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"Goethe" und die arabische Revolution

26. Mai 2011

Nach der Euphorie der arabischen Revolution kommt der Alltag, auch für die Kunst. Für die Goethe-Institute der Region ist das eine besondere Herausforderung. "Goethe"-Präsident Klaus-Dieter Lehmann im Interview.

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Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts (Copyright: Goethe-Institut)
Bild: Goethe-Institut

Bei den Umstürzen in der arabischen Welt spielen Künstler und Kulturschaffende eine wichtige Rolle. Ihre Arbeit unterstützt das Goethe-Institut in Orten wie Kairo, Alexandria und Tunis schon lange. Doch was bedeuten die Revolutionen in der arabischen Welt für die auswärtige Kulturpolitik Deutschlands? Was kann das Goethe-Institut in dieser Situation sinnvoll tun? Ein Gespräch mit dem Präsidenten Klaus-Dieter Lehmann.

Deutsche Welle: Herr Professor Lehmann, die arabische Welt ist im Umbruch - auch die Kunst- und Kulturszene. Wie kann das Goethe-Institut diesen Prozess unterstützen?

Klaus-Dieter Lehmann: Für uns alle war überraschend, dass diese Revolution in Ägypten und Tunesien sehr stark über Kultur-Akteure und Künstler getragen wird. Auf dem Tahrir-Platz in Kairo, von dem das Goethe-Institut nur 50 Meter entfernt ist, sieht man Straßentheater, Sänger, Maler und Tänzer. Etliche dieser Leute kommen zu uns ins Goethe-Institut, weil wir da eine "Tahrir-Lounge" eingerichtet haben.

Massenprotest: Kairo im Mai(Foto: picture-alliance/dpa)
Massenprotest: Kairo im MaiBild: picture-alliance/dpa

Wir haben eigentlich nur einen Raum zur Verfügung gestellt, aber viele Künstler kennen ihn, weil sie vorher schon als Goethe-Instituts-Hörer, als Zuschauer oder Sprachlerner dort waren. Dieser Raum wird nun genutzt, um die neue Zeit kulturell zu gestalten – als Open Space oder mit einem Debattierclub. Wir haben sogar Mitarbeiter der Gauck-Behörde nach Kairo gebracht, weil auch dort das Thema "geheimer Staatsdienst" eine Rolle spielt. Dann kann man darüber sprechen, wie man mit geheimen Akten umgeht und wie das in Deutschland gemacht wurde. Unser Engagement erstreckt sich also vom künstlerischen bis zum gesellschaftspolitischen Bereich.

Wie kann sich das Goethe-Institut da positionieren, ohne zu stark in den politischen Bereich hinein zu agieren?

Ich glaube, dass wir in diesem Bereich am ehesten gewinnen können, indem wir ganz zentral Bildungsaufgaben erfüllen. Das bedeutet, dass wir den Leuten ermöglichen, Deutsch zu lernen, dass sie die Chance haben, nach Deutschland zu kommen. Wir bringen sie aber auch zusammen mit deutschen Kultur-Akteuren, mit Künstlern oder Filmemachern – Menschen, die ihnen ermöglichen, ihre eigenen Talente mit ihren eigenen Fähigkeiten umzusetzen. Wir schaffen also Produktionsmöglichkeiten, und das läuft ganz gut. Eine andere Möglichkeit ist etwa, das Verlagswesen mit aufzubauen dort, wo es bisher Staatsverlage gab. Auch der Austausch von Journalisten gehört dazu.

Dass das Goethe-Institut schon lange in der Region aktiv ist, hat mit dazu geführt, dass Künstler dort international vernetzt sind. Inwieweit hilft Ihnen das in dieser Situation?

Das ist nur zum Teil gelungen, weil es wegen der repressiven Politik nicht einfach war, den internationalen Anschluss zu finden. Wir haben zwar einigen Austausch ermöglicht, aber ich glaube, jetzt kann es tatsächlich gelingen, diesen Anschluss in der Breite zu finden. Aber eines ist klar: Diese Länder sind geprägt durch die Jugend, durch kulturelle Aktivitäten und durch das Internet. Das ist kein modischer Ansatz, sondern wir haben das etwa in zwei unserer Blogs erfahren. Einer heißt "Transit", und er erreicht, dass die versprengten Menschen, die Veränderungen wollen, voneinander wissen. "Transit" wird sehr stark genutzt, da wird alles eingeschrieben von Lebensumständen bis zu beruflichen und politischen Möglichkeiten. Wir haben außerdem schon lange den deutsch-arabischen Jugend-Blog "Li-Lak". Also: Blogger sind für diese Entwicklung ein ganz entscheidender Ansatz.

Frauen demonstrieren in Tunis für Ihre Rechte. Frühjahr 2011 (Foto: Lina Ben Mhenni, DW)
Frauen-Power: Demo in TunisBild: Lina Ben Mhenni

Es geht ja sicher nicht nur darum, die internationale Vernetzung, sondern auch die lokale Verankerung der Kunst- und Kulturszene zu fördern. Für das Goethe-Institut ist es immer wichtig, mit Partnern vor Ort zu arbeiten. Auf welche Partner können Sie in dieser Umbruchsphase setzen?

Es sind einzelne Personen. Es gibt nur wenige strukturelle Bindungen. Das ist auch eine momentane Schwäche. Mit individuellen Persönlichkeiten zu arbeiten, ist wunderbar. Aber wir müssen jetzt Organisationsformen finden, Dinge so aufeinander zu beziehen, dass sie sich verstärken und verstetigen. Uns geht es gerade um die Fragen, wie sich Künstler in Verbänden organisieren oder was es für Strukturen im gesellschaftspolitischen Bereich gibt. Denn jetzt ist die Begeisterung groß. Aber sie wird sich irgendwann erschöpfen, und sie geht kreuz und quer, es gibt keine Richtung. Deshalb versuchen wir jetzt, Beispiele zu geben, wie man eine Organisationsform entwickeln kann. Wir reden dabei nicht über Inhalte - das ist die Sache der arabischen Welt. Die Araber müssen ihre eigenen Vorstellungen haben. Aber es ist eine Hilfestellung, die bis zu Themen wie "Konfliktbewältigung", "Gleichberechtigung" oder "Verfassung" reicht.

Viele Künstler in der Region sehen jetzt ihre eigenen Regierungen in der Verantwortung, Kunst und Kultur zu fördern. Heißt das für das Goethe-Institut, dass man sich eventuell auch einmal zurückziehen und loslassen muss?

Copyright: Mohamed Elmaymony
Neues Forum: die "Tahrir-Lounge" in KairoBild: Mohamed Elmaymony

Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, die Künstler erwarten, dass wir uns zur Verfügung halten. Ich glaube, dass sie bewusst aus dem engen Korsett ausbrechen und Vergleichsmöglichkeiten haben wollen. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass viele gut ausgebildete Menschen derzeit das Land verlassen. Eigentlich sind wir dazu da, den Menschen Mut zu machen, im Land zu bleiben. Denn wenn dieser Exodus sich fortsetzt, wird es für die Länder hoffnungslos. Dann ist keine Elite mehr da, und die brauchen sie. Ohne eine wirtschaftliche Entwicklung ist auch das kulturelle Selbstverständnis nicht ausreichend, um sich wirklich in einer neuen, besseren Welt wiederzufinden.

Das Gespräch führte Aya Bach
Redaktion: Petra Lambeck