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Good Bye, Lenin! Man sieht sich

Wladimir Kaminer12. Februar 2003

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller, Essayist und Cineast. Für DW-WORLD schreibt er von der Berlinale. Diesmal hat er sich "Good Bye, Lenin!" angesehen, und schlägt vor, die DDR zum Weltkulturerbe zu ernennen.

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Will das deutsche Kino für die nächsten hundert Jahre retten: Wladimir KaminerBild: Wladimir Kaminer

Von den drei deutschen Filmproduktionen, die im Wettbewerbsprogramm der 53. Berlinale laufen, ist "Good Bye, Lenin!" von Wolfgang Becker mein Favorit - eine neue traurige Komödie zum Thema "Tatort DDR": Eine ältere Frau, die an die sozialistischen Ideale glaubt, bekommt einen Schlaganfall und fällt 1989 ins Koma, weil sie zufällig sieht, wie ihr Sohn bei einer Demonstration von der Staatssicherheit verprügelt wird. Als sie wieder zu sich kommt, gibt es keine DDR mehr. Die Ärzte sagen jedoch, die Mutter darf sich nicht aufregen. Also verheimlicht der Sohn Alex ihr die Wahrheit, und baut für seine Mutter innerhalb ihrer Wohnung die alte DDR wieder auf. Er geht sogar soweit, dass er für seine Mutter das ostdeutsche Fernsehen nachstellt, junge Pioniere ins Haus holt und sich die Original-Verpackungen für DDR-Lebensmittel beschafft.

Die DDR als Kunstwerk

Die Mutter tut so, als würde sie ihm das alles glauben. Als sie wieder laufen kann, wird es für ihre Familienangehörigen immer komplizierter, die Realität von der Mutter fernzuhalten, und in allen Fenstern die strahlende Gegenwart zu wegzuerklären. Mal sagen sie zu der Mutter, sie habe die falschen Pillen genommen, ein anderes Mal erzählen sie, die Mauer sei doch geöffnet worden, aber anders herum: Damit die Westler rüber in den Osten fliehen können. Am Ende regt sich die Mutter aber doch noch auf, als sie sieht, wie der Kopf des Lenin-Denkmals am Platz der Vereinten Nationen von einem Hubschrauber abtransportiert wird.

Je mehr Zeit vergeht, desto spannender scheint dieses abgeschlossene sozialistische Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte zu sein. Es entstehen immer tollere Drehbücher, die sich mit der DDR beschäftigen, und immer mehr Künstler aus dem Westen, wie es bei "Good Bye, Lenin!" der Fall ist, wollen sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Ein Grund dafür ist, dass der westeuropäische Kapitalismus langweilig und ereignislos ist, also keinen Stoff für ein spannendes Drehbuch mehr hergibt. Anders als sein großer amerikanischer Bruder, der im alltäglichen Leben dafür sorgt, dass die Bürger ständig ausflippen, mit Gewehren um sich schießen, tonnenweise Drogen konsumieren, blitzschnell steinreich oder umgekehrt sauarm werden, alte und neue Autos zu Schrott fahren, in Gefängniszellen rappen, Kriege in Vietnam, Irak, Afghanistan und sonst wo führen müssen und auf diese Weise fleißig Stoff für immer neue Hollywood-Filme liefern. Im nachdenklichen halbsozialistischen Euro-Kapitalismus ist dagegen seit fünfzig Jahren außer gelegentlichen Konjunkturdellen nichts los. Richtig spannend war nur eben diese eine Sache - mit der DDR.

Ost-Berlin in Köln nachgebaut

Es ist zwar schon eine Weile her und es wird immer teurer, die ostdeutsche Republik nachzustellen, aber es lohnt sich. Ein guter Bekannter von mir, Christoph Silber, der als Ost-Experte und Schreibtalent für die Endfassung des Drehbuches zuständig war, erzählte, obwohl das Berliner Zimmer der Mutter in einem Kölner Studio nachgebaut wurde, weil der Film von Nordrhein-Westfalen gefördert wurde, mußten sie trotzdem das Budget überziehen: Um eine 1989er-Demonstration in Berlin einigermaßen realistisch hinzukriegen. Und natürlich, um den Lenin-Kopf per Hubschrauber wirklich über die Frankfurter Allee fliegen zu lassen. Dafür mußten sie halb Ost-Berlin absperren und einen Hubschrauber anmieten. Dann rief der Pilot an, seine Maschine würde nicht starten. Zum Glück besaß der Freund der Regieassistentin privat einen, eine halbe Stunde später flog er schon los - über die Frankfurter Allee. Der Lenin-Kopf wurde dann digital im Studio dazugebastelt. So ist unsere Gegenwart, es läßt sich alles mögliche herzaubern, die Technik steht zur Verfügung, Hubschrauber, Wasserwerfer, Panzer und Flugzeuge, Coca-Cola bis zum Abwinken - nur wirft sie eben keine spannenden Geschichten mehr ab.

Wo sind die Bösen? Und wo die Guten? Deswegen hat die DDR als Kunstobjekt eine große Perspektive. Man muß endlich aufhören, die Leute in den neuen Bundesländern permanent mit der Arbeitsmarktpolitik zu nerven und sollte stattdessen die ganze ehemalige Republik von den Vereinten Nationen als Weltkulturerbe anerkennen lassen: Die Plattenbauten, die leerstehenden Betriebe, die landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaften, Kulturhäuser und Eisdielen sollten sorgfältig renoviert und zu Museen erklärt werden. Für das Betreten der ehemaligen DDR kann man Eintritt nehmen, und allen Leuten aus dem Osten eine Rente von diesem Geld verschaffen, dafür ihre Biographien verfilmen, eine nach der anderen. Dann ist das deutsche Kino für weitere hundert Jahre gerettet.