie diese: "In China galt ja Rot, die Farbe der Freude, und die Kinder wurden immer gern rot angezogen. Und ich hatte eine deutsche Tante, die einen starken Einfluss auf die Erziehung hatte, und meinte, ich müsste mich mehr deutsch orientieren und mir immer graue und dunkelblaue Sachen kaufte".

Otto Frankes Vermächtnis

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Personal des kaiserlichen Konsulats in Tianjin, Sommer 1890. Otto Franke sitzt rechts.Bild: Staatliche Museen zu Berlin

Die Frankes sind eine Sinologen-Familie. Otto Franke, der Großvater, beschäftigte sich schon mit China, als kaum jemand der Ansicht war, dass das ostasiatische Land tatsächlich die Aufmerksamkeit des wissenschaftlichen Betriebs verdient. Mechthild Leutner, Professorin für Sinologie an der Freien Universität Berlin, hält ihn bis heute für maßgeblich für ihr Fach.

Franke war einer der ersten Professoren für Sinologie gewesen. "Er war in seiner konzeptionellen Auffassung, die er hauptsächlich in den zwanziger Jahren entwickelt hat, faktisch seiner Zeit voraus. Bis dahin war es an den Universitäten lediglich üblich, sich mit den klassischen chinesischen Texten zu befassen." Otto Franke dagegen setzte durch, dass seine Studenten auch Chinesisch sprechen lernten und sich mit Chinas Geschichte, Philosophie und Alltagskultur auseinandersetzten.

Verständnis für China

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Otto Franke auf Reisen in ChinaBild: Staatliche Museen zu Berlin

Nicht weit vom Institut für Sinologie an der FU Berlin liegt das Museum für Ostasiatische Kunst. Dort führt Renata Franke durch eine Ausstellung über ihren Großvater. Auf einem der vielen Bilder sind drei schnauzbärtige Deutsche vor einem riesigen Glas Bier zu sehen, im Garten des deutschen Konsulats in der Hafenstadt Tianjin. Die Deutschen sitzen, die Chinesen stehen. Ein typisches Bild der kolonialen Gesellschaft, zu der Otto Franke, der damals Dolmetscher im Dienst des deutschen Kaisers war, nie so ganz passte.

Er sei bei den Deutschen nicht sehr beliebt gewesen, erzählt die Enkelin Renata Franke. "Weil er sich sehr für China interessierte. Und zuviel Sympathie mit den Chinesen zu haben, war verpönt." Umso mehr sei er von den Chinesen geschätzt worden. Zum Beispiel für seine Leistung als Dolmetscher bei den Verhandlungen zwischen China und dem Deutschen Reich über das Pachtgebiet Jiaozhou. Die Deutschen hatten die Küstenregion um die Hafenstadt Qingdao 1897 besetzt und wollten sie als Kolonie. Die Deutschen wollten eine Abtretung des Gebietes. Dagegen habe ihr Großvater erreicht, dass es stattdessen ein Pachtgebiet wurde. "Ein großer Unterschied", betont Renata Franke.

Ein Geschichtswerk über ein "geschichtsloses" Land

Renata Fu-Sheng Franke in der Ausstellung über ihren berühmten Großvater. Foto: Rebecca Roth 100 Jahre Sinologie
Renata Fu-Sheng Franke in der Ausstellung über ihren berühmten Großvater. Bild: Rebecca Roth

Land für 99 Jahre zu verpachten, entsprach der chinesischen Tradition. Das wusste Otto Franke, der der chinesischen Kultur mit Hochachtung begegnete. Diese Sicht wollte er weitervermitteln. Denn bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts wurde China in Deutschland kein Platz in der Weltgeschichte zugestanden. Der Philosoph Hegel hatte China im 19. Jahrhundert als "geschichtsloses" Land bezeichnet und mit diesem Urteil viele Anhänger gefunden.

Otto Franke konnte das mit seinen Veröffentlichungen korrigieren. Sein fünfbändiges Werk zur chinesischen Geschichte wurde zur Grundlage für Generationen von Sinologie-Studenten. Nicht zuletzt deswegen gilt Otto Franke bis heute als großer Sinologe.

Autorin: Rebecca Roth

Redaktion: Mathias Bölinger

Die Ausstellung "Kulturbilder aus China - 100 Jahre deutsche Sinologie. Sammlungen und Werke von Otto Franke (1863-1946)" ist bis zum 24. Mai 2010 im Museum für Ostasiatische Kunst in Berlin-Dahlem zu sehen.